»Naja«, sagte sie schließlich mit einem Seufzer, »sieht ganz so aus, als hätte Lord Rahl während seines langen Schlafes jedenfalls einen interessanten Traum gehabt.«
»Ich habe lange geschlafen?«
»Zwei volle Tage, tief und fest – nachdem Nicci Euch geheilt hat.«
Richard fuhr sich mit den Fingern durch sein schmutziges, verfilztes Haar. »Zwei Tage ...«, murmelte er, während er sich mit seiner bruchstückhaften Erinnerung abzufinden versuchte. Caras Spielchen gingen ihm allmählich auf die Nerven. »Also, wo ist sie?«
»Eure Gemahlin?«
»Ja, meine Gemahlin.« Die Hände in die Hüften gestemmt, beugte er sich zu seiner Leibwächterin vor. »Ihr wisst schon, die Mutter Konfessor.«
»Mutter Konfessor. Ich muss schon sagen, Lord Rahl, nicht einmal im Traum macht Ihr halbe Sachen. Sie ist klug, wunderschön und obendrein die Mutter Konfessor.« Cara beugte sich zu ihm, einen spöttischen Ausdruck im Gesicht. »Und bestimmt ist sie außerdem noch ganz vernarrt in Euch?«
»Cara...«
»Oh nein, Augenblick.« Abwehrend hob sie eine Hand und wurde unvermittelt ernst. »Nicci bat mich, sie im Falle Eures Aufwachens sofort zu benachrichtigen. Sie hat darauf bestanden und gesagt, sobald Ihr aufwacht, muss sie sofort nach Euch sehen.« Cara begab sich zur einzigen geschlossenen Tür an der hinteren Wand der Stube. »Sie schläft zwar erst seit zwei Stunden, trotzdem will sie bestimmt sofort wissen, dass Ihr aufgewacht seid.«
Sie war nicht länger als einen kurzen Moment im Hinterzimmer verschwunden, da kam Nicci bereits aus dem Dunkel gestürzt und hielt kurz inne, um sich am Türrahmen festzuhalten. »Richard!«
Noch ehe er überhaupt ein Wort hervorbringen konnte, eilte Nicci, die Augen vor Erleichterung, ihn lebend zu sehen, weit aufgerissen, zu ihm hin und fasste ihn bei den Schultern, so als sei er eine in die Welt der Lebenden zurückgekehrte Gütige Seele, die nur durch ihr entschlossenes Zupacken im Diesseits gehalten werden könne. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Wie fühlst du dich?«
Er fühlte sich so erschöpft, wie sie aussah; sie hatte sich ihr blondes Haar nicht ausgebürstet, außerdem schien sie in ihrem schwarzen Kleid geschlafen zu haben. Aber trotz alledem hatte ihr unordentliches Äußeres lediglich zur Folge, dass ihre außergewöhnliche Schönheit nur umso deutlicher hervorstach. »Na ja, im Großen und Ganzen ganz gut, wenn man davon absieht, dass ich mich erschöpft und noch etwas benommen fühle, und das, obwohl ich nach Caras Worten ziemliche lange geschlafen habe.«
Mit zarter Hand winkte Nicci ab. »Das war zu erwarten. Ein wenig Ruhe, dann wirst du schon bald wieder bei Kräften sein. Du hast eine Menge Blut verloren. Es wird eine Weile dauern, bis sich dein Körper davon wieder erholt hat.«
»Nicci, ich muss ...«
»Still.« Sie legte ihm eine Hand auf den Rücken und die andere mit der Handfläche auf die Brust. Obschon sie etwa gleichaltrig mit ihm zu sein schien oder bestenfalls ein oder zwei Jahre älter, hatte sie lange Zeit als Schwester des Lichts im Palast der Propheten gelebt, dessen Bewohner einem langsameren Alterungsprozess unterworfen waren. Anfangs hatten ihn ihr gewandtes Auftreten, der durchdringende, abschätzende Blick ihrer blauen Augen und ihr unverwechselbares verhaltenes Lächeln – das stets von einem tiefen, wissenden Blick in seine Augen begleitet wurde – verwirrt und später sogar beunruhigt, mittlerweile jedoch war ihm dies alles nur zu vertraut.
Er fühlte Niccis Kraft zwischen ihren Händen mit einem Kribbeln tief in seine Brust eindringen und zuckte zusammen. Es war ein verwirrender Vorgang, der bei ihm sofort Herzflimmern auslöste. Eine leichte Woge von Übelkeit überkam ihn.
