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Unter der Decke hatten seine Hände zu zittern begonnen. Ihm war kalt. Plötzlich war das keine Theorie mehr. Plötzlich hatte er entsetzliche Angst.

Er richtete sich im Bett auf und lauschte. Es war sehr still draußen. Die Musik war verstummt. Der Wind hatte sich gelegt. Sein Bruder schlief neben ihm.

Vorsichtig hob er die Decke und schlug sie zurück. Er glitt aus dem Bett und schlich durch das Zimmer. Da fragte die Stimme seines Bruders: »Wohin willst du?«

»Was?«

Die Stimme seines Bruders klang ganz kalt. »Ich fragte, wohin du willst?«

»Etwas trinken.«

»Aber du bist ja gar nicht durstig.«

»Doch.« »Nein, bist du nicht!«

Kapitän John Black fuhr herum und lief los. Er schrie einmal auf, dann ein zweites Mal.

Die Tür erreichte er nicht mehr.

Am nächsten Morgen spielte die Blaskapelle einen Trauermarsch. Aus den Häusern an der Straße kamen kleine feierliche Prozessionen, die die Särge begleiteten, und die sonnige Straße herab kamen weinend die Großmütter und Mütter und Schwestern und Brüder und Onkeln und Väter und gingen zum Friedhof, wo schon die frisch ausgehobenen Gräber und die neuen Grabsteine warteten. Sechzehn Gräber waren es, und sechzehn Grabsteine.

Der Bürgermeister hielt eine kurze traurige Rede, wobei sein Gesicht nur noch zeitweise wie das des Bürgermeisters aussah.

Mutter und Vater Black waren ebenfalls zur Stelle, und Bruder Edward, und sie weinten, und ihre Gesichter zerschmolzen und nahmen eine andere, unvertraute Form an.

Auch Opa und Oma Lustig waren auf dem Friedhof und weinten, und ihre Gesichter zerflossen wie Wachs und flimmerten, so wie an einem heißen Tag alles flimmert.

Die Särge wurden in die Gräber gesenkt. Jemand murmelte etwas von dem »plötzlichen, unerwarteten Tod von sechzehn guten Männern in der Nacht.«

Erde dröhnte auf den Sargdeckeln.

Die Blaskapelle spielte >Columbia, du Stern des Ozeans<, marschierte lärmend wieder in die Stadt, und alle nahmen den Tag frei.

Juni 2001: Scheint der Mond in heller Pracht

Als sie aus der Rakete in die Nacht hinaustraten, war es so kalt, daß Spender sofort etwas trockenes marsianisches Holz sammelte und ein kleines Feuer anzündete. Von einer Feier sagte er nichts; er las nur Holz auf, zündete es an und beobachtete die Flammen.

In dem Licht, das die dünne Luft über dem ausgetrockneten Marsmeer erhellte, blickte er sich um und sah die Rakete, die die Männer -Kapitän Wilder und Cherokee und Hathaway und Sam Parkhill und ihn selbst - durch das stumme schwarze All der Sterne auf diese tote Traumwelt getragen hatte.

Jeff Spender wartete auf den Lärm. Er beobachtete die anderen und wartete darauf, daß sie herumtollten, die Arme hochwarfen und losbrüllten. Das mußte unweigerlich geschehen, sobald das betäubende Gefühl, auf dem Mars die >ersten< zu sein, abklang. Niemand sagte etwas, aber viele hofften vielleicht, daß die anderen Expeditionen fehlgeschlagen waren und daß diese Landung, die vierte, die entscheidende sein würde. Sie hofften das nicht im Bösen; gleichwohl dachten sie daran, dachten an die Ehre und den Ruhm, während sich ihre Lungen an die dünne Atmosphäre gewöhnten, die einen fast trunken machte, wenn man sich zu schnell bewegte.

Biggs trat an das frisch angezündete Feuer und fragte: »Warum nehmen wir nicht das chemische Feuer aus dem Schiff anstelle des Holzes?«

»Ist doch egal«, sagte Spender ohne aufzusehen.

