›Stahl ist die Münze des Kriegers‹, heißt es dort weiter. ›Damit erwirbt er, was ihm gefällt.‹
Als ich aus den Wäldern des Nordens zurückgekehrt war, hatte ich mir Talena, die frühere Tochter des Marlenus, vorführen lassen. Samos hatte sie von zwei Panthermädchen erworben, nachdem ich mein Leben für sie riskiert hatte.
Und so standen wir uns gegenüber.
Wieder sah ich die herrlichen grünen Augen, die vollkommen geschwungenen Lippen, die makellose olivenfarbene Haut.
»Es ist lange her«, sagte ich.
»Ja«, erwiderte sie.
»Viele Jahre sind vergangen«, sagte ich und lächelte. »Ich sah dich zum letztenmal an dem Abend, da wir unsere Gefährtenschaft begannen.«
»Als ich erwachte, warst du fort.«
»Ich habe dich nicht freiwillig verlassen.«
Samos forderte mich mit einem Seitenblick auf, nicht von den Priesterkönigen zu sprechen. Sie hatten mich damals zur Erde zurückgebracht.
»Ich glaube dir nicht«, sagte sie.
»Hüte deine Zunge, Mädchen!« sagte Samos, dem die Sklavin gehörte.
»Ich bin die Tochter von Marlenus aus Ar!« sagte sie stolz.
»Im Wald hast du um deine Freiheit gejammert und darum gebeten, daß dein Vater dich kauft.«
»Ja«, sagte sie.
»Weißt du, daß Marlenus auf sein Schwert und das Medaillon von Ar geschworen und dich als seine Tochter verstoßen hat?«
»Das glaube ich nicht!«
»Du bist nicht mehr seine Tochter. Du bist ohne Kaste, ohne Heimstein und ohne Familie.«
»Du lügst!« rief sie.
»Knie nieder!« grollte Samos und hob seine Peitsche.
»Laß die Strafe«, schaltete ich mich ein.
Samos sah mich mürrisch an.
»Was kostet sie?« fragte ich ihn.
»Ich habe zehn Goldstücke für sie bezahlt.«
Sie schien verblüfft zu sein, daß sie eine so geringe Summe erbracht hatte. Doch für die Jahreszeit und den Ort des Verkaufs war der Preis beachtlich.
»Ich gebe dir fünfzehn«, sagte ich.
»Einverstanden.«
Mit der rechten Hand griff ich in den Beutel an meinem Gürtel, zog die Münzen heraus und reichte sie Samos.
»Binde sie los.«
Samos gehorchte.
»Tausend Goldstücke wären nicht zuviel für mich!« sagte sie. »Als Tochter Marlenus' hätte ein Freier tausend Tarns und fünfhundert Tharlarion aufbieten müssen.«
»Du bist nicht mehr die Tochter des Marlenus aus Ar«, sagte ich.
»Und du bist nicht mehr Tarl Cabot – du Sklave!«
»Ich verstehe nicht, was du meinst«, sagte ich.
»Ich hatte mir die Freiheit herausgenommen«, gestand Samos, »ihr von den Ereignissen im Voskdelta zu erzählen – obwohl ich damals das Ausmaß deiner Verletzungen noch nicht kannte.«
Ich ballte wütend die rechte Faust.
»Es tut mir leid«, sagte Samos.
»Die Geschichte ist kein Geheimnis. Viele wissen davon.«
»Ein Wunder, daß dir überhaupt noch Männer gehorchen!« rief Talena spöttisch. »Du hast deine Ehre verraten! Du bist ein Feigling und ein Tor! Du bist meiner nicht würdig!«
»Warum hast du ihr von den Ereignissen im Voskdelta erzählt?« wandte ich mich an Samos.
»Damit die Liebe, die es vielleicht zwischen euch gegeben hat, endgültig zerstört wird.«
»Du bist grausam.«
»Die Wahrheit ist grausam.«
»Ich möchte zu meinem Vater zurück!« sagte Talena.
Ich zog fünf Goldstücke aus der Tasche. »Mit diesem Gold soll sie von Tarnwächtern sicher nach Ar geleitet werden«, sagte ich zu Samos.
Talena befestigte einen Schleier vor ihrem Gesicht. »Ich lasse dir das Geld zurückschicken«, sagte sie hochmütig.
»Nein, nimm es als Geschenk, als Zeichen für meine frühere Zuneigung.«
»Sie ist ein bösartiger Sleen«, sagte Samos.
»Mein Vater würde diese Beleidigung mit den Tarnkavallerien Ars rächen.«
»Du bist verstoßen!« erinnerte sie Samos und verließ den Saal. Ich hielt die fünf Goldstücke in der Hand.
»Gib mir das Geld«, sagte Talena und entriß mir förmlich die Münzen. »Schau dich an, du Schwächling!« rief sie. »Du kannst ja keinen Finger mehr rühren! Leb wohl!« Und sie verließ den Raum.
