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»Nein – keiner von euch ist ein Narr«, widersprach Richard. »Wir alle tun mitunter unsinnige Dinge, weil wir nicht nachdenken. Aber wenn das passiert, gilt es, den Fehler zu erkennen und ihn künftig zu vermeiden. Lernt daraus, lasst nicht zu, dass ihr beim nächsten Mal wieder versagt. Ich bin nicht hier, um euch zu sagen, dass ihr Narren seid, denn das seid ihr nicht, ich bin hier, weil ich eure Hilfe brauche. Ich möchte, dass ihr anfangt, von eurem Verstand Gebrauch zu machen. Jeder von euch ist auf seine ganz bestimmte Weise einzigartig, jeder verfügt über ein Wissen, das sonst kein Lebender besitzt. Die Frau, die ich liebe und mit der ich verheiratet bin, ist von den Schwestern der Finsternis entführt worden, ihr Leben wurde der verheerenden Wirkung einer Feuerkette ausgesetzt, einer Ereigniskette, die sich jetzt durch das Leben all derer frisst, die sie kannten, und die letztendlich alle Lebenden verschlingen wird.«

Er wies auf die Statuette mit Namen Seele. »Dies habe ich deiner Enkeltochter aus der Seele geschnitzt, Zedd. Sie hat es sehr geliebt und geschätzt, und doch hat sie es dort auf dem steinernen Altar stehen lassen, über und über mit ihrem Blut beschmiert. Ich will sie zurück. Und dazu benötige ich Hilfe. Weder Nicci noch Cara erinnern sich an Kahlan, und doch wissen sie um die Tatsache, dass sie sich nicht an sie erinnern, und zwar aufgrund dessen, was in diesem Buch mit dem Titel Feuerkette steht – und nicht etwa, weil sie nicht existiert. Ihr alle habt mit dem Verlust eurer Erinnerung an Kahlan einen großen Verlust erlitten, etwas, das für euer Leben von unschätzbarem Wert ist und das ihr nicht einmal ansatzweise zu ersetzen vermögt. Ihr habt eine der anständigsten ...«

Richard musste abbrechen. Der Kummer hatte ihm die Kehle so sehr zusammengeschnürt, dass er kein Wort mehr über die Lippen brachte. Tränen tropften von seinem Gesicht auf den Tisch. Nicci ging zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Alles wird sich wieder fügen, Richard. Wir werden sie zurückbekommen.«

Auf seiner anderen Schulter spürte er Caras Hand. »Bestimmt, Lord Rahl. Wir werden sie zurückbekommen.«

Richard, unfähig zu sprechen, da sein Kinn zu sehr zitterte, nickte nur. Zedd erhob sich. »Ich hoffe doch, Richard, du glaubst nicht ernsthaft, wir würden dich noch einmal im Stich lassen. Das werden wir nicht tun, darauf hast du mein Wort als Oberster Zauberer.«

»Dein Wort als mein Großvater wäre mir lieber.«

Trotz seines tränenüberströmten Gesichts lächelte Zedd. »Das auch, mein Junge, das auch.«

Jetzt sprang auch Nathan auf. »Mein Schwert ist ebenfalls mit von der Partie, mein Junge.«

Ann musterte ihn missbilligend. »Dein Schwert ist mit von der Partie? Was in aller Welt soll das nun wieder heißen?«

»Na ja, du weißt schon«, antwortete Nathan, indem er mit der Hand eine Reihe von Hieben und Stößen demonstrierte. »Es bedeutet, dass ich mich tapfer schlagen werde.«

»Tapfer schlagen. Wir wär’s, wenn du uns stattdessen helfen würdest, Kahlan wieder zu finden?«

»Also, verdammt, Frau ...«

Anns Blick wanderte zu Zedd. »Hast du ihm etwa beigebracht, so zu reden? So flucht er erst, seit er mit dir zusammensteckt.«

Zedd zuckte unschuldig mit den Achseln. »Ich? Du meine Güte, nein, bestimmt nicht.«

Ann bedachte die beiden Zauberer rechts und links von ihr mit einem tadelnden Blick, ehe sie sich, jetzt wieder lächelnd, Richard zuwandte.

»Ich kann mich noch gut erinnern an den Tag, als du geboren wurdest, Richard; als du noch ein kleines, springlebendiges Bündel in den Armen deiner Mutter warst. Sie war damals so stolz auf dich, bloß weil du weinen konntest. Nun, ich schätze, jetzt kann sie wieder ziemlich stolz auf dich sein. Und das gilt für uns alle, Richard.«

Zedd wischte sich die Nase am Ärmel ab. »Wie wahr.«

»Vorausgesetzt, du kannst uns noch mal verzeihen«, fuhr Ann fort, »würden wir gerne dabei helfen, dieser Gefahr Einhalt zu gebieten. Ich, für meinen Teil, bin geradezu versessen darauf, mir diese Schwestern vorzunehmen.«

