Die Ruderer auf der Backbordseite schwenkten wertvolle Tuche und goldene Kelche und brüllten spöttisch zu dem anderen Schiff hinüber, das nur noch etwa hundert Meter entfernt war.
Ein Pfeil sirrte durch die Luft.
»Werft die Tuche über die Sklavinnen!« rief Forkbeard. Auf diese Weise wurden sie vor den Geschossen geschützt. »Und dazu die Plane!« Über die Mädchen und die kostbare Beute wurde die große Plane aus Häuten gebreitet.
Weitere Pfeile schwirrten heran. Einer traf den Mast, an dem Aelgifu noch gefesselt hockte.
Das Schiff Thorgards, der Schwarze Sleen, war nur noch etwa fünfzig Meter entfernt. Ich sah behelmte Männer an der Reling, etwa fünf Fuß über der Wasserlinie. Die Helme des Nordens sind im allgemeinen konisch geschnitten und haben einen Nasenschutz, den man hin und her schieben kann. Hinten herum zieht sich gewöhnlich ein Schutz aus Kettengewebe. Der Helm Thorgards schützte auch den Nacken und die Seiten des Kopfes. Zwei gewaltige Hörner zierten den Helm. Fast alle Männer waren mit langen, breiten Speeren bewaffnet, manche auch mit Äxten.
»Auf die Bänke!« rief Ivar Forkbeard lachend. »Und Segel setzen!«
Ich befürchtete jedoch, daß er schon zu lange gewartet hatte.
Seine Männer sprangen zu den Bänken und ergriffen ihre Ruder. Gleichzeitig fiel das gewaltige Segel herab und blähte sich knallend.
»Zieht durch!« brüllte Forkbeard, und die Schlange Ivar Forkbeards sprang förmlich auf den Horizont zu.
Verwirrung herrschte an Deck des Schwarzen Sleen. Ich sah Thorgard von Scagnar mit seinem gehörnten Helm. Er gab hastig Befehle.
Behäbig drehte sich der Bug des Schwarzen Sleen in unserem Kielwasser. Männer rannten zu ihren Bänken. Die langen Ruder wurden angehoben und senkten sich wieder.
Ein Wurfspieß und vier Pfeile trafen das Deck unseres Schiffs, aber sie richteten keinen Schaden mehr an. Die nächste Salve fiel bereits harmlos hinter uns ins Meer, und die Bogenschützen kehrten auf ihre Bänke zurück.
Eine Viertel-Ahn lang stand Forkbeard persönlich am Steuerruder seiner Schlange. Aber dann ließ er grinsend seinen Steuermann weitermachen und kehrte in die Schiffsmitte zurück.
Wieder stellten wir das Brett zwischen uns auf eine Truhe. Die Stellung der Figuren hatte sich natürlich nicht verändert; die Pflöcke hatten sie festgehalten.
»Eine sehr interessante Variation«, sagte Forkbeard und konzentrierte sich wieder auf das Spiel.
»Vielleicht breche ich diesmal den Angriff der Jarls Axt.«
»Ich glaube nicht. Aber wir werden sehen.«
Nach einer weiteren Viertel-Ahn wies Forkbeard seine Ruderer an, sich auszuruhen.
Der Schwarze Sleen, angeblich das schnellste Schiff des Nordens, mühte sich in der Ferne mit Rudern und Segeln, den Anschluß nicht zu verlieren. Aber es gelang ihm nicht. Nur unter Segel fahrend, lief Ivar Forkbeards Schiff dem Schlangenboot Thorgards davon, fast mühelos. Nach kurzer Zeit war es nur noch ein Punkt am Horizont und konnte schließlich nur noch vom Ausguck gesehen werden. Die Plane wurde zurückgezogen und eingerollt. Die Sklavinnen schnappten erleichtert frische Luft, und nach kurzer Zeit normalisierte sich das Leben an Bord.
Es wurde Abend.
»Nimm Kurs auf Einars Felsenriff«, befahl Ivar Forkbeard seinem Steuermann.
»Jawohl, Kapitän.«
Aelgifu lachte erfreut auf.
Am Felsenriff, am Runenstein von Torvaldsmark, sollte Ivar Forkbeard das Lösegeld für sie in Empfang nehmen.
Eine Ahn später erfuhr ich, daß Sänger auf Axt Zwei, gefolgt von Jarl auf Axt Vier, als Konterschlag gegen den Angriff der Jarls Axt nicht genügt.
»Hatte ich mir doch gleich gedacht«, bemerkte Ivar Forkbeard.
»Das Schiff Thorgards von Scagnar ist der Schwarze Sleen. Wie heißt dein Schiff, wenn ich fragen darf?«
»Mein Schiff«, erwiderte Ivar, »heißt Hilda.«
»Ist es nicht ungewöhnlich, daß ein Schiff des Nordens den Namen einer Frau trägt?«
»Nein.«
»Warum heißt es denn Hilda?«
»Das ist der Name der Tochter Thorgards von Scagnar«, sagte Ivar Forkbeard.
Ich musterte ihn erstaunt.
