Выбрать главу

Die Kurii-Herden waren ruhig; der Wind stand gegen uns. Ich sah die weiße Verrherde, Hunderte von Tieren, die im nordwestlichen Eck des Lagers eingepfercht waren; in der Nordostecke befanden sich die Tarskgehege, die man bis hierher roch. Die Bosks befanden sich im Süden des Lagers. Sie bildeten einen wichtigen Teil unserer Strategie. Sie sollten verhindern, daß die Kurii nach Süden entkamen. Die Herde bestand aus mehreren tausend Tieren. Die Nordseite des Lagers sollte ungeschützt bleiben – ein scheinbarer Ausweg, der die Kurii – sollte sich das Kriegsglück gegen sie wenden – hoffentlich zur Flucht in diese Richtung veranlaßte.

Etwa in der Mitte des Lagers, südöstlich gelegen, befand sich eine Herde von Kurii-Beutestücken; auch diese Wesen befanden sich in einem Gehege, das mehr als einen Viertel-Pasang breit war und aus zusammengebundenen Holzstangen bestand. Dieses Gehege wurde von gezähmten Sleen bewacht.

Nordwestlich von der Mitte des Lagers sah ich die Zelte Thorgards von Scagnar und seiner Männer.

Die Kurii hatten es mit ihrem Marsch in den Süden nicht eilig gehabt. Vor mehreren Tagen war es ihnen nicht gelungen, die Torvaldsländer dazu zu bringen, ihnen Vorräte für ihren Marsch zur Verfügung zu stellen. Nach ihrem überwältigenden Sieg am Abend von Svein Blue Tooths Fest, bei dem die Halle niedergebrannt und das Thinglager vernichtet worden war, hatten sie ein eigenes Lager errichtet und sich methodisch daran gemacht, Proviant zusammenzutragen. Hunderte von Trupps hatten die Berge und Täler durchkämmt, hatten Höfe niedergebrannt und Vorräte geplündert, Werkzeuge und Waffen erbeutet, Menschen und Tiere zusammengetrieben und ins Lager geschafft. Zur gleichen Zeit hatte Svein Blue Tooth hundert Pasang weiter südlich seine Kampfgefährten um sich versammelt.

In diesen Tagen hatte ich mich viel mit den Kurii beschäftigt. Die Trupps der Kurii, die normalerweise aus sechs Wesen bestanden, wurden zumeist von ausgebildeten Sleen begleitet. Bei meinen Kundschaftergängen mußte ich mich zweimal dieser Tiere erwehren. Sie werden verschieden eingesetzt; einige dienen nur als Wachtiere, andere fungieren gewissermaßen als Kundschafter beim Vorrücken von Kampfverbänden, und wieder andere sind noch besser ausgebildet und werden eingesetzt, um Menschen zu jagen, insbesondere Sklavinnen, die sie ohne viel Umstände über Land in das Lager der Kurii treiben.

Ich blickte zum Torvaldsberg hinüber. Der Gipfelschnee schimmerte in der Sonne.

Im Tal unter uns befand sich das Lager der Kurii noch im Dunkeln. Wir hörten das leise Heulen eines Sleen. Ich fragte mich, ob Kurii träumen konnten. Es war anzunehmen.

»Bald ist es soweit«, sagte Ivar Forkbeard zu mir.

Ich nickte.

Von unten hörten wir plötzlich den Jagdschrei eines Sleen, gefolgt von den Stimmen zweier anderer Tiere.

Ich beneidete Hilda nicht. Die Kurii würden sich nicht weiter um die Sleen kümmern, die ihrer Aufgabe nachkamen, ein geflohenes Tier einzufangen und zur Herde zurückzubringen. Die Dämmerung strich über das Tal. Aus dem Lärm der Sleen schlossen wir, wo sich Hilda befand.

»Dort«, sagte Ivar und hob die Hand.

Die Sleen stellten das Mädchen nördlich von der Boskherde. Wir sahen ihren bleichen Körper und die dunklen, geschmeidigen Silhouetten, die sich ihr näherten. Dann war sie umringt und blieb stehen. Die Sleen wichen zur Seite und deuteten ihr damit an, in welche Richtung sie gehen sollte. Zwei Sleen trieben das Mädchen sodann vor sich her.

Im nordwestlichen Teil des Lagers befand sich die Verrherde, im Nordosten lagen die Tarskgehege, im Süden wurden die Bosk festgehalten, und etwas südöstlich von der Lagermitte wurde eine ganz anders geartete Herde bewacht – und zu diesem Gehege wurde die Tochter Thorgards von Scagnar getrieben. Alles ging nach Plan. Nachdem die Sleen ihre Beute abgeliefert hatten, nahmen sie ihre Patrouille wieder auf. Ein Tier war zur Herde geführt worden, und sie interessierten sich nicht mehr dafür, solange es nicht zu fliehen versuchte. Wir sahen Hilda zu den anderen eilen, die dort auf dem zertrampelten Rasen hockten.