Und jetzt saß ich allein in der Dunkelheit meines großen Saals. Talena war längst in Ar. Wie erstaunt und niedergeschlagen mußte sie gewesen sein, als sie erfuhr, daß ihr Vater sie wirklich verstoßen hatte! Sie hatte darum gefleht, als Sklavin gekauft zu werden, und um seine Ehre zu schützen, mußte sich Marlenus von ihr lossagen. Sie gehörte keiner Kaste mehr an; das einfachste Bauernmädchen hatte mehr Rechte als Talena. Marlenus hielt sie bestimmt in seinem Zentralzylinder von Ar gefangen, damit ihre Schande seinen Ruhm nicht befleckte. Ihr Wunsch hatte sich erfüllt: Sie war wieder in Ar – doch als Gefangene.
Ich hatte sie gehen lassen.
Und als Telima aus meinem Haus geflohen war, nachdem ich meinen Beschluß verkündet hatte, in den Wäldern des Nordens nach Talena zu suchen, hatte ich sie ebenfalls ziehen lassen. Ein echter Goreaner wäre ihr gefolgt und hätte sie gewaltsam zurückgeholt. Ich dachte über dieses Verhalten nach; auch über meine Krankheit. Ich hatte die besten Wundärzte Gors zu mir rufen lassen. Aber sie wußten mir nicht viel zu sagen. Allerdings hatte ich erfahren, daß Schäden am Gehirn und an der Wirbelsäule nicht vorlägen. Die Mediziner waren ratlos. Die Wunden waren tief und schwer und würden mir von Zeit zu Zeit Schmerzen verursachen, doch meine Lähmung war ihnen angesichts der Art meiner Verletzungen rätselhaft.
Eines Tages kam ein weiterer Arzt an meine Tür – ein Arzt, den ich nicht gerufen hatte.
»Laßt ihn eintreten«, hatte ich gesagt.
»Er ist ein Flüchtling aus Turia, ein Verbannter«, hatte Thurnock gesagt.
»Laßt ihn vor.«
»Es ist Iskander.«
Der Name Iskander von Turia war mir bekannt. Obwohl der Mann die Mauern seiner Heimatstadt seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte, führte er ihren Namen noch immer in seinem Titel. Man hatte ihn verbannt, nachdem er vor den Mauern Turias einen jungen Tuchukkrieger namens Kamchak verarztet hatte. Wie so viele andere war er nach Port Kar gekommen und hatte dort eine neue Karriere begonnen. Jahrelang war er Privatarzt Sullius Maximus' gewesen, einer der fünf Ubars von Port Kar in der Zeit vor der Machtübernahme durch den Kapitänsrat. Als Sullius Maximus aus der Stadt fliehen mußte, war Iskander zurückgeblieben.
Iskander aus Turia stellte genau dasselbe fest wie die anderen Ärzte. Als er aber seine Instrumente wieder in dem Beutel verstaut hatte, den er über der Schulter trug, fügte er hinzu: »Die Wunden sind dir durch Tyrosklingen zugefügt worden.«
»Ja.«
»Es befindet sich ein kaum feststellbares Giftmittel in den Wunden.«
»Bist du sicher?«
»Ich habe es noch nicht konkret festgestellt – aber es dürfte keine andere Erklärung geben.«
»Ein Giftmittel?« fragte ich.
»Vergifteter Stahl.«
Ich schwieg.
»Sullius Maximus«, fuhr er fort, »ist in Tyros.«
»Ich hätte nie für möglich gehalten, daß Sarus aus Tyros vergiftete Klingen benutzen würde.« Ein solches Verhalten verstieß nicht nur gegen den Ehrenkodex des Kriegers, sondern galt grundsätzlich als unwürdig für einen Mann. Gift war die Waffe der Frau.
Iskander zuckte die Achseln. »Sullius Maximus hat ein solches Mittel gefunden. Er probierte es mit Nadelstichen an den Gliedern eines gefangenen Gegners aus und lähmte ihn vom Hals abwärts. Er ließ ihn über eine Woche lang zu seiner Rechten sitzen, als prunkvoll gekleideten Gast. Als er des Vergnügens überdrüssig wurde, ließ er ihn enthaupten.«
»Gibt es ein Gegenmittel?«
»Nein.«
Ich lachte bitter auf, als ich an dieses Gespräch zurückdachte.
In diesem Augenblick gab es Unruhe am Eingang zur Halle. »Kapitän!« rief eine Stimme. Es war mein alter Freund Thurnock. Hinter ihm wurden eilige Schritte laut. Offenbar liefen Mitglieder des Haushalts zusammen.
»Ich muß sofort vorgelassen werden!« verlangte eine fremde Stimme. Ich fuhr hoch. Es war die Stimme Samos', des Ersten Sklavenhändlers von Port Kar.