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»Haben Sie auch in anderen Städten nachgeforscht? Haben Sie überhaupt etwas Lebendiges gesehen?«

»Nichts. Ich habe mich in den anderen Städten umgesehen. Von fünf Städten sind vier seit vielen tausend Jahren leer. Was mit den ursprünglichen Einwohnern geschehen ist, weiß ich nicht. Aber in der fünften Stadt fanden wir überall das gleiche. Leichen, Tausende von Leichen.«

»Woran sind sie gestorben?« Spender trat vor.

»Sie werden es mir nicht glauben.«

»Was hat sie umgebracht?«

Hathaway sagte schlicht: »Die Windpocken.«

»Um Gottes willen, nein!«

»Ja. Ich habe Versuche gemacht. Zweifelsfrei Windpocken. Die haben den Marsianern etwas angetan, wogegen die Menschen auf der Erde immun sind. Ihr Metabolismus muß anders reagiert haben. Sie sind schwarz, ausgebrannt und zu zerbrechlichen Fladen vertrocknet. Trotzdem sind es die Windpocken. York oder Kapitän Williams oder Kapitän Black müssen also doch durchgekommen sein, zumindest eine der drei Expeditionen. Gott allein weiß, was aus ihnen geworden ist. Auf jeden Fall wissen wir, welche unbeabsichtigten Folgen ihr Besuch für die Marsianer gehabt hat.«

»Und Sie haben nirgendwo Leben festgestellt?«

»Es besteht die Möglichkeit, daß ein paar Marsianer in die Berge entkommen sind, wenn sie es rechtzeitig gemerkt haben. Aber ich möchte wetten, daß sie zahlenmäßig kein Problem für uns sind. Der Planet ist am Ende.«

Spender wandte sich um, setzte sich ans Feuer und starrte in die Flammen. Windpocken. Himmel, Windpocken, stell dir vor! Eine Rasse entwickelt sich über einen Zeitraum von einer Million Jahren, bildet sich fort, baut Städte wie die dort drüben, tut alles, um in Selbstrespekt und Schönheit leben zu können, und dann stirbt sie. Ein Teil stirbt langsam aus, von Natur, in Würde, vor unserer Ankunft. Aber der Rest? Stirbt die übriggebliebene Marsbevölkerung an einer Krankheit mit einem schönen oder entsetzlichen oder majestätischen Namen? Nein, um alles in der Welt. Ausgerechnet Windpocken müssen es sein, eine Kinderkrankheit, eine Krankheit, an der auf der Erde nicht einmal Kinder sterben! Das ist ungerecht! Das ist nicht fair! Es ist, als wollte man sagen, die Griechen seien an Mumps gestorben oder die Römer an einem Hautausschlag zugrunde gegangen. Wenn wir den Marsianern nur Zeit gelassen hätten, sich selbst auf ihr Totenlager zu betten und sich eine andere, würdevollere Todesursache zu suchen! Eine so dämliche, unscheinbare Krankheit wie die Windpocken kann einfach nicht an ihrem Tod schuld sein! Es paßt nicht zur Architektur; es paßt nicht zu der ganzen Welt!

»Gut, Hathaway, nehmen Sie sich was zu essen.«

»Danke, Kapitän.«

Und damit war es schon vergessen. Die Männer sprachen leise miteinander.

Spender wandte nicht den Blick von der Gruppe. Er hielt den Teller in der Hand und rührte das Essen nicht an. Er spürte, wie das Land ringsum kälter wurde. Die klar schimmernden Sterne rückten näher.

Wenn jemand zu laut sprach, gab der Kapitän seine Antwort so leise, daß die anderen unwillkürlich leiser wurden.

Ein sauberer, frischer Duft lag in der Luft. Spender saß lange Zeit und genoß die Luft und ihre Zusammensetzung. Sie trug viele Gerüche mit sich, die er nicht identifizieren konnte. Sie roch nach Blumen, Chemikalien, Staubkörnern, Wind.

»Und dann das Wochenende in New York, als ich die Blonde hatte, wie hieß sie doch gleich? - Ginnie!« brüllte Biggs. »Das war ein Knüller!«

In Spender verkrampfte sich etwas. Seine Hand begann zu zittern. Seine Augen bewegten sich hinter den dünnen, kahlen Lidern.

»Und da sagt diese Ginnie zu mir.«, rief Biggs.

Die Männer brüllten vor Lachen.

»Also geb’ ich ihr eins über!« rief Biggs, eine Flasche in der Hand.