»Ich wünschte«, seufzte Ivar Forkbeard, »ich hätte auch so eine Herde.«

Die Herde bestand aus schlanken zweibeinigen Tieren.

»Einige der Mädchen gehören dir«, erinnerte ich ihn.

»Die werde ich mir auch zurückholen.«

In dieser Herde befanden sich vermutlich mehrere unserer Frauen: Thyri, Aelgifu, Gunnhild, Schmollmund, Honigkuchen, Leah – und jetzt Hilda, die inzwischen Forkbeards Lieblingssklavin geworden war.

Jetzt teilte Hilda den verängstigten Mädchen unsere Anweisungen mit. Nun mußte sich erweisen, ob sie Sleen und Kurii mehr fürchteten als ihre Herren. Wenn sie nicht gehorchten, war ihr Leben verwirkt. Sie erhielten einen Befehl, und als Sklaven mußten sie gehorchen.

Die Sonne beleuchtete nun den Gipfel des Torvaldsbergs.

»Bindet die Tücher um«, sagte Svein Blue Tooth. Die Anordnung wurde von Mann zu Mann weitergegeben. Auf der anderen Seite des Tals mußten ähnliche Vorbereitungen im Gange sein. Jeder von uns band sich ein gelbes Tuch an die Schulter – das Zeichen, an dem die Kurii ihre Verbündeten, die Männer Thorgards von Scagnar, erkannten. Auch wir wollten dieses Zeichen tragen – zur Rache an jenen, die ihre Artgenossen verraten hatten.

»Haltet die Waffen bereit«, sagte Svein Blue Tooth. Die Männer kamen in Bewegung.

Es kam mir seltsam vor, daß sich Menschen, einfache Menschen, zum Kampf gegen die Kurii rüsteten. Aber in diesem Augenblick hatte ich noch keine Ahnung von dem großen Zorn, der in ihnen loderte.

Svein Blue Tooth hatte den Kopf gesenkt.

Ich spürte die seltsame Erregung als erstes bei dem riesigen Rollo. Es war kein menschlicher Laut; es war ein Schnauben, ein Knurren, das aus seiner Kehle drang, wie der Laut eines Larl, der aus dem Schlaf geweckt wird. Meine Nackenhaare sträubten sich. Der riesige Kopf wurde langsam gehoben. Rollo öffnete die Augen, und ihr Blick war nicht mehr leer, sondern in ihrer Tiefe schien ein schreckliches Feuer zu leuchten. Seine Fäuste öffneten und schlossen sich, seine Schultern waren hochgezogen. Halb geduckt stand er da, während das Etwas, die Wut, der Wahnsinn, in ihm zu toben begann.

»Es beginnt«, sagte Ivar Forkbeard zu mir.

»Was meinst du?« fragte ich.

Ich sah, wie Svein Blue Tooth, der Jarl Torvaldslands, den Kopf hob, doch er schien nicht mehr bei Sinnen zu sein. Sein Gesicht kam mir plötzlich verändert, ja völlig fremd vor. Ruckartig fuhr seine Hand über die Speerklinge. Entsetzt bemerkte ich, daß er sich tief in die Hand geschnitten hatte und sein eigenes Blut ableckte.

Ein Mann kämpfte gegen das Gefühl, das ihn zu sprengen drohte. Dabei riß er sich das Haar büschelweise aus. Ein anderer ließ den Kopf hin und her rollen; sein Körper bebte. Er murmelte unverständliche Worte. Ein dritter Kämpfer warf seinen Schild zur Seite und riß sich das Hemd auf. Andere stöhnten und begannen zu knurren wie erregte Tiere, die sich kaum noch beherrschen konnten. Jene, die von dieser Erscheinung noch nicht berührt waren, verharrten entsetzt zwischen ihren Kampfgefährten. Sie befanden sich in einer Horde von Ungeheuern; doch die Erregung griff um sich.

»Das ist die Wut Odins«, sagte Forkbeard. »Die Wut Odins.«

Einer nach dem anderen wurden die Männer davon angesteckt. Das Phänomen schien beinahe etwas Greifbares zu sein, etwas, das von einem Krieger zum nächsten übersprang. Man hatte fast das Gefühl, diese Wut zu sehen – doch in Wirklichkeit waren nur die Auswirkungen zu bemerken, wie eine gespenstische Seuche, wie ein unsichtbares, verzehrendes Feuer, wie die Berührung durch die Götter, durch die harten, grausamen Götter Torvaldslands. Und die Macht dieser Götter war schrecklich.