Es wäre nicht recht, am ersten Abend auf dem Mars ein lautes Geräusch zu machen oder ein seltsames, dummes, helles Ding wie ein Heizgerät in diese Landschaft zu stellen. Das wäre eine Art importierte Blasphemie. Dafür war später noch Zeit; für leere Kondensmilch-Dosen, die in den stolzen Marskanälen schwammen, für Exemplare der New York Times, die über die Einöde der grauen marsianischen Meeresgründe tanzten und raschelten; für Bananenschalen und Picknickreste in den zierlich verästelten Ruinen der uralten marsianischen Städte in den Tälern. Unendlich viel Zeit blieb für diese Dinge. Und bei dem Gedanken durchfuhr ihn ein leiser Schauder.

Er nährte das Feuer, legte mit der Hand nach, und es war wie ein Opfer, das er einem toten Riesen darbrachte. Sie waren auf einem gewaltigen Grab gelandet. Hier war eine Zivilisation gestorben, und es war einfach eine Sache des Anstands, die erste Nacht ruhig zu verbringen.

»Das ist doch keine Feier!« Biggs wandte sich an Kapitän Wilder. »Sir, vielleicht könnten wir Ginrationen ausgeben und die Sache etwas in Schwung bringen.«

Kapitän Wilder blickte zu der toten Stadt hinüber, die eine Meile von ihnen entfernt lag. »Wir sind alle müde«, sagte er leise, als hätte er seine ganze Aufmerksamkeit auf die Stadt konzentriert und dabei seine Männer vergessen. »Morgen abend vielleicht. Heute sollten wir uns freuen, daß wir die lange Reise durchs All ohne Meteoreinschlag oder Todesfall in der Mannschaft hinter uns gebracht haben.«

Die Männer bewegten sich unruhig. Es waren insgesamt zwanzig, die dicht beieinander standen und ihre Waffen betasteten, die sie am Gürtel trugen. Spender beobachtete sie. Sie waren unzufrieden. Sie hatten für eine große Sache ihr Leben riskiert. Jetzt wollten sie sich betrinken und ihre Waffen abschießen, um sich zu beweisen, was für Kerle sie waren -Kerle, die ein Loch ins All gerissen und in einer Rakete den ganzen Weg zum Mars zurückgelegt harten.

Doch niemand brüllte.

Der Kapitän erteilte leise einen Befehl. Einer der Männer lief ins Schiff und holte Dosenrationen, die leise geöffnet und verteilt wurden. Nun begannen auch die ersten Gespräche. Der Kapitän setzte sich und schilderte den Männern noch einmal die Reise. Sie kannten zwar schon jede Einzelheit, aber es war gut, das alles noch einmal zu hören, etwas, das ein für allemal vorbei und abgetan war. Von der Rückreise wollte noch niemand sprechen; einer kam darauf, wurde jedoch schnell zum Schweigen gebracht. Die Löffel bewegten sich im Licht der beiden Monde; das Essen schmeckte gut und der Wein womöglich noch besser.

Ein Feuerstrahl fuhr über den Himmel, und gleich darauf landete die Hilfsrakete auf der anderen Seite des Lagers. Spender beobachtete, wie sich die kleine Luke öffnete und Hathaway, der Arzt-Geologe -sämtliche Männer versahen Doppelfunktionen, um auf der Reise Platz zu sparen, - heraustrat. Er kam langsam auf den Kapitän zu.

»Nun?« fragte Kapitän Wilder.

Hathaways Blick schweifte zu den fernen Städten, die im Sternenlicht blinkten. Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sagte er stockend. »Die Stadt dort drüben, Kapitän, ist tot - und zwar seit vielen tausend Jahren. Das gleiche gilt für die drei Städte in den Bergen. Die fünfte Stadt aber, Sir, zweihundert Meilen weiter.«

»Was ist damit?«

»Da haben noch letzte Woche Leute gelebt, Sir.«

Spender stand auf.

»Marsianer«, sagte Hathaway.

»Wo sind sie jetzt?«

»Tot«, sagte Hathaway. »Ich bin in ein Haus gegangen. Ich glaubte, es wäre seit Jahrhunderten tot und verlassen wie die anderen Städte und Häuser. Mein Gott, aber es waren Leichen darin. Wie ein Haufen Herbstlaub, wie Stöcke und Reste verbrannter Zeitungen, das ist alles. Und noch ganz frisch. Sie waren höchstens zehn Tage tot.«