Ivar Forkbeard warf plötzlich den Kopf in den Nacken und schrie lautlos zum Himmel empor. Das Etwas hatte ihn berührt.
Ringsum atmeten die Männer schwer, knirschten mit den Zähnen, kämpften mit dem Drang in ihrem Innern.
Ich mußte den Blick von Ivar Forkbeard abwenden. Er war nicht mehr der Mann, den ich kannte. Seinen Platz hatte ein Ungeheuer eingenommen.
Ich blickte ins Tal hinab. Dort unten schliefen die Kurii. Noch zu gut erinnerte ich mich an die Mordgier dieser Bestien, an das grauenhafte Massaker, das sie in der Halle Svein Blue Tooths angerichtet hatten.
Plötzlich spürte ich in mir ein seltsames Gefühl. »Wahnsinn!« sagte ich mir. In dem Lager unter uns schliefen die Kurii, die gemordet hatten, die ein nächtliches Massaker angerichtet hatten. Unter uns schliefen ahnungslos unsere Feinde.
Ich bekämpfte die Gefühle, die mich durchströmten – doch ebensogut hätte ich mich gegen die Gewalt eines Vulkans stellen können.
Ich öffnete die Augen.
Das Tal unter uns schien gerötet vor Wut, der Himmel war rot, ebenso die Gesichter der Männer in meiner Nähe. Eine Woge der Aggression staute sich in mir. Ich wollte zuschlagen, hacken, zerren, vernichten. Die Erscheinung hatte mich berührt und mich in eine unheimliche rote Welt des Zorns gestürzt.
Svein Blue Tooth hatte Schaum vor dem Mund. Seine Augen blitzten wie die eines Wahnsinnigen.
Ich hob meine Axt.
Die vielen tausend Torvaldsländer zu beiden Seiten des Tals machten sich bereit. Ich spürte ihren Erregungszustand, ihren unerträglichen Drang, ihre unbezähmbare Spannung.
Der Signalspeer in der Hand des bebenden Blue Tooth wurde angehoben. Die zahllosen Krieger hielten eine Sekunde lang den Atem an. Dann blitzte die Sonne auf dem Schild. Der Signalspeer deutete auf das Tal.
Mit einem wilden Schrei stürmte die Streitmacht hangabwärts. Die Torvaldsländer griffen an!
17
Der Kur sank von der Klinge. Brüllend sprang ich auf einen zweiten zu und machte ihn nieder, ehe er sich erheben konnte, dann tötete ich einen dritten.
Im Augenblick des Angriffs hatten die Sklavenmädchen im Gehege die Befehle befolgt, die Hilda ihnen übermittelt hatte. Zu Hunderten waren sie aus der Umzäunung ausgebrochen und eilten durch das Lager. Die Herdensleen hüpften zwischen ihnen herum, doch bei der Menge der Sklavinnen hatten sie Mühe, sich einzelne Mädchen herauszusuchen, um sie ins Gehege zurückzutreiben. Kaum hatte sich ein Sleen eine Sklavin vorgenommen, eilten drei oder vier andere an ihm vorbei und brachten ihn von seiner Beute ab, die ihrerseits davoneilte und später dann half, andere Sleen abzulenken. Viele Mädchen ließen sich allerdings zurückbringen, um gleich darauf an einer anderen Ecke des Geheges wieder auszubrechen.
Ein Kur hob seine gewaltige Axt. Ich griff an, und meine Klinge fand ihr Ziel, ehe er zuschlagen konnte.
Ich zerrte meine Waffe frei. »Tarl Rothaar!« rief in diesem Augenblick eine Stimme. Ich wandte mich um. Es war Thyri, die ich jedoch im ersten Augenblick nicht erkannte. Blutüberströmt stand ich da, die Axt erhoben. Der Kur lag zuckend zu meinen Füßen. Entsetzt hob das Mädchen die Hand vor den Mund und huschte davon.
Ich sah, wie ein Kur einen Mann aus Thorgard von Scagnars Lager ergriff und ihm den Kopf vom Körper riß.
Die Angreifer trugen gelbe Tücher an der Schulter wie sie. Viele Kurii waren in der ersten Verwirrung dieser Täuschung zum Opfer gefallen. Inzwischen versuchten sie ohne Unterschied jeden bewaffneten Mann zu vernichten. So starben zahlreiche Kämpfer Thorgards unter den Fängen und Klingen der Kurii, und mehrere Kurii wurden auch von Thorgards Kämpfern erledigt, die sich natürlich ihrer Haut zu wehren versuchten.
Einmal sah ich Thorgard von Scagnar. Ivar Forkbeard versuchte sich sofort zu dem Mann durchzukämpfen, wurde aber von Kurii und einigen Kriegern abgedrängt und stürzte sich sofort wieder in den Kampf.
