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»Ivar!« brüllte Svein Blue Tooth, als die Beute verteilt war, und deutete auf Hilda, die sich in ihrem Sklavenkragen an Forkbeard schmiegte. »Willst du das hübsche kleine Ding nicht auch noch weggeben?«

»Nein!« rief Forkbeard lachend. »Dieses hübsche Stück behalte ich für mich!« Und er nahm Hilda in die Arme.

»Gäste!« rief ein Mann. »Gäste vor der Halle des Svein Blue Tooth!«

Wir blickten zu der Stelle hinüber, wo sich die gewaltigen Portale befunden hatten.

»Heißt sie willkommen«, sagte Blue Tooth und verließ den Tisch, um seine Gäste mit einer Schale Wasser und einem Handtuch zu begrüßen. »Erfrischt euch«, sagte er, »und tretet ein.«

Zwei Männer und ihre Gefolgschaft erwiderten den Gruß. Sie wuschen sich Hände und Gesicht und traten vor. Ich stand auf.

»Wir haben dich gesucht«, sagte Samos aus Port Kar. »Ich hatte schon Angst, daß wir zu spät kommen könnten.«

Ich schwieg.

Er wandte sich um und betrachtete den zottigen Kopf des Kur.

»Was ist denn das?« fragte er.

»Ein Grendel«, erwiderte ich.

»Was heißt das?«

»Ein Spaß«, sagte ich.

Doch neben mir hob Leah erschrocken eine Hand an den Mund.

Ich sah sie an. »Ja«, sagte ich.

Sie kam von der Erde, sie war dort ein freies Mädchen gewesen. Sie begriff, was ich meinte. Ja, die Kriege zwischen den Priesterkönigen und ihren Gegnern, den Kurii, tobten schon sehr lange. Ich wußte nicht, wann es zu den ersten Kontakten gekommen war, wann den Priesterkönigen bewußt geworden war, daß in ihrem System Besucher aufgetaucht waren, gefährliche Eindringlinge, die neuen Lebensraum erobern wollten. Ich hielt es für denkbar, daß der Grendel in den Sagen der Erde ein Kur gewesen war, vielleicht der Überlebende eines Raumschiffabsturzes oder ein Kundschafter.

»Warum habt ihr mich gesucht?« fragte ich.

»Das Gift«, erwiderte er, »von den Schwertern Sarus' aus Tyros fließt noch immer in deinem Körper.«

»Es gibt kein Gegenmittel«, sagte ich. »Iskander aus Turia hat mir das gesagt. Er kannte das Gift.«

»Herr«, sagte der Mann neben Samos. »Ich bringe dir das Gegenmittel.«

»Du bist Sarus aus Tyros«, sagte ich. »Du wolltest mich gefangennehmen und sogar töten. Wir sind uns in den Wäldern als Feinde begegnet.«

»Sprich, Kapitän«, sagte Samos zu Sarus.

Sarus sah mich an. Er war ein hagerer, narbenbedeckter Mann mit hellen Augen. Er entstammte keiner hohen lyrischen Familie, hatte jedoch eine steile Karriere als Seefahrer hinter sich.

Seine Sprache war noch immer von der Hafengegend des Inselubarats Tyros geprägt, wo er jahrelang jugendliche Straßenräuberbanden angeführt hatte, bis er dem See-Sleen Chenbar vorgeführt worden war, der Gefallen an dem jungen Mann fand und ihm den Umgang mit dem Schwert beibrachte. Der junge Kämpfer war im Dienste des Ubars schnell aufgestiegen, und inzwischen galten die beiden als eng befreundet. Es gab niemanden in Tyros, so hieß es, der dem Ubar des Landes treuer ergeben war als Sarus. Und Sarus hatte nach der Befreiung Chenbars aus Port Kar den Auftrag erhalten, in die Wälder des Nordens zu reisen, um Marlenus, den Ubar von Ar, und Bosk, Admiral von Port Kar, gefangenzunehmen. Von beiden Ereignissen habe ich an anderer Stelle berichtet.

»Die Waffen meiner Männer und auch meine Klinge wurden, ohne daß wir es wußten, vor unserer Abreise von Tyros mit Gift behandelt. Hierfür ist Sullius Maximus, ein ehemaliger Ubar von Port Kar, verantwortlich.« Sullius Maximus hatte zu den fünf Ubars gehört, deren Herrschaft mit der Machtübernahme des Kapitänsrats unter der Führung Samos', des Ersten Kapitäns, zu Ende gegangen war.

Sullius Maximus, der kultivierteste der früheren Ubars, Chemiker, Dichter und Giftmischer, hatte in Tyros um Asyl gebeten, das ihm gewährt worden war.

