»Zuerst du, Forkbeard!« Ich wollte nicht ohne ihn fliehen. Wir hatten Kaissa miteinander gespielt.
»Du bist ein Narr!« brüllte er.
»Ich weiß noch nicht, wie man den Angriff mit der Jarls Axt abschlägt!« rief ich.
Dann steckte ich mein Schwert ein und lehnte mich lässig an die Wand. Ich hatte die Arme verschränkt.
»Narr!« brüllte er noch einmal und sah sich um, musterte die Männer, die nicht kämpfen konnten, die sich nicht zu bewegen vermochten.
Dann rammte er sein Schwert in die Scheide, sprang in die Höhe und klammerte sich an einer der Tharlarionöllampen fest.
Die beiden Kurii, die mich belauerten, hatten ihre Äxte gehoben.
Ich wandte mich dem Tisch zu, neben dem ich stand. Die beiden Äxte bissen sich gleichzeitig in die dicke Tischplatte. Riesige Splitter stoben in alle Richtungen davon. Ich sprang über den Tisch. Hinter mir erklang das verblüffte Knurren der Kurii.
Im nächsten Augenblick hatte ich meine Hände um eine der großen schwingenden Bronzelampen gelegt. Heißes Öl schwappte heraus. Ich pendelte hin und her. Mein linker Ärmel fing an der Dochtflamme Feuer.
Ein Kur unter mir stieß einen Schmerzensschrei aus; ich blickte hinab und zog mich hastig hoch, um einem Axthieb auszuweichen; einer der Kurii torkelte herum; die öldurchtränkte linke Seite seines Kopfes stand in Flammen. Das Wesen schrie durchdringend und betastete sein linkes Ohr. Mit kräftigen Bewegungen kletterte ich an der Kette hoch. Im nächsten Augenblick geriet die Lampe unter mir in Bewegung. Ich klammerte mich verzweifelt fest. Das Feuer an meinem rechten Ärmel züngelte, und ich kam außer Atem. An der Kette war Blut. Die Kurii heulten unter mir. Ich zog mich weiter hoch. Im nächsten Augenblick wirbelte eine Axt an mir vorbei und grub sich in eine der Querstreben des Daches. Ich kletterte weiter und erkannte plötzlich, warum die Kette so straff gespannt war. Der Balken über mir ächzte; die Kette war nun gespannt wie ein Kabel; die Kettenglieder mußten eine ungeheure Last tragen und begannen zu knirschen – unter mir hing ein gewaltiger Kur an der Kette, der sich an den Aufstieg machte. Der Ring über mir, durch den die Kette verlief, bog sich zum Teil auf. Hastig legte ich die letzten Fuß zurück und warf den Arm über einen Dachbalken. Ich spürte, wie Klauen nach meinem Bein griffen, sich darum schlossen. Ich ließ den Balken los und hängte mich mit dem Kriegsschrei Ko-ro-bas um den Hals des verblüfften Kur und griff mit Händen und Zähnen an. Steife Finger bohrten sich wie Dolche in seine Augen. Meine Zähne zerrten an den Adern seiner Handgelenke und an den Armen, die sich an der Kette festklammerten. Und in diesem Augenblick erkannte ich – und auch der Kur –, daß es auf Gor Tiere gab, die ebenso barbarisch waren wie die Kurii – kleinere, schwächere Tiere, aber auf ihre Art nicht weniger bösartig und nicht weniger schrecklich. Das Wesen wehrte mich schreiend ab, ließ mich los, doch ich klammerte mich an seinen Schultern fest und biß ihm halb das Ohr durch. Dann zog ich mich wieder auf den Balken hinauf. Unter mir klaffte eine rote Öffnung voller Reißzähne wie weiße Nägel; ich zog mein Schwert, und als das Ungeheuer mir mit blutenden Augen und zerrissenem Ohr nachkletterte, hieb ich ihm die Hand ab. Es stürzte, wurde kleiner und prallte schließlich schwer auf den Lehmboden vierzig Fuß unter mir. Dabei brach es sich den Hals.
Ich riß den glimmenden Ärmel ab und stieß ihn mit der Schwertspitze in das Gesicht des zweiten Kur; die abgetrennte Hand des ersten hatte sich noch immer in die Kette verkrallt. Der zweite Kur zerrte das brennende Tuch von seinem zerstochenen Gesicht. Dann biß er nach der Klinge und schnitt sich dabei in das Maul. Er griff nach dem Balken, doch ich schlug ihm die Finger ab, und auch dieses Wesen verlor das Gleichgewicht und stürzte in die Tiefe.
»Komm!« rief eine Stimme.
Ich sah Forkbeard auf einem Balken in der Nähe.
»Beeil dich!« rief er.
Hustend erwehrte ich mich des nächsten Kur und trieb ihm die Schwertspitze durch das Ohr ins Gehirn. In diesem Augenblick stürzte ein Teil des brennenden Daches ein, Funken stoben.