Ich hörte zwei Sklavenmädchen kreischen.
Ich sah zwei Kurii, die sich an Gorm heranschleichen wollten. Zweimal schwang ich meine Axt – einmal nach links, einmal nach rechts – und durchtrennte ihnen das Rückgrat.
In seinem Wahn hieb Gorm wie von Sinnen auf die beiden toten Kurii ein.
Schulter an Schulter kämpften Bjarni aus dem Thorstein-Lager und der junge Mann, dessen Champion ich bei dem Duell gewesen war.
Ich roch Feuer. Kurii heulten und brüllten durcheinander.
Ein Kur wich humpelnd vor Ottar zurück. Dieser verfolgte das Wesen mit wildem Blick und streckte es schließlich nieder.
Ich sah den riesigen Torvaldsländer Hrolf, den Mann aus dem Osten, der großartig kämpfte. Mit lautem Schrei stieß er einem Kur den Speer durch die Brust.
Ein anderer Kur griff an. Ich trat zur Seite und versetzte ihm einen gewaltigen Axthieb in den Leib. Ein zweiter Kur hielt unentschlossen inne. Als ich etwas die Balance verlor, griff er an. Ich zog den Axtgriff nach vorn, erwischte ihn damit im Bauch und stieß ihn zur Seite. Ich sprang auf, ließ meine Axt kreisen und traf den Hals des Ungeheuers.
Dem nächsten Kur trat ich ganz offen entgegen. Der Griff seiner Axt legte sich über den Griff meiner Waffe und zwang mich auf ein Knie nieder. Langsam richtete ich mich wieder auf und drängte die Waffe, die von beiden Klauen des Kurs gehalten wurde, zurück. Das Wesen stemmte sich mit voller Kraft gegen mich, überzeugt, daß es einen Menschen zu erdrücken vermochte. Ich hielt lange genug stand, um zu erkennen, daß ich es schaffte, dann zog ich meinen Griff hastig zurück, drehte mich zur Seite und hob meine Waffe erneut. Der Kur stolperte vorwärts, und ich trat auf den Griff seiner Axt. Das Wesen versuchte die Waffe wieder in seine Gewalt zu bringen. Vor meiner erhobenen Axt rollte es sich verzweifelt zur Seite. Mein Schlag traf das linke Schulterblatt. Heulend sprang der Kur auf und wich mit entblößten Fängen vor mir zurück. Ich folgte ihm. Er wandte sich plötzlich zur Flucht, doch ich erwischte ihn vor dem Eingang eines Pavillonzelts, das Thorgard von Scagnar gehörte. Der Kur hatte kehrtgemacht und wich langsam zurück. Dabei stieß er gegen eine Zeltleine und riß den Haltepflock aus dem Boden. Ich sprang vor und schlug noch einmal zu. Der Kur verschwand blutend im Zelt, aus dem sofort das Geschrei zahlreicher Sklavinnen ertönte.
Ich folgte dem Kur, der jetzt mit dem rechten Arm nach einer der Zeltstangen griff und sie aus dem Boden zog. Ein Teil des Zeltes stürzte ein. Er stieß mit der Zeltstange nach mir. Ich wartete ab. Das Wesen war vom Blutverlust geschwächt. Wieder machte es kehrt, floh zur gegenüberliegenden Zeltwand und versuchte die Seide zu zerreißen. Dabei erwischte ich es. Ich zog meine Axt aus dem reglosen Körper und drehte mich um. Die Mädchen hatten sich verängstigt aneinandergeklammert und sahen mich zitternd an. Ich verließ das Zelt.
»Wo steckt Thorgard von Scagnar?« fragte Ivar Forkbeard, dessen Hemd zerrissen war. Brust und Wange waren blutbesudelt.
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich.
Hinter Ivar Forkbeard entdeckte ich Hilda, Thorgards Tochter.
»Die Kurii greifen bei den Verrgehegen an!« rief ein Mann.
Schleunigst eilten Ivar und ich in diese Richtung.
Der Angriff war schlecht geplant. Speere flogen in die Gruppe der Kurii. Mehrere rutschten im Schlamm der Verrgehege aus; die erschrocken blökenden Tiere sprangen zwischen den Kämpfenden hin und her und waren ihnen im Wege.
Auch Svein Blue Tooth war zu den Verrherden geeilt und leitete den Angriff, der den Ausfall der Kurii zersprengte. Der große Torvaldsländer stieg über den Leichnam eines gefallenen Kur. »Die Kurii dürfen nicht nach Süden entkommen«, schrie Svein Blue Tooth Ketil zu, dem Verwalter seiner großen Farm, der als gefürchteter Ringer bekannt war.