»Zusammen mit einer gewissen Menge deines Blutes«, setzte Nicci kleinlaut hinzu. Das gefiel ihm ganz und gar nicht. »Was?«
»Du hattest innere Blutungen in deiner Brust, ein Lungenflügel hatte bereits versagt. Ich konnte sehen, dass dein Herz aus seiner Position gedrückt wurde, sodass die Hauptarterien Gefahr liefen, unter der Belastung zu zerreißen. Um dich zu heilen, musste ich das Blut entfernen, damit dein Herz und deine Lungen wieder richtig arbeiten konnten. Sie hätten jeden Moment versagen können. Du hattest einen Schock erlitten und lagst im Delirium. Du warst dem Tod nahe.«
Tränen traten in Niccis blaue Augen. »Ich hatte solche Angst, Richard. Außer mir war niemand da, der dir hätte helfen können, und ich hatte solche Angst zu versagen. Selbst nachdem ich alles in meiner Macht Stehende getan hatte, um dir zu helfen, war ich noch immer unsicher, ob du jemals wieder aufwachen würdest.«
Ihrem Gesichtsausdruck konnte er entnehmen, welchen Tribut die Angst gefordert hatte, ja, er spürte sie sogar in ihren zitternden Fingern auf seinen Armen – ein Zeichen dafür, welch weiten Weg sie zurückgelegt hatte, nachdem sie den Glauben an die Sache der Schwestern der Finsternis und der Imperialen Ordnung aufgegeben hatte.
Caras gequälter Gesichtsausdruck bestätigte ihm das wahre Ausmaß der Verzweiflung, die in der Situation geherrscht hatte. Während seines langen Schlafes hatte offenbar keine der beiden mehr als das eine oder andere kurze Nickerchen machen können. Das Wachen an seinem Krankenbett musste eine schlimme Erfahrung gewesen sein.
Noch immer trommelte der Regen ohne Unterlass auf das Dach, aber davon abgesehen war es in der nasskalten Hülle der Hütte totenstill. Hier, in dieser aufgegebenen Kate, schien die Vergänglichkeit des Lebens nur umso auffälliger. Das verlassene Gemäuer ließ Richard frösteln.
»Ihr habt mir das Leben gerettet, Nicci. Ich erinnere mich, dass ich Angst hatte zu sterben; aber Ihr habt mir das Leben gerettet.« Sacht berührte er ihre Wange mit den Fingerspitzen. »Danke. Ich wünschte, es gäbe eine passendere Art, Euch das zu vermitteln, eine bessere Art, Euch zu sagen, wie sehr ich zu schätzen weiß, was Ihr getan habt, aber leider fällt mir keine ein.«
Ihr verhaltenes Lächeln und das schlichte Nicken verrieten ihm, dass sie den Ernst seiner Worte verstanden hatte. Plötzlich kam ihm ein anderer Gedanke. »Oder wolltet Ihr etwa andeuten, die Anwendung von subtraktiver Magie hätte irgendein ... Problem verursacht?«
»Nein, nein, Richard.« Sie drückte seine Arme, wie um seine Ängste zu beschwichtigen. »Nein, ich glaube nicht, dass dadurch ein Schaden verursacht wurde.«
»Was soll das heißen, Ihr glaubt es nicht?«
Nach kurzem Zögern erklärte sie es ihm. »Ich hatte dergleichen noch nie zuvor getan, ja, ich hatte nicht einmal gehört, dass jemand es versucht hätte. Bei den Gütigen Seelen, ich wusste nicht mal, dass es überhaupt möglich ist. Wie du dir sicher vorstellen kannst, birgt die Anwendung subtraktiver Magie in diesem Zusammenhang gewisse Gefahren, um es vorsichtig auszudrücken. Alles Lebendige, das mit ihr in Kontakt gerät, würde ebenfalls ausgelöscht werden. Deswegen musste ich den Kern des Pfeilschafts benutzen, um in deinen Körper vorzudringen. Ich war mit größtmöglicher Behutsamkeit darauf bedacht, ausschließlich den Pfeil... sowie das ausgetretene Blut zu eliminieren.«
Richard fragte sich, was wohl aus den Dingen wurde, wenn sie mit subtraktiver Magie in Berührung kamen – was mit seinem Blut passiert war –, doch schon jetzt schwindelte ihm der Kopf von der Geschichte, außerdem wollte er vor allem eins: dass sie endlich zum springenden Punkt käme. »Aber zusätzlich zu alldem«, fuhr Nicci fort, »zusätzlich zu dem schweren Blutverlust, der Verletzung, der fürchterlichen Situation, nicht genug Luft zu bekommen, dem Stress, dem du ausgesetzt warst, während ich die gewöhnliche additive Magie zu deiner Heilung benutzte – ganz zu schweigen von dem Element des Unbekannten, das die Anwendung subtraktiver Magie mit sich bringt – hast du eine Erfahrung durchgemacht, deren Ausgang bestenfalls unvorhersehbar genannt werden kann. Eine so schwere Krise kann unerwartete Folgen haben.«
