»Was ist los?« rief einer der Männer an den Tischen.
Hinter uns wurden die mächtigen geschnitzten Türen aufgestoßen. Auf der Schwelle, lodernde Silhouetten vor den lodernden Flammen, standen riesige zottige Gestalten.
Einer der Angreifer sprang in die Halle. In einer Hand hielt er eine riesige Axt, deren Griff etwa acht Fuß lang war und deren Klinge von Spitze zu Spitze an die zwei Fuß maß. Mit dem anderen Arm hielt das Wesen einen großen runden Eisenschild; Schild und Axt wurden gehoben, die Arme waren unglaublich lang, etwa sieben Fuß; um den linken Arm des Wesens zog sich ein goldenes Spiralband. Es war der Kur, der vor der Versammlung gesprochen hatte.
Das Ungeheuer warf den Kopf in den Nacken, öffnete mit blitzenden Augen das Maul und stieß den Blutschrei des erregten Kur aus, dann duckte es sich mit hochgezogenen Schultern, schob die Krallen aus den weichen Ballen und legte die Ohren an.
Niemand rührte sich.
Umgeben von anderen Kurii, stieß das Wesen einen schrillen Schrei aus, einen fürchterlichen Laut, den ich als Lustschrei empfand.
Ich sollte später erfahren, daß ein Kurii diesen Laut instinktiv ausstößt, bevor er Blut zu trinken bekommt.
Und dieser Schrei wirkte wie ein Anregungsmittel auf die anderen; der Laut wurde von anderen wiederholt, und mit wirbelnden Äxten griffen die Kurii an.
13
Ich sah den abgetrennten Oberkörper eines Mannes durch die Luft fliegen.
Kurii sprangen von den Längsseiten der Halle herab und streckten die Männer nieder, die zu ihren Waffen eilen wollten. Die Holzschilde der Torvaldsländer vermochten die gewaltigen Äxte der Angreifer nicht aufzuhalten. Immer wieder gruben sich die Klingen der Kurii-Äxte in die Leiber von wehrlosen Männern, die vergeblich versuchten, ihre Waffen zu erreichen.
In dem dichten Rauch vermochte ich kaum zu atmen. Meine Augen brannten. Dicht neben mir schrie ein schwerverletzter Mann. Einen Augenblick lang spürte ich nur den Lehmboden unter mir, das Stroh, das darauf lag, den wirren Wald aus hastenden Füßen. Meine linke Hand glitt in dem Durcheinander aus – Blut. Wieder mußte ich einen Tritt einstecken, doch schließlich kam ich hoch. Die entsetzte Menge drängte mich sinnlos ein Dutzend Meter in diese, dann in jene Richtung. Ich konnte nicht einmal meine Waffe ziehen.
Immer wieder hieben die Kurii-Äxte zu. Durch die Halle gellte wildes Geschrei. Ich sah, wie ein Krieger, dessen Rückgrat zerschmettert worden war, von einer pelzigen, krallenbewehrten Hand in die Luft gehoben und hundert Fuß weit gegen die rückwärtige Wand der Halle geschleudert wurde. Ein anderer Torvaldsländer hing schlaff in den Fängen eines Kur. Ich hoffte, daß er nicht mehr lebte; im nächsten Augenblick schlossen sich die Kiefer des Ungeheuers um seinen Kopf.
Ich warf einen kurzen Blick auf Ivar Forkbeard, der Hilda am Arm führte und mit ihr einen der Nebenräume zu erreichen versuchte. Er brüllte seinen Männern, die sich um ihn drängten, Befehle zu. Svein Blue Tooth stand auf dem langen Tisch. Im Lärm des Kampfes vermochte ich ihn nicht zu verstehen.
Eine gewaltige Kurii-Axt sauste dicht an mir vorbei. Vier Männer, die dem Hieb auszuweichen versuchten, wurden niedergestreckt. Die Menschen, die den Kurii am nächsten waren, versuchten sich in der Menge zu verkriechen. Die Ungeheuer drängten uns immer mehr zusammen, so daß nur wenige Männer überhaupt ihre Waffen einsetzen konnten.
Hinter den Kurii versuchten einige Männer durch die große offene Doppeltür der Halle zu fliehen. Ich sah sie als dahinhuschende Gestalten vor der draußen tobenden Feuersbrunst. Aber dort draußen waren noch weitere Kurii zu sehen. Die Männer flohen geradewegs vor die Äxte dieser Ungeheuer, die keine Gnade kannten.
Ich bemerkte, daß es mehreren von Forkbeards Männern gelungen war, in einen Nebenraum zu entkommen. Gorm und Ottar gehörten zu dieser Gruppe. Ich hoffte, daß sie fliehen konnten. Vielleicht gelang es ihnen, die Membran aus einem Fenster zu stoßen und in dem draußen herrschenden Durcheinander zu fliehen.
