»Ja.«
»Bist du unbewaffnet?«
»Ja.«
»Wir haben dich schon einmal töten wollen, in Port Kar, durch Gift.«
»Ja, aber der Versuch ist fehlgeschlagen.«
Er wickelte den Gegenstand aus, der vor ihm lag.
»Leider kennst du die Lebensgewohnheiten der Kurii nicht, die Organisation unserer Dynastien und Klans – um Begriffe zu verwenden, die du verstehst: In meinem Volk bin ich ein Prinz, nicht dem Blute nach, sondern im Kampf – denn nur auf diese Art gewinnt man bei uns Anerkennung. Ich bin zum Führen ausgebildet. Ich sage dies, damit du begreifst, welche Ehre dir zuteil wird. Die Kurii kennen dich, und obwohl du ein Mensch bist, erweisen sie dir diese Ehre.«
Mit diesen Worten nahm er den Gegenstand aus dem Tuch. Es war eine riesige Kurii-Axt.
»Du bist ein großartiger Gegner«, sagte ich. »Ich habe deine Schlauheit und Tüchtigkeit bewundert. Dein Täuschungsangriff im Lager war ein Meisterwerk. Daß du unter Ungeheuern wie den Kurii führend bist, sagt viel über deine Qualitäten aus, über deine Stärke und deinen Intellekt. Obwohl ich nur ein Mensch bin, obwohl ich kein Kur und auch kein Priesterkönig bin, grüße ich dich.«
»Ich wünschte, ich hätte dich besser gekannt, Tarl Cabot.«
Und das Wesen stand auf, die Axt mit beiden Händen haltend. Telima starrte mit aufgerissenen Augen auf die Waffe und stieß einen Schrei aus. Mit einer Klaue schob das Ungeheuer sie zur Seite.
Es hob die Axt.
»Hättest du mich besser gekannt«, sagte ich, »wärst du nicht auf dieses Felsenriff gekommen.«
Die Axt wurde weit nach hinten geschwungen, zum Endpunkt des Bogens, bereit zu dem blitzenden, flachen Hieb, der mich in zwei Teile hauen sollte. Doch plötzlich hielt das Ungeheuer inne. Es hatte den Tuchukstahl nicht aufblitzen sehen, das Sattelmesser mit der ausbalancierten Klinge, die ich aus meinem Ärmel hatte gleiten lassen, ehe sie durch die Luft schoß. Mit blitzenden Augen begann das Wesen zu taumeln, es verstand nicht, was mit ihm vorging – da erst erblickte es den Griff, der aus der gewaltigen Brust ragte, während sich die Spitze in das mächtige Herz gebohrt hatte. Der Kur machte zwei unsichere Schritte vorwärts. Dann stürzte er, und die Axt polterte auf die Felsen. Kamchak von den Tuchuks hatte es mir vor langer Zeit eingeschärft: An einen Ort, den man unbewaffnet aufsuchen soll, muß man erst recht eine Waffe mitnehmen.
»Ich dachte, die Menschen wären ehrenhaft«, murmelte der Kur.
»Darin irrst du«, erwiderte ich.
Die Lippen des Kur wurden zurückgezogen. Auf seine Art war es eine erschreckende Grimasse, doch ich sah dies anders: Es war das Lächeln eines Kur.
So starb das Wesen.
Ich richtete mich auf und sah Telima an. Sie stand etwa zehn Fuß von mir entfernt und hatte die Hände vor die Lippen gehoben.
»Tarl! Tarl Rothaar!« rief eine Stimme. Es war Ivar Forkbeard. Ich sah das Boot, in dem vier Fackeln brannten, und die Männer an den Rudern, die das Boot zum Felsenriff manövrierten.
Ich stand oben auf dem Felsenriff. Vorsichtig tastete ich mich am Hang hinab, dem Boot entgegen.
Auf einem winzigen Felsvorsprung dicht über dem Wasser traf ich Ivar Forkbeard.
Die Männer hielten den Atem an. Ich schwenkte mit der rechten Hand den abgeschlagenen Kopf des Kur. In meinem Gürtel steckte der goldene Spiralring, den ich vom Arm des Wesens gestreift hatte. An meinem Gürtel war auch das Seil festgemacht, das zu dem Ring an Telimas Sklavenkragen führte. Sie kniete links von mir.
»Ich habe hier drei Dinge«, sagte ich, »die ich auf dem Felsenriff erworben habe. Der Kopf des Kur, der die Kur-Armee angeführt hat, ein goldener Spiralring, den ich ihm nach dem Tod abgenommen habe, und ein Sklavenmädchen!«
Ich warf den Kopf ins Boot, ließ den Ring folgen, nahm das gefesselte Mädchen hoch und trug sie bis an die Bordwand.
Sie sah mich an. Ich hielt einen Moment lang inne, dann warf ich sie zwischen die Ruderer.
