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Nicci hatte sich von seinen Ausführungen offenbar nicht nur mitreißen lassen, sondern schien mit aufrichtigem Interesse über seine Worte nachzudenken. »Soll das etwa heißen, deiner Meinung nach könnte eine Kunstform auch etwas so Bedeutsames wie die Funktionsweise von Magie gestalten?«

Über Richards Lippen ging ein Lächeln. »Nicci, damals, bevor ich die Statue in Altur’Rang schuf, wart Ihr nicht einmal fähig, die Wichtigkeit des Lebens zu begreifen. Erst als Ihr diesen Gedanken in greifbarer Form vor Euch saht, konntet Ihr endlich all das, was Ihr zeit Eures Lebens gelernt hattet, zu einem Ganzen fügen und seine Bedeutung erfassen. Ein Kunstwerk hatte Euch in der Seele berührt – genau das meine ich, wenn ich sage, eine wichtige Funktion großer Werke besteht stets in der Inspiration der Menschen. Ihr habt gehandelt und Euch befreit, weil sie Euch die Schönheit des Lebens, die Erhabenheit des Menschen vor Augen geführt hat –etwas, das Ihr zuvor nicht für möglich gehalten hättet. Und weil die Bevölkerung von Altur’Rang in der Statue ebenfalls die Möglichkeit dessen, was sein sollte, zu erkennen vermochte, hat sie sich von ihr inspirieren lassen, sich gegen die Tyrannei zu erheben, die ihr Leben zu zerstören drohte. Mit dem Kopieren bereits vorhandener Statuen, mit der Einhaltung allgemein akzeptierter Normen, wie sie in der Alten Welt für Statuen galten, die den Menschen als schwach und unfähig darstellten, wäre das nicht möglich gewesen – wohl aber durch eine Idee der Schönheit, eine Vision der Erhabenheit, wie sie in meiner Arbeit Gestalt angenommen hatte. Und dabei habe ich mitnichten gegen das Charakteristische des von mir verwendeten Marmors verstoßen, im Gegenteiclass="underline" Vielmehr habe ich seine Eigenarten zu nutzen gewusst, um etwas anderes zu erreichen als das, was üblicherweise daraus geschaffen wurde. Um mein Ziel zu verwirklichen, befasste ich mich mit den Eigenschaften des Steins, lernte, ihn zu bearbeiten und versuchte zu verstehen, was sich darüber hinaus mit ihm machen ließe. Ich ließ mir von Victor die besten Werkzeuge anfertigen, die mich in die Lage versetzten, die Arbeiten so auszuführen, wie mir dies für meine Zwecke erforderlich schien. So gelang es mir schließlich, das, was ich schaffen wollte – und was vor mir noch nie jemand versucht hatte –, Wirklichkeit werden zu lassen. Meiner Meinung nach kann Magie ebenso funktionieren, ja, ich bin überzeugt, dass solche originellen Ideen bei der Schaffung von Waffen aus Menschen eine Rolle gespielt haben müssen. Schließlich waren diese Waffen vor allem wegen ihrer Originalität so wirkungsvoll – weil niemand sie bis dahin erdacht oder gar gesehen hatte. Irgendjemand hatte es also offenbar verstanden, Magie in einem schöpferischen Sinne anzuwenden. Und genau das ist es, was Jagang meiner Meinung nach derzeit wiederum mit der Magie macht. Er hat sich mit einigen Errungenschaften aus der Zeit des Großen Krieges befasst – mit den damals geschaffenen Waffen – und daraus seine Schlüsse gezogen. Das Bemerkenswerteste bei dieser Art des schöpferischen Tuns ist weniger die Arbeit selbst als vielmehr die Idee und Vision, die letztendlich erst den Erfolg der Bemühungen garantieren – ganz so, wie man Tischler und Maurer, die zuvor nur einfache Wohnhäuser und Scheunen gebaut haben, für die Errichtung eines Palasts heranziehen kann. Bei der Entstehung von Palästen ist nicht so sehr deren körperliche Leistung bemerkenswert, sondern der Akt der schöpferischen Erkenntnis, der ihr eine Richtung gibt.«