Zu meiner Überraschung erschien kurz Forkbeard in der Tür des Nebenzimmers und sah sich um. Sein Gesicht war von den Bränden rot angestrahlt. In der Hand schwenkte er sein Schwert.
Hilda sah ich nicht. Ich vermutete, daß sie mit den Männern den kleinen Raum erreicht hatte. Ich hoffte, daß sie mit den anderen fliehen konnte, vielleicht über den Laufsteg und über die Palisade.
Da fiel mein Blick auf Forkbeard, der eine Hand um den Oberarm Rollos gelegt hatte und ihn zur Tür des Nebenraums führte. Obwohl ringsum ein unentwirrbares Durcheinander herrschte, wirkte der riesige Mann nicht im geringsten beunruhigt. Seine Augen starrten ins Leere. Er wurde wie ein Kind in den kleinen Raum geführt. Ich sah, daß seine Axt blutverschmiert war. Das Blut der Kurii hat eine ähnliche chemische Zusammensetzung wie das der Menschen und ist ebenfalls rot. Der Hauptunterschied besteht darin, daß das Blut der Kurii salzhaltiger ist, was in Wasser besonders proteinauflösend wirkt. Die Kurii können deshalb Fleischmengen verzehren und verdauen, an denen ein Mensch zugrundegehen würde.
Rollo verschwand in dem kleinen Zimmer.
Von rechts hörte ich den Schrei einer Sklavin und sah, wie ein Kur sie fesselte. Er zerrte das Mädchen hinter sich her in eine Ecke, wo ein weiterer Kur wartete, der bereits mehrere gefesselte Mädchen bewachte. Die Sklavin kniete sich hastig zu ihren Leidensgenossinnen. Erschaudernd dachte ich daran, daß die Kurii Menschenfrauen als Delikatesse betrachteten.
Hinter mir hörte ich Axtschläge und versuchte mich aus der Menge freizukämpfen.
Der Lärm wurde von Menschen verursacht. Als ich mich umdrehte, sah ich Svein Blue Tooth und vier andere, die sich bemühten, ein Loch in die Außenwand zu hacken. Allerdings kamen sie kaum voran, da sie in dem Gedränge sehr behindert waren.
In der Nähe erblickte ich Forkbeard, der noch nicht geflohen war. Er hatte das Schwert gezogen, das ihm gegen die gewaltigen Metallschilde und die hin und herfahrenden Äxte der Kurii kaum etwas nützen konnte. Die Ungeheuer vermochten einen Gegner niederzustrecken, ehe er überhaupt an sie herankam, auch wenn er mit dem Langschwert des Nordens bewaffnet war.
Forkbeard sah sich um.
Es waren über tausend Männer in der Halle gewesen. Etwa dreihundert lagen bereits in ihrem Blut, vorwiegend an den Wänden, unter den Waffen, die sie in den meisten Fällen nicht mehr erreicht hatten.
Ich sah den Kur, der das Sklavenmädchen gejagt hatte. Wieder näherte er sich der Ecke, in der die Mädchen bewacht wurden – er hatte neue Beute gefunden. Gleich darauf wandte er sich ab, um sich eine weitere Delikatesse aus der Menschenmenge in der Halle herauszufischen.
Zu beiden Seiten standen die Kurii nun zwischen uns und den Waffen. Auf diese Weise waren uns auch die Seitentüren versperrt. Ebenso standen die Kurii mit kampfbereit erhobenen Äxten vor dem Eingang zur großen Halle. Sechs- oder siebenhundert Männer waren in der Mitte zusammengedrängt, praktisch umringt. In unserem Rücken befand sich die Westwand der Halle. »Macht Platz!« brüllte Svein Blue Tooth. »Wir müssen mit den Äxten ausholen!«
Die Männer versuchten vor den Kurii zurückzuweichen, die langsam mit erhobenen Äxten näher kamen.
Ich schaffte es, mich aus der Menge zu lösen und zwischen mir und den Männern und den Kurii eine Position am Rande einzunehmen. Wenn ich niedergestreckt wurde, dann sollte das unter Umständen geschehen, die mir freie Bewegung erlaubten. Ich zog mein Schwert.
Ich sah, wie einer der Kurii die Zähne fletschte.
»Deine Klinge ist nutzlos«, sagte Ivar Forkbeard, der plötzlich neben mir auftauchte.
Der Kur kam näher.
In diesem Augenblick ertönte ein Schrei von oben. Aufblickend sah ich, daß ein Mann von dem Balkon herabgeworfen wurde, der etwa dreißig Fuß über dem Boden um die Halle führte. Die Kurii hatten sich also dort oben auch durchgesetzt.