Spender stellte seinen Teller hin. Er lauschte dem Wind, der ihm über die Ohren strich, kühl und flüsternd. Er betrachtete das funkelnde Eis der weißen Marsgebäude drüben auf dem leeren Meeresgrund.

»Was für eine Frau! Was für eine Frau!« Biggs leerte die Flasche in seinen breiten Mund. »Die tollste Frau, die ich je hatte!«

Biggs Schweißgeruch lag in der Luft. Spender ließ das Feuer ausgehen. »He, fach es wieder an, Spender!« sagte Biggs und sah ihn einen Augenblick von der Seite an, ehe er sich wieder seiner Flasche zuwandte. »Also, eines Abends gehen Ginnie und ich. «

Ein Mann namens Schoenke holte sein Akkordeon hervor und vollführte einen Steptanz, bei dem ringsum der Staub hoch aufwirbelte.

»Juchuu - ich lebe!« brüllte er.

»Jaa!« schrien die Männer. Sie warfen ihre leeren Teller hin. Drei stellten sich nebeneinander und mimten laut scherzend die Chormädchen. Die anderen klatschten in die Hände und brüllten, als wollten sie ein Abenteuer provozieren. Cherokee zog sein Hemd aus, tanzte und zeigte seine verschwitzte nackte Brust. Das Mondlicht lag auf seinem Bürstenhaarschnitt und seinen jungen glattrasierten Wangen.

Auf dem Meeresgrund trieb der Wind dünne Nebel vor sich her, und von den Bergen schauten große Steingesichter auf die silbrige Rakete und das kleine Feuer herab.

Der Lärm wurde noch lauter, noch mehr Männer sprangen auf, jemand blies eine Mundharmonika und ein anderer auf einem Kamm. Es wurden weitere zwanzig Flaschen geöffnet und ausgetrunken. Biggs stolperte hin und her und dirigierte die tanzenden Männer mit wilden Handbewegungen.

»Los, Sir, machen Sie mit!« rief Cherokee dem Kapitän mitten in einem Lied zu.

Der Kapitän mußte mittanzen, obwohl es ihm widerstrebte. Sein Gesicht blieb nüchtern, feierlich. Spender beobachtete ihn und dachte: Du armer Mann, was für eine Nacht! Sie wissen nicht, was sie tun. Man hätte ihnen, ehe sie zum Mars flogen, ein Orientierungsprogramm verpassen sollen, damit sie sich hier ein paar Tage vernünftig bewegen und richtig verhalten konnten.

»Das reicht.« Der Kapitän hörte auf zu tanzen und setzte sich mit der Bemerkung, er wäre erschöpft. Spender warf einen Blick auf die Brust des Kapitäns. Sie bewegte sich nicht sehr schnell. Auch war auf seinem Gesicht kaum Schweiß zu sehen.

Akkordeon, Mundharmonika, Wein, Schreien, Hüpfen, Heulen, Rundtanz, Pfannengeklapper, Gelächter.

Biggs schwankte zum Ufer des Marskanals. Er schleppte sechs leere Flaschen mit und warf sie nacheinander in das tiefblaue Wasser des Kanals. Beim Sinken erzeugten sie leere, hohle, gluckernde Geräusche.

»Ich taufe dich, ich taufe dich, ich taufe dich.«, sagte Biggs mit schwerer Zunge. »Ich taufe dich Biggs, Biggs, Biggs-Kanal.«

Ehe sich jemand rühren konnte, war Spender aufgesprungen und hatte sich über das Feuer hinweg auf Biggs gestürzt. Er versetzte Biggs einen Schlag an den Mund und einen zweiten Schlag aufs Ohr. Biggs verlor das Gleichgewicht und fiel in den Kanal. Nach dem Aufklatschen wartete Spender schweigend darauf, bis Biggs wieder an das steinerne Ufer kroch. Als es soweit war, hatten ihn die anderen Männer bereits gepackt.

»He, was ist denn mit dir los, Spender?« fragten sie.

Biggs arbeitete sich hoch und stand tropfend vor ihm. Er sah die Männer, die Spender festhielten. »Na dann«, sagte er und setzte sich in Bewegung.

»Jetzt reicht’s!« fuhr Kapitän Wilder dazwischen. Die Männer ließen Spender los. Biggs blieb stehen und sah den Kapitän prüfend an.

»Schon gut, Biggs, ziehen Sie sich etwas Trockenes an. Die anderen machen mit der Party weiter. Spender, Sie kommen mit!« sagte er.

Die Männer stürzten sich wieder in ihre Party. Wilder entfernte sich ein Stück von den anderen und wandte sich an Spender. »Vielleicht erklären Sie mir mal, was da eben los war«, sagte er.