»Unerwartete Folgen?«
»Nun, es lässt sich nicht so leicht erklären. Mir blieb keine andere Wahl, ich musste zu extremen Mitteln greifen. Nach meinem Empfinden warst du längst jenseits der Grenzen jeglicher Einflussnahme. Du musst versuchen zu begreifen, dass du dort eine Zeit lang nicht du selbst warst.«
Cara hakte einen Daumen hinter ihren roten Ledergürtel. »Nicci hat Recht, Lord Rahl. Ihr war nicht Euer gewohntes Selbst. Ihr habt Euch mit Händen und Füßen gegen uns zur Wehr gesetzt. Ich musste Euch gewaltsam runterdrücken, damit sie Euch helfen konnte. Ich habe Männer bewacht, die an der Schwelle des Todes standen; es geschehen seltsame Dinge mit ihnen, sobald sie sich an diesem Ort befinden. Glaubt mir, in jener allerersten Nacht wart Ihr sehr lange dort.«
Richard verstand nur zu gut, was sie meinte, wenn sie sagte, sie hätte über Männer gewacht, die an der Schwelle des Todes standen. Das Foltern war einst der Lebenszweck der Mord-Sith gewesen zumindest, bis er all diese Dinge geändert hatte. Er trug noch immer den Strafer Dennas bei sich, jener Mord-Sith, die in dieser Eigenschaft einst über ihn gewacht hatte. Sie hatte ihm ihren Strafer als aufrichtige Geste ihrer Dankbarkeit vermacht, weil er sie von dem Wahnsinn dieser grauenhaften Pflicht befreit hatte – obwohl sie wusste, dass der Preis dieser Freiheit ein Stoß seines Schwertes durch ihr Herz sein würde. Nicci breitete die Hände aus, so als wollte sie ihn beschwören, sich mehr Mühe zu geben, zu begreifen. »Erst warst du bewusstlos, anschließend hast du eine ziemlich lange Zeit geschlafen. Ich musste dich wieder beleben, um dich dazu zu bringen, wenigstens einen Schluck Wasser zu trinken und etwas Brühe zu dir zu nehmen, gleichzeitig war es dringend erforderlich, dass du im Tiefschlaf bliebst, damit du wieder zu Kräften kommen konntest. Ich musste einen Bann benutzen, um dich in diesem Zustand zu halten. Du hattest viel Blut verloren; hätte ich dir zu früh erlaubt, wieder aufzuwachen, hätte dies deine noch schwachen Kräfte überfordert, und du hättest uns ... entgleiten können.«
Sterben, das war es, was sie meinte; er hätte sterben können. Richard holte tief Luft. Er hatte ja keine Ahnung gehabt, was während der letzten drei Tage alles passiert war. Im Grunde erinnerte er sich nur an den Kampf und anschließend an das Erwachen – nachdem er das Heulen des Wolfes gehört hatte. Er versuchte, ihr zu zeigen, dass er ruhig und verständnisvoll sein konnte, obwohl ihm weder nach dem einen noch dem anderen zumute war. »Nicci, was hat das alles mit Kahlan zu tun?«
Ihre Züge erstarrten zu einer beklemmenden Mischung aus Mitgefühl und Besorgnis. »Richard, diese Frau, Kahlan, ist nichts weiter als ein Produkt deiner Fantasie aus jener Zeit, bevor ich dich heilen konnte, als du dich in diesem verwirrten Zustand aus Schock und Delirium befandest.«
»Ich habe mir das nicht eingebildet, Nicci!«
»Du standest auf der Schwelle des Todes«, erwiderte sie und befahl ihm mit erhobener Hand, zu schweigen und ihr zuzuhören. »Dein Verstand war auf der Suche nach einem Menschen, der dir helfen konnte – jemand wie diese Kahlan. Bitte glaube mir, wenn ich sage, das ist ganz verständlich. Jetzt aber bist du wach und musst der Wahrheit ins Gesicht sehen.«
Es verschlug ihm glatt die Sprache. Er wandte sich herum zu Cara und flehte sie an – wenn schon nicht, ihm zu Hilfe, dann wenigstens wieder zur Besinnung zu kommen. »Wie könnt Ihr so etwas auch nur denken? Wie könnt Ihr einen solchen Unfug glauben?«
»Hattet Ihr nie einen Traum, in dem Euch eine grauenhafte Angst überkam, und dann war Eure längst verstorbene Mutter zur Stelle und hat Euch geholfen?« Caras starre blauen Augen schienen irgendwo anders hin gerichtet. »Erinnert Ihr Euch nicht, nach solchen Träumen aufzuwachen und absolut sicher zu sein, dass sie wirklich gewesen waren, dass Eure Mutter wieder lebte, wirklich wieder lebte, und Euch helfen würde? Oder erinnert Ihr Euch nicht, wie sehr Ihr Euch an dieses Gefühl klammern wolltet? Wisst Ihr etwa nicht mehr, wie sehr Ihr Euch gewünscht habt, es wäre Wirklichkeit?«