»Beeil dich!« rief eine Stimme wie aus weiter Ferne. Ich hieb auf den nächsten Kur ein, der wutschnaubend nach mir greifen wollte. Der Ring, durch den die Kette verlief, vermochte das Gewicht der Kurii nicht länger zu tragen und löste sich knirschend aus dem Holz. Ich sah, wie Ring und Kette nach unten zuckten. Vier Kurii, die mir hatten folgen wollen, stürzten in die Tiefe. Ein anderer Teil des Dachs, kaum zwanzig Fuß entfernt, senkte sich dem Boden entgegen. Unter mir, von Funken und Qualm verdeckt, sah ich zahlreiche Kurii, die zu uns emporblickten, voller Wut darüber, daß ihnen die Beute entkam. Knapp ein Dutzend Schritte von ihnen entfernt stürzte ein weiterer Balken ab. Der Anführer der Kurii schrie einen Befehl. Seine blitzenden Augen starrten zu mir herauf; um seinen linken Arm lag das goldene Spiralband. Im nächsten Augenblick machte er mit den anderen kehrt und trottete aus der Halle. Ich steckte mein Schwert ein.
»Beeil dich!« rief Forkbeard wieder.
Ich sprang von Balken zu Balken und hockte mich neben ihm nieder. Ihm folgend, zwängte ich mich durch eins der Abzugslöcher. Nun standen wir auf dem mit Holzschindeln gedeckten Dach der Brennenden Halle.
»Mir nach!« rief Forkbeard.
In der Ferne sah ich den Torvaldsberg. Mondlicht spiegelte sich auf dem Schnee. Forkbeard eilte zur Nordwestecke der Halle und verschwand unter der Dachkante. Ich schaute hinab und sah, wie er mit schnellen Bewegungen hinabkletterte, wobei er die Vertiefungen und Vorsprünge der herrlichen Schnitzereien am Eckbalken ausnutzte. Mit angesengtem Arm, pochendem Herzen und keuchenden Lungen folgte ich ihm in die Tiefe.
14
Auf den Schneehängen des Torvaldsberges war die Mittagsstunde angebrochen.
Ivar und ich sahen uns um. Wir konnten unsere Verfolger sehen, vier an der Zahl, vier schwarze Punkte.
»Wir wollen ausruhen«, sagte Ivar.
Ich kniff die Augen zusammen, um sie vor der grellen Sonne zu schützen, die von den Schneeflächen reflektiert wurde. Forkbeard setzte sich mit dem Rücken an einen Felsen. Auch ich nahm Platz, mit untergeschlagenen Beinen, wie ein Krieger.
Wir waren am Eckpfosten von Svein Blue Tooths Halle hinabgeklettert. Im Licht des brennenden Gebäudes sahen wir überall verstreut Leichen liegen. Einige Kurii waren dabei, sich an ihnen gütlich zu tun. In einer Ecke des Palisadenzauns drängten sich die Mädchen zusammen, bewacht von mehreren Kurii. Wir sprangen ungesehen in den Hof und hielten uns im Schatten der Halle. In einem günstigen Augenblick erreichten wir ungesehen die Palisade und kletterten hinüber.
Ich öffnete die Augen und blickte ins Tal hinab. Die vier Punkte waren größer geworden.
Nach unserer Flucht aus der Halle Svein Blue Tooths hatte Forkbeard darauf bestanden, daß wir uns in seinem Lager umsahen. Das Unternehmen war gefährlich gewesen. Zu unserer Bestürzung wimmelte es in der Gegend von Kurii. Ihre Zahl war nicht zu schätzen – es mochten Hunderte, sogar Tausende sein. Sie schienen sich überall zu befinden. Zweimal wurden wir verfolgt, doch im Gewirr der Spuren und abgelenkt von frischem Blut hatten unsere Verfolger die Fährte verloren. Einmal sahen wir, wie sich zwei Kurii wegen eines Opfers stritten. Ein paarmal warfen wir uns zwischen Gefallenen zu Boden und stellten uns tot. Mehrfach kamen wir ganz dicht an fressenden Ungeheuern vorbei, die uns gar nicht bemerkten. Offenbar war der Angriff gleichzeitig gegen die Halle und das Thinglager gerichtet gewesen. Aber zutiefst entsetzt waren wir, als wir feststellten, daß sich Menschen zwischen den Kurii bewegten, Menschen, die nicht angegriffen wurden. Die Männer trugen gelbe Tücher. Offenbar hatten die Kurii menschliche Verbündete gefunden.
»Schau mal«, sagte Forkbeard und deutete zum Strand hinab. Einige Meter vom Ufer entfernt entdeckten wir zwischen den anderen Schiffen eine neue Armada. Ihre dunklen Umrisse bewegten sich behäbig im Wasser.