»Es hält«, murmelte Nicci bei sich. Dann hob sie den Blick und sah ihm in die Augen. »Die Blutgefäße sind intakt und ihr Zustand stabil.« Der überraschte Ausdruck in ihren Augen verriet, wie ungewiss sie sich des Erfolgs gewesen sein musste. Schließlich kehrte ihr ermutigendes Lächeln zurück, teilweise zumindest. »Du brauchst nach wie vor viel Ruhe, aber ansonsten machst du erstaunliche Fortschritte, Richard, ich muss schon sagen.«
Er nickte, erleichtert zu hören, dass er gesund war, auch wenn sie ein wenig überrascht darüber klang. Aber das war nicht seine einzige Sorge, die dringend danach verlangte, gestillt zu werden. »Nicci, wo ist Kahlan? Cara hat heute Morgen wieder mal eine ihrer Launen und weigert sich, es mir zu sagen.«
Nicci schien verwirrt. »Wer?«
Richard fasste ihr Handgelenk und löste ihre Hand von seiner Brust. »Was ist passiert? Ist sie verletzt? Wo ist sie?«
Cara neigte den Kopf und erklärte Nicci: »Lord Rahl hat im Schlaf davon geträumt, er hätte eine Gemahlin.«
Nicci wandte sich zu ihr herum, die Stirn erstaunt gerunzelt. »Eine Gemahlin!«
»Erinnert Ihr Euch an den Namen, den er im Delirium gerufen hat?« Cara setzte ein verschwörerisches Lächeln auf. »Das war die, die er in seinem Traum geheiratet hat. Sie ist natürlich wunderschön und klug.«
»Wunderschön.« Nicci sah sie verständnislos an. »Und klug.«
Viel sagend zog Cara eine Braue hoch. »Außerdem ist sie die Mutter Konfessor.«
Nicci machte ein ungläubiges Gesicht. »Die Mutter Konfessor.«
»Das reicht.« Richard ging dazwischen und ließ Niccis Handgelenk los. »Ich meine es ernst. Also, wo ist sie?«
»Richard«, begann Nicci vorsichtig, »du warst ziemlich schwer verwundet. Eine Zeit lang dachte ich, du würdest nicht mehr ...« Sie strich sich eine verirrte Haarsträhne hinters Ohr und begann noch einmal von vorn. »Schau, wer so schwer verletzt ist wie du, dem kann der Verstand bisweilen einen Streich spielen. Das ist ganz natürlich. Ich habe das auch früher schon beobachtet. Du bekamst keine Luft, nachdem du von dem Pfeil getroffen worden warst. Dieser Luftmangel bewirkt, ganz ähnlich dem Ertrinken ...«
»Was ist eigentlich los mit Euch beiden? Was wird hier gespielt?« Ihm war unbegreiflich, wieso sie ihn hinzuhalten versuchten. Sein rasender Puls schien außer Kontrolle zu geraten. »Ist sie verletzt? So redet endlich!«
»Richard«, begann Nicci erneut, diesmal in gedämpftem Tonfall, der offenkundig darauf abzielte, ihn zu besänftigen, »dieser Armbrustbolzen hätte glatt um ein Haar dein Herz durchbohrt. In dem Fall hätte ich nicht das Geringste für dich tun können. Tote vermag ich nicht wieder zum Leben zu erwecken. Der Bolzen hat zwar dein Herz verfehlt, trotzdem hat er ernsthaften Schaden angerichtet. Eine so schwere Verwundung, wie du sie erlitten hast, überlebt man normalerweise nicht. Mit den üblichen Methoden hätte ich dich unmöglich heilen können, ganz einfach deswegen, weil dies niemand könnte. Außerdem war einfach keine Zeit, auch nur den Versuch zu unternehmen, den Bolzen auf andere Art zu entfernen. Du hattest innere Blutungen. Ich musste ...«
Sie geriet ins Stocken und starrte in seine Augen. Richard beugte sich ein wenig zu ihr vor. »Ihr musstet was?«
Verlegen zuckte sie mit einer Schulter. »Ich war gezwungen, subtraktive Magie anzuwenden.«
Nicci war eine mächtige Hexenmeisterin aus eigenem Recht, aber was sie noch unendlich viel außergewöhnlicher machte, war, dass sie darüber hinaus die Kräfte der Unterwelt beherrschte. Früher war sie diesen Kräften verpflichtet und unter dem Namen Herrin des Todes bekannt gewesen, daher zählte das Heilen nicht unbedingt zu ihrem Spezialgebiet. Bei Richard schrillten alle Warnsignale. »Wozu?«
»Um den Pfeil aus deinem Körper zu entfernen.«
»Ihr habt den Pfeil mit subtraktiver Magie eliminiert?«
»Es war weder Zeit, noch gab es eine andere Möglichkeit.« Sie fasste ihn wieder bei den Schultern, wenn auch diesmal eher voller Mitgefühl. »Wenn ich nicht gehandelt hätte, wärst du wenige Augenblicke später gestorben. Ich hatte keine andere Wahl.«
Richard blickte in Caras grimmiges Gesicht, dann sah er wieder zu Nicci. »Nun, ich schätze, das war nur vernünftig.«
Zumindest klang es so; ob es sich tatsächlich so verhielt, vermochte er nicht zu entscheiden. Richard war in den endlosen Wäldern Westlands aufgewachsen, daher waren seine Kenntnisse in Magie nicht übermäßig ausgeprägt.