Nicci, voll konzentriert, nickte kaum merklich, während sie seine Worte abwog. »Ich kann durchaus erkennen, dass dein Gedanke nicht die krude Idee ist, für die ich ihn zunächst hielt. Bislang bin ich dieser Art zu denken noch nicht begegnet und werde darüber nachdenken müssen, welche Möglichkeiten sich damit auftun. Womöglich bist du der Erste, der den Mechanismus hinter Jagangs heimtückischem Plan – oder, was das betrifft, hinter den Schöpfungen der Zauberer aus alter Zeit wirklich verstanden hat. Das würde auch vieles erklären, was mich schon seit Jahren quält.«

In Niccis Worten schwang der Respekt vor einer Idee mit, die sie trotz ihrer Neuartigkeit vollkommen nachvollziehen konnte. Niemand, mit dem Richard jemals über Magie gesprochen hatte, hatte auf seine Ideen mit solch kenntnisreichem Feingefühl reagiert. Ihm war, als hätte zum allerersten Mal jemand wirklich begriffen, wie er die Dinge sah.

»Naja«, sagte er, »schließlich musste ich mit Jagangs Schöpfungen fertig werden. Ich sagte es bereits, dieser Nicholas hat jede Menge Ärger gemacht.«

Nicci betrachtete sein Gesicht einen Moment lang im trüben Licht. »Richard, nach allem, was ich in Erfahrung bringen konnte«, sagte sie schließlich mit sanfter Stimme, »war Nicholas nicht Jagangs eigentliches Ziel. Nicholas war nur eine Fingerübung.«

»Fingerübung!« Richard ließ seinen Kopf nach hinten gegen die Felswand sacken. »Also, ich weiß nicht, Nicci, da bin ich mir nicht so sicher. Nicholas der Schleifer war eine ungeheuerliche Schöpfung und ein übler Bursche. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie viel Ärger er uns gemacht hat.«

Nicci zuckte mit den Schultern. »Du hast ihn besiegt.«

Richard blinzelte sie entgeistert an. »Aus Eurem Mund klingt es so, als wäre er nichts weiter als eine kleine Unebenheit auf unserem Weg gewesen. So war es ganz und gar nicht. Lasst Euch gesagt sein, er war eine überaus beängstigende Kreatur, die uns beinahe zum Verhängnis geworden wäre.«

Bedächtig schüttelte Nicci den Kopf. »Und du lass dir gesagt sein, so ungeheuerlich dieser Nicholas auch gewesen sein mag, er war nicht das, worauf Jagang es eigentlich abgesehen hatte. Du selbst hast mir geraten, den Traumwandler nicht zu unterschätzen – mach jetzt nicht den gleichen Fehler. Er war nie der Meinung, dass dieser Nicholas dir voll und ganz gewachsen sein würde. Was du über den Einsatz von Fantasie beim Erschaffen neuer Dinge gesagt hast, klingt eigentlich ganz vernünftig, speziell in diesem Fall. Möglicherweise erklärt es sogar ein paar Dinge. Aber das wenige, das ich in Erfahrung bringen konnte, sagt mir, dass Nicholas von Anfang an nur dazu diente, die Talente jener Schwester zu fördern, die Jagang mit der Aufgabe betraut hatte, neue Waffen zu entwickeln. Nicholas war nicht Jagangs Ziel, sondern einfach nur eine Fingerübung auf dem Weg dorthin. Und dieses Ziel hat angesichts der schwindenden Zahl seiner Schwestern eine neue Dringlichkeit gewonnen, obwohl er für die Aufgabe der Herstellung neuer Waffen offenkundig immer noch genug von ihnen hat.«

Als ihm die Bedeutung dessen, was Nicci ihm da erklärte, in seiner ganzen Tragweite bewusste wurde, fühlte Richard eine kribbelnde Gänsehaut seinen Schwertarm hinaufkriechen. »Wollt Ihr damit etwa andeuten, die Erschaffung dieses Nicholas war für Jagang etwa so, als hätte er seine Tischler zu Übungszwecken ein normales Wohnhaus bauen lassen, ehe er sie mit der Errichtung von etwas weit Komplizierterem, etwa einem Palast, betraute?«