Nicci drückte Richards Schulter. »Ganz kampflos werdet Ihr kaum in den Genuss dieses Vergnügens kommen. Ich glaube, wir alle würden sie nur zu gerne in die Finger bekommen.«

Cara steckte den Kopf an Richard vorbei. »Na klar, Euch geht das leicht über die Lippen. Ihr durftet schließlich schon Schwester Tovi beseitigen.«

Richard stand, einen Fuß auf das niedrige Mauerwerk gestützt, zwischen den Zinnen der Brustwehr, den Blick auf die sonnenbeschienene Szenerie der weit unterhalb des Berges liegenden Stadt Aydindril gerichtet, und schaute den durch das Tal ziehenden Schatten der bauschigen weißen Wolken zu. Von hinten näherte sich Zedd, blieb neben ihm stehen und betrachtete eine Zeit lang schweigend ebenfalls das Schauspiel.

Schließlich sagte er: »Sosehr ich es auch versuche, ich kann mich nicht an Kahlan erinnern, es will mir einfach nicht gelingen.«

»Ich weiß«, antwortete Richard, ohne ihn anzusehen.

»Aber sie muss wohl eine bemerkenswerte Frau sein, wenn sie deine Lebensgefährtin ist.«

Richard konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. »Ja, das ist sie.«

Zedd legte seinem Enkelsohn eine knochige Hand auf die Schulter. »Wir werden sie finden, mein Junge, und ich werde dir dabei helfen. Wir werden sie finden, das verspreche ich dir.«

Lächelnd legte Richard seinem Großvater einen Arm um die Schultern. »Danke, Zedd. Ich werde deine Hilfe bestimmt brauchen können.«

Zedd hob einen Finger. »Und wir werden unverzüglich damit beginnen.«

»Das soll mir recht sein. Ich werde mir allerdings ein Schwert besorgen müssen.«

»Ach, weißt du, das Schwert ist gar nicht so wichtig; es ist nichts weiter als ein Werkzeug. Die eigentliche Waffe ist der Sucher, und ich würde sagen, der bist noch immer du.«

»Wo du schon davon anfängst, Zedd. Weißt du, ich habe nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass Shota, als sie das Schwert im Tausch gegen die Hinweise, die sie mir gab, verlangte, vielleicht doch nicht so selbstsüchtig gehandelt hat.«

»Wie kommst du darauf?«

»Nun, das Schwert der Wahrheit speist sich aus meiner Gabe. Wenn ich mich meiner Gabe bediene, wie an jenem Tag, als wir unten in der Bibliothek waren und ich aus einem Buch der Prophezeiungen vorlas, besteht die ganz reale Möglichkeit, dass es die Bestie zu mir lockt.«

Zedd strich sich nachdenklich über sein glatt rasiertes Kinn. »Schätze, da ist etwas dran. Vielleicht hat sie in gewisser Weise ja tatsächlich dazu beigetragen, dich zu beschützen.« Sein Blick verdüsterte sich. »Aber dann hat sie es an Samuel weitergegeben. Und der Kerl ist ein Dieb!«

»Und was hat er gestohlen, seit er das Schwert wiederhat?«

Zedd musterte ihn mit einem Auge. »Gestohlen? Ich weiß nicht. Worauf spielst du an?«

»Er hat eine Schwester der Finsternis beinahe getötet und ihr das Kästchen der Ordnung, das sie bei sich trug, abgenommen – und dadurch verhindert, dass sie alle drei Kästchen in ihren Besitz bringen konnten, um die Magie der Ordnung auf den Plan zu rufen.«

Zedds Stirn furchte sich noch tiefer. »Und was wird dieser jämmerliche Dieb deiner Meinung nach mit dem Kästchen anfangen?«

Richard zuckte mit den Achseln. »Das weiß ich nicht, aber immerhin haben wir durch ihn etwas Zeit gewonnen. Jetzt können wir ihn verfolgen und auf diese Weise zumindest verhindern, dass die Schwestern alle drei Kästchen in ihren Besitz bringen.«

Zedd kratzte sich an seiner hohlen Wange und warf Richard einen schrägen Blick zu. »Man könnte sich direkt an das letzte Mal erinnert fühlen, was? ... als sich Darken Rahl noch das letzte Kästchen beschaffen musste.«

Richard musterte seinen Großvater mit finsterer Miene. »Was redest du da?«

Zedd zuckte mit den Achseln. »Ach nichts, war nur so dahergesagt.«

»Was war nur so dahergesagt?«

»Na ja, genau, wie ich sagte, es erinnert fast ein wenig an das letzte Mal, das ist alles.« Er gab ihm einen Klaps auf die Schulter. »Ach, komm jetzt, Rikka hat das Abendessen fertig. Wir werden uns erst mal alle eine ordentliche Mahlzeit gönnen, und dann überlegen wir uns, wie wir weiter vorgehen wollen.«