»Die Hilda ist mein Schiff«, sagte Ivar Forkbeard, »und die Tochter Thorgards von Scagnar wird meine Leibeigene sein.«
Einen Pasang vor Einars Felsenriff lagen wir beigedreht, ohne Lichter. Ivar und vier Männer waren im Beiboot fortgerudert, das normalerweise kieloben auf dem Achterdeck festgezurrt ist. Sie hatten Aelgifu mitgenommen.
Im Nachtdunkel machte ich den schwarzen Umriß des Felsenriffs aus. Vor dem Sternenhimmel war die Silhouette des nadelgleichen Runensteins zu erkennen.
»Sie kommen zurück«, sagte Gorm leise.
Ich starrte in die Nacht hinaus. Einige hundert Meter entfernt machte ich das Boot aus. Ich hörte das Plätschern der Ruder, die sich in einheitlichem Rhythmus bewegten. Die Schlagzahl war sehr langsam, so daß sie offenbar nicht verfolgt wurden.
Dann sah ich Ivar Forkbeard am Steuerruder. Das Boot scharrte leise an der Bordwand des Schlangenschiffs entlang.
»Hast du das Lösegeld?« fragte ich.
»Ja«, erwiderte er grinsend und hob einen schweren Beutel hoch.
»Es hat lange gedauert«, bemerkte ich.
»Es dauerte seine Zeit, bis wir das Gold gewogen hatten«, sagte Ivar. »Und es gab Auseinandersetzungen um die Genauigkeit unserer Waagen.«
»Oh?« fragte ich.
»Ja, die Waage Gurts aus Kassau hat nicht genau gestimmt – sie zeigte ein zu hohes Gewicht an.«
»Ich verstehe«, sagte ich.
»Hier ist das Gold.« Ivar Forkbeard warf Gorm den Beutel zu. »Hundertundzwanzig Goldstücke.« Dann schleuderte er weitere Geldbörsen in das Schiff.
»Was ist das?«
»Die Geldbeutel der Leute, die Gurt von Kassau begleitet haben«, bemerkte er.
Ich hörte ein Stöhnen aus dem Boot und sah eine Bewegung unter einem See-Sleen-Fell. Forkbeard riß das Fell fort und zeigte uns die stolze Aelgifu, die gefesselt im Boot lag. Sie starrte entsetzt zu uns empor. Forkbeard stemmte sie über die Bordwand. »Zu den anderen Sklavinnen mit ihr!« befahl er.
Ich half dem Piratenkapitän und seinen Männern, das kleine Boot wieder an Deck zu hieven.
Plötzlich bohrte sich ein Pfeil in die Bordwand.
»Los! Ablegen!« brüllte Forkbeard. »Auf die Bänke!« Am Bug und am Heck holte man die beiden Anker auf. Die Ruderluken wurden aufgestoßen, die Ruder hinausgeschoben.
Von der Küste näherte sich ein gutes Dutzend kleiner Boote mit jeweils zehn bis fünfzehn Mann.
Zwei weitere Pfeile trafen das Schiff. Andere zuckten in der Dunkelheit an uns vorbei, und nur das Flüstern ihrer Schaftfedern war zu hören.
»Aufs Meer!« brüllte Forkbeard. »Zieht durch!«
Die Schlange wandte ihren Bug zum Meer, und die Ruder senkten sich, drangen in das Wasser ein, wurden durchgezogen. Das Schiff setzte sich in Bewegung.
Wütend stand Forkbeard an der Reling und starrte auf die Bootsarmada. Dann wandte er sich an seine Männer. »Das soll euch eine Lehre sein!« rief er. »Den Kassauern ist nicht zu trauen!«
Die Männer an den Rudern begannen zu singen.
»Und was hast du mit Gurt und seinen Begleitern gemacht?« fragte ich.
»Wir haben sie nackt liegenlassen.« Dann blickte er nach achtern, wo die kleinen Boote nun zurückblieben. »Anscheinend kann man sich auf keinen mehr verlassen.«
Dann ging er zu Aelgifu und ließ ihr den Knebel abnehmen.
»Offenbar ist diese Nacht doch nicht deine letzte in meinen Fesseln.«
»Du hast das Lösegeld genommen!« rief sie. »Du hast das Geld genommen!«
»Ich habe mehr als Lösegeld genommen.«
»Warum hast du mich dann nicht freigelassen?« fragte sie.
»Weil ich dich haben will. Ich habe zwar gesagt, daß ich das Lösegeld nehme, aber davon, daß ich dich freilasse, war nie die Rede. Dazu bist du viel zu hübsch. Und warum sollte ich die erkleckliche Mitgift verschmähen? Willkommen in der Sklavenfessel!«
6
Die Männer Forkbeards stimmten ein lautes Jubelgeschrei an. Das Schlangenschiff wendete langsam zwischen den hohen Klippen und glitt in den schmalen Wasserweg hinein. Da und dort klammerten sich Flechten und Büsche und sogar kleine Bäume an das Felsgestein. Das Wasser unter uns war tief und kalt.