»Ich schwöre, daß ich die Wahrheit sage«, fuhr Sarus fort. »Wir Tyrer sind Krieger und verabscheuen Gift. Bei meiner Rückkehr nach Tyros erkundigte sich Sullius, ob unsere Gegner verwundet worden waren, und ich berichtete ihm, daß wir dich tatsächlich verletzt hätten. Er stimmte ein wahnsinniges Gelächter an, das mich besorgt machte. Ich preßte ihm die Wahrheit ab – und bin seither nicht mehr zur Ruhe gekommen. Ich und der Rest meiner Männer haben dir das Leben zu verdanken. Marlenus hätte uns mit nach Ar genommen und dort zu Tode gefoltert, wenn du nicht eingegriffen und uns wie Krieger und Schwertbrüder behandelt hättest. Ich verlangte ein Gegenmittel. Als mich Sullius verlachte, zerrte ich ihn vor den Ubar und berichtete ihm, welche Schande dem Ubarat angetan worden war.

Der Ubar drohte Sullius an, er würde ihm in genau zehn Tagen mit dem Gift, das sich ja noch an unseren Klingen befindet, einige Wunden beibringen. Und er riet ihm, bis dahin ein Gegenmittel zu finden. Voller Angst hat sich Sullius Maximus sofort ans Werk gemacht.« Lächelnd hob Sarus ein Fläschchen mit einer purpurnen Flüssigkeit.

»Hat man es ausprobiert?« fragte Samos.

»An Sullius Maximus«, sagte Sarus. »Man brachte ihm am zehnten Tag an den Armen und im Gesicht giftige Schnitte bei, die einige Tage später mit dem Gegenmittel behandelt wurden. Und das Mittel hat gewirkt. Sullius Maximus befindet sich wieder am Hof Chenbars, ziemlich ernüchtert, doch er dient noch immer als Gelehrter und Berater. Übrigens mißfällt ihm die Entstellung seines Gesichts sehr. Er hat wenig für mich übrig, und auch nicht für dich. Bosk aus Port Kar.«

»Er hat dich ›Bosk aus Port Kar‹ genannt?« sagte Ivar Forkbeard neben mir.

Ich lächelte. »So werde ich manchmal genannt.«

Sarus reichte mir das Fläschchen.

»Allerdings«, fuhr Sarus fort, »ist die Einnahme dieses Mittels von Delirium und Fieber begleitet, doch schließlich befreit sich der Körper von dem Gift und dem Gegenmittel. Ich überreiche dir das Mittel, Bosk aus Port Kar, mit der Entschuldigung meines Ubars Chenbar und meiner eigenen, eines Seemanns in seinen Diensten.«

»Ich bin überrascht«, sagte ich, »daß der See-Sleen Chenbar so um mein Wohlergehen besorgt ist.«

Sarus lachte. »Ihm geht es nicht um dein Wohlergehen, Herr. Er sorgt sich einzig und allein um die Ehre Tyros'. Chenbar würde es größte Freude bereiten, dir im Kampfkreis von Tyros gegenüberzutreten. Du hast ihm viel angetan – eine Niederlage, Ketten und ein Verlies, und mein Ubar vergißt so etwas nicht.«

»Und du, Sarus?« fragte ich.

»Ich«, erwiderte Sarus schlicht. »Ich sorge mich um dein Wohlergehen, Bosk aus Port Kar. Du hast mir an der Küste des Thassa das Leben und die Freiheit geschenkt, mir und meinen Männern. Das werde ich niemals vergessen.«

»Du warst ein guter Anführer«, erwiderte ich. »Du hast deine Männer, von denen einige verwundet waren, aus dem hohen Norden nach Tyros zurückgebracht.«

Sarus senkte den Blick.

»In meinem Haus in Port Kar gibt es immer einen Platz für Männer wie dich, wenn du mir dienen möchtest.«

»Mein Platz ist in Tyros«, erwiderte er. »Aber ich danke Euch. Trink, Bosk aus Port Kar, und stelle die Ehre Chenbars und die Ehre Sarus' wieder her.«

Ich entfernte den Korken aus der Flasche.

»Das könnte auch Gift sein«, meinte Samos.

Ich roch an der Flüssigkeit. Sie roch süßlich wie ein turianischer Sirup. »Ja«, sagte ich. »Das mag sein.« Vielleicht enthielt dieses Fläschchen kein Gegenmittel, sondern ein teuflisches Gift, das die ursprünglichen Pläne Tyros', die an der Küste des Thassa fehlgeschlagen waren, nun doch noch erfolgreich beenden sollte.

»Trink das Zeug nicht«, sagte Forkbeard finster.

Doch nach dem Kampf hatte ich schon wieder die seltsame Lähmung gespürt. Kein Zweifel, das Gift kreiste noch in meinem Blutstrom, ein Gift, das mich jederzeit wieder in die bedrückende Einsamkeit des Krankenlagers verbannen konnte. Wenn ich nichts dagegen tat, würde es über kurz oder lang die Oberhand behalten.

»Ich werde das Mittel trinken«, sagte ich zu Forkbeard.

Ivar Forkbeard wandte sich an Sarus von Tyros. »Wenn er stirbt«, grollte er, »wird dein Tod weder schnell noch angenehm sein.«