Garrett schwieg.
»Ich möchte die Sache aber ganz perfekt machen«, sagte Stendahl und hielt seine Laterne hoch, deren Licht auf die zusammengesunkene Gestalt fiel. »Läuten Sie leise mit Ihren Schellen.« Die Glocken bimmelten. »Und wenn Sie jetzt bitte sagen würden: >Um Gottes willen, Montresor<, dann lasse ich Sie vielleicht raus.«
Der Mann hob das Gesicht ins Licht. Er zögerte. Dann sagte er mit verzerrtem Gesicht: »Um Gottes willen, Montresor.«
»Aah«, sagte Stendahl mit geschlossenen Augen. Er schob den letzten Stein an seinen Platz und mauerte ihn fest.
»Requiescat in pace, lieber Freund.«
Hastig verließ er die Katakomben.
In den sieben Räumen ließ der mitternächtliche Schlag einer Uhr jede Bewegung erstarren.
Der rote Tod züngelte auf.
Stendahl wandte sich in der Tür um und schaute noch einen Augenblick zu. Dann verließ er im Laufschritt das große Haus und rannte über den Graben zu einem wartenden Hubschrauber.
»Fertig, Pikes?«
»Fertig!«
»Da sinkt es hin!«
Lächelnd schauten sie auf das große Haus hinab. Wie von einem Erdbeben geschüttelt, begann es sich in der Mitte zu teilen, und während Stendahl das großartige Schauspiel verfolgte, hörte er Pikes hinter sich mit leiser Stimme aufsagen:
»>.mir schwindelte der Kopf, als die Mauern wie Vorhänge auseinander flogen - da erscholl ein langes tumultartiges Gegröl, wie die Stimmen von tausend Wassern - und der unergründliche klamme Pfuhl zu meinen Füßen schloß sich mürrisch und schweigend über den Trümmern des HAUSES ASCHER<.«
Der Hubschrauber stieg über dem dampfenden See auf und flog nach Westen.
August 2005: Die Alten
Und was war natürlicher, als daß schließlich auch die Alten zum Mars kamen, daß sie dem Beispiel der lauten Pioniere und der Anspruchsvollen und der berufsmäßigen Reisenden und romantischen Ideenverfechter folgten.
Und so zogen sie los; die ausgetrockneten, pergamenthäutigen Leute, die Leute, die ihre Zeit damit verbringen, ihren Herztönen nachzulauschen und sich den Puls zu fühlen und Sirup in ihren faltigen Mund zu löffeln, Leute, die einst im November ihre Rollstühle nach Kalifornien gerichtet und im April drittklassige Dampfer nach Italien genommen hatten, die ausgetrockneten Aprikosen glichen, und Mumien
- sie kamen schließlich auch zum Mars.
September 2005: Der Marsianer
Die blauen Berge ragten im Regen auf, und der Regen rauschte in Sturzbächen in die langen Kanäle, und der alte LaFarge und seine Frau kamen vor das Haus und sahen zu.
»Der erste Regen dieses Jahr«, bemerkte LaFarge.
»Tut gut«, sagte seine Frau.
»Sehr willkommen.«
Sie schlossen die Tür. Drinnen wärmten sie sich die Hände über einem Feuer. Sie schauderten zusammen. Durch das Fenster sahen sie den Regen an den Flanken der Rakete schimmern, in der sie von der Erde gekommen waren.
»Nur etwas stört mich«