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»Was willst du damit sagen?«

»Nun, falls Ihr Recht habt, dann bilde ich mir nur irgendwelche Dinge ein, die ich geträumt habe. Aber wenn ich Recht habe – und es ist ziemlich nahe liegend, dass Ihr und Cara nicht derselben Geistesstörung zum Opfer gefallen sein könnt –, dann müsste das bedeuten, dass das, was auch immer derzeit geschieht, einen Grund hat, und der ist bestimmt nicht angenehm.«

Der Gedanke schien Nicci so zu verstören, dass sie kein Wort hervorbrachte. Richard ließ sie los und wandte sich herum, um die Lasche seines Bündels festzuzurren.

Schließlich fand Nicci ihre Stimme wieder. »Begreifst du nicht, was du tust, Richard? Du fängst an, abwegige Vorstellungen zu entwickeln, um das zu rechtfertigen, was du selbst gern glauben möchtest. Du hast es selbst gesagt – Cara und ich können nicht derselben Geistesstörung zum Opfer gefallen sein. Bleib hier und ruh dich aus. Wir können versuchen, das Wesen dieses Traumes zu ergründen, der in deinem Verstand so hartnäckig Wurzeln geschlagen hat, und ihn hoffentlich wieder richten. Vermutlich habe ich selbst ihn durch irgendetwas ausgelöst, als ich dich zu heilen versuchte. Wenn dem so ist, dann tut es mir Leid. Bitte, Richard, bleib erst einmal hier.«

Ihr einziges Interesse galt ausschließlich dem, was sie als das Problem betrachtete. Schon sein Großvater Zedd, der Mann, der ihn großzuziehen geholfen hatte, hatte damals oft gesagt: Denk nicht über das Problem, sondern über seine Lösung nach. Die Lösung, auf die er sich jetzt konzentrieren musste, war, wie Kahlan gefunden werden konnte. Er wünschte sich, auf Zedds Hilfe zurückgreifen zu können, um das Rätsel ihres derzeitigen Aufenthaltsortes zu lösen.

»Du bist noch immer ernsthaft in Gefahr«, beharrte Nicci, während sie den durch das löchrige Dach sickernden Regentropfen auswich. »Jede übermäßige Anstrengung könnte verhängnisvolle Folgen haben.«

»Dessen bin ich mir bewusst – wirklich.« Richard prüfte das Messer, das er im Gürtel trug, und schob es wieder in seine Scheide zurück. »Jedenfalls habe ich nicht die Absicht, Euren Rat in den Wind zu schlagen. Ich werde mich, so gut es irgend geht, schonen.«

»Richard, hör mir zu.« Nicci rieb sich die Schläfen mit den Fingerspitzen, als hätte sie Kopfschmerzen. »Es geht um mehr als das.«

Sie suchte nach den passenden Worten. »Du bist nicht unbesiegbar. Du magst vielleicht dieses Schwert tragen, aber immer kann es dich auch nicht schützen. Deine Vorfahren – und zwar jeder einzelne deiner Vorgänger im Amt des Lord Rahl – haben sich darüber hinaus stets mit Leibwächtern umgeben, und das, obwohl sie ihre Gabe meisterlich beherrschten. Du magst mit der Gabe geboren sein, aber selbst wenn du sie angemessen zu gebrauchen wüsstest, könnte dir diese Macht keinen sicheren Schutz gewähren – erst recht nicht jetzt. Der Bolzen hatte lediglich den Zweck, dir zu zeigen, wie verwundbar du tatsächlich bist. Du magst ein bedeutender Mann sein, Richard, aber du bist nur ein Mann. Wir alle sind auf dich angewiesen, Richard unbedingt.«

Der gequälte Ausdruck in Niccis blauen Augen bewog Richard, den Kopf abzuwenden. Natürlich war er sich seiner Verwundbarkeit sehr wohl bewusst. Das Leben war sein höchstes Gut, er betrachtete es nicht als Selbstverständlichkeit. Er beschwerte sich so gut wie nie, dass Cara nicht von seiner Seite wich. Sie und die übrigen Mord-Sith, aber auch alle anderen Leibwächter, die er geerbt hatte, hatten mehr als einmal ihre Nützlichkeit bewiesen, was aber nicht bedeutete, dass er hilflos war oder sich erlauben durfte, aus falsch verstandener Vorsicht das Notwendige zu unterlassen.

Mehr noch, allmählich dämmerte ihm, worauf Nicci eigentlich anspielte. Während seiner Zeit im Palast der Propheten hatte er die Erfahrung gemacht, dass ihn die Schwestern des Lichts für einen Mann hielten, der zutiefst in uralte Prophezeiungen verstrickt war – er war für sie ein Dreh- und Angelpunkt des historischen Geschehens.