20
»Ich möchte etwas sagen!« brüllte Svein Blue Tooth, hob ein Met-Horn und stand auf. »Der Bann«, sagte er, »der von der Halle Blue Tooths gegen die Person Ivar Forkbeards aus Forkbeards Heimstatt verhängt wurde, wird hiermit in dieser Halle und im Namen Svein Blue Tooths, Jarl von Torvaldsland, aufgehoben!«
Großer Jubel brach los.
»Damit zusammenhängende Beschuldigungen und Forderungen«, fuhr Blue Tooth fort und verschüttete etwas von seinem Met, »werden zurückgenommen!«
Und wieder brandeten Freudenschreie auf zwischen den verkohlten Wänden, in der schwarzen Asche, zwischen den geschwärzten herabgefallenen Dachbalken von Blue Tooths Halle, in deren Ruinen die Tische und Bänke für das Fest aufgestellt worden waren. Zahlreiche Fackeln und Lampen – Schalen mit Öl an Speeren befestigt – erhellten die Szene. Hell leuchtete auch das lange Feuer in der Halle, über dem Tarsk und Bosks hingen, die von Sklavinnen am Spieß gedreht wurden.
»Svein Blue Tooth und ich«, sagte Ivar Forkbeard und stand auf, wobei ihm Hilda vom Schoß rutschte, »haben gewisse Meinungsverschiedenheiten gehabt.«
Die Männer lachten. Auf Forkbeards Kopf war ein Preis ausgesetzt gewesen. Blue Tooth hatte ihm nach dem Leben getrachtet.
»Und«, sagte er, »es ist denkbar, daß wir wieder Meinungsverschiedenheiten haben.«
Wieder brüllten die Männer vor Lachen.
»Wenn ein Mann ein bedeutender Mann sein will, braucht er große Feinde.« Forkbeard hob seinen Metkrug und prostete Svein Blue Tooth zu. »Du bist ein großer Mann, Svein Blue Tooth, und du bist ein großer Gegner gewesen.«
»Wenn es in meiner Macht steht«, sagte Blue Tooth, »will ich dir nun ein ebensoguter Freund sein.«
Mit diesen Worten sprang Blue Tooth auf den Tisch, und Forkbeard tat es ihm nach. Dann eilten die beiden Männer aufeinander zu und umarmten sich weinend.
Kaum ein Auge blieb trocken in den Ruinen der großen Halle, im Licht der Fackeln, unter den Sternen. Im Hintergrund schimmerte der Gipfel des Torvaldsberges im Licht der drei Monde.
Svein Blue Tooth hatte den Arm um Forkbeard gelegt und rief heiser: »Von diesem Tag an soll Ivar Forkbeard zu den Jarls von Torvaldsland gehören!«
Wir standen auf und bejubelten die Ehre, die Blue Tooth meinem Freund erwies.
Aber während die Männer sich noch freuten und mit den Waffen gegen ihre Schilde schlugen, blickte ich auf die Stelle in der Halle, wo auf einem großen Pfahl der riesige Kopf des Kur aufgespießt war, den ich auf dem Felsenriff von Vars getötet hatte. Wenn ein Mann wirklich bedeutend sein will, hatte Forkbeard gesagt, braucht er große Gegner. Ich betrachtete den zottigen schwarzen Kopf des Kur. Ich fragte mich, ob diese Menschen ahnten, wie groß ihr Gegner wirklich war. Und ich fragte mich, ob die Menschen, die in mancher Hinsicht so engherzig und schwach waren, solchen Gegnern überhaupt gewachsen waren. Der Kur war durch seine Evolution für eine führende Rolle bestens ausgerüstet – er war wirklich ein großer Gegner. Ich war mir nicht sicher, ob auch der Mensch ein großer Gegner war, ob er es an Wildheit und Intelligenz mit einem solchen Ungeheuer aufnehmen konnte. Auf seiner Heimatwelt hat der Mensch keine natürlichen Feinde außer vielleicht sich selbst. Hier hatte der Mensch nun einen Gegner, ein hochintelligentes Raubtier. Kam er gegen dieses Ungeheuer an? Ich fragte mich, welche Rolle dem Menschen in der Ordnung der Dinge zukam.
»Geschenke!« rief Ivar Forkbeard. Seine Männer schleppten Kisten, Truhen und Säcke herbei. Sie schütteten den Inhalt vor dem Tisch aus. Es waren die Beutestücke aus dem Tempel von Kassau und die Saphire von Shendi, die zu dem Wergeld hatten gehören sollen, das Svein Blue Tooth gefordert hatte. Knietief watete Ivar in den Schätzen und schleuderte die Kostbarkeiten durch die Halle. Seine Männer verteilten die Reichtümer. Ich sah Hrolf, den geheimnisvollen Torvaldsländer aus dem Osten, der einen Edelstein aus einem Kelch nahm. Er schob den Stein als Erinnerungsstück in seinen Beutel. Ivar Forkbeard kam persönlich zu mir und drückte mir einen wertvollen Saphir aus Shendi in die Hand. »Vielen Dank, Ivar Forkbeard«, sagte ich und tat es Hrolf nach; ich steckte den Edelstein in meinen Gürtelbeutel.