Wenn ihre Seite über die dunklen Mächte triumphieren wollte, die gegen sie angetreten waren, dann war dies nach Ansicht der Schwestern nur möglich, wenn Richard sie zum Sieg führte. Ohne ihn, so die Prophezeiungen, würde alles verloren sein. Ihre Prälatin, Annalina, hatte einen Großteil ihres Lebens darauf verwendet, die Ereignisse dahingehend zu manipulieren, dass sein Überleben gesichert war und er heranwachsen und sie in diesen Krieg führen konnte. Wenn man sie reden hörte, dann ruhten die Hoffnungen für alles, was ihnen lieb und teuer war, auf seinen Schultern. Dankenswerterweise hatte zumindest Kahlan ihren Übereifer in diesem Punkt ein wenig gedämpft. Trotzdem wusste er, dass viele noch immer dieser Betrachtungsweise anhingen. Er wusste auch, dass seine Führerschaft in großen Teilen der Bevölkerung den Wunsch nach einem Leben in Freiheit geweckt hatte. Soweit es ihn persönlich betraf, hatten sich die Prophezeiungen jedoch als wenig hilfreich, ja oftmals als höchst problematisch erwiesen. Richard zwang sich zu einem Lächeln. »Nicci, jetzt klingt Ihr wie eine Schwester des Lichts.« Das schien sie nicht zu amüsieren. »Cara wird mir zur Seite stehen«, versuchte er, ihre Besorgnis auszuräumen. Die Worte waren kaum heraus, da wurde ihm bewusst, dass selbst Caras Gegenwart den Pfeil nicht hatte aufhalten können, der ihn niedergestreckt hatte. Und wenn er es sich recht überlegte, wo war sie während des Kampfes überhaupt gewesen? Er konnte sich nicht erinnern, sie an seiner Seite gesehen zu haben. Dabei scheute sie keinen Kampf; nicht einmal zehn Pferde würden sie davon abhalten können, ihn zu beschützen. Bestimmt war sie ganz in seiner Nähe gewesen, er erinnerte sich nur einfach nicht daran, sie gesehen zu haben. Er nahm seinen breiten ledernen Übergurt auf und schnallte ihn um. Dieser Gürtel, wie auch die anderen Teile seines Anzugs, der einst einem mächtigen Zauberer gehört hatte, stammte aus der Burg der Zauberer, wo Zedd derzeit Stellung bezogen hatte, um sie vor Kaiser Jagang und seinen aus der Alten Welt anrückenden Horden zu beschützen.

Nicci stieß einen ungeduldigen Seufzer aus – und gewährte damit Einblick in ihre strenge und unversöhnliche Seite, die Richard nur zu gut kannte, die sich aber diesmal, wie er sehr wohl wusste, aus ihrer aufrichtigen Sorge um sein Wohlergehen speiste.

»Richard, wir können uns dieses Durcheinander einfach nicht leisten. Es gibt wichtige Dinge, über die wir dringend sprechen müssen. Nur deswegen habe ich dich überhaupt aufgesucht. Hast du meinen Brief etwa nicht erhalten?«

Richard stutzte. Brief... Brief ... Dann endlich fiel es ihm wieder ein. »Doch, ich habe Euren Brief bekommen. Ich habe Euch sogar eine Antwort zukommen lassen – durch einen Soldaten, den Kahlan mit ihrer Kraft berührt hatte.«

Richard erhaschte Caras kurzen Seitenblick auf Nicci – einen überraschten Blick, der besagte, dass sie sich an nichts dergleichen erinnern könne.

Nicci taxierte ihn mit einem sonderbaren Blick. »Die Antwort, die du mir geschickt hast, ist nie bei mir angekommen.«

Leicht überrascht machte Richard eine Handbewegung Richtung Neue Welt. »Der Mann hatte vorrangig den Auftrag, nach Norden zu gehen und Kaiser Jagang zu eliminieren. Er war von der Kraft einer Konfessorin berührt worden und wäre eher gestorben, als ihren Befehl zu missachten. Aber vermutlich kann ihm ebenso gut schon vorher etwas zugestoßen sein. In der Alten Welt gibt es Gefahren genug.«

Der Ausdruck auf Niccis Gesicht gab ihm das Gefühl, ihr soeben einen weiteren Beweis dafür geliefert zu haben, dass er drauf und dran war, den Verstand zu verlieren. »Glaubst du allen Ernstes, selbst in deinen kühnsten Träumen, der Traumwandler wäre so leicht zu eliminieren?«

»Nein, natürlich nicht.« Er stopfte den Kochtopf, der sein Bündel ausbeulte, wieder zurück an seinen Platz. »Wir sind davon ausgegangen, dass der Soldat vermutlich bei dem Versuch getötet werden würde. Wir haben ihn auf Jagang angesetzt, weil er ein Schurke und Mörder war, der den Tod verdient hatte. Trotzdem, ich hatte die vage Hoffnung, er könnte vielleicht erfolgreich sein. Und wenn nicht, sollte das Wissen, dass jeder seiner Männer ein gedungener Mörder sein konnte, Jagang zumindest einige Stunden seines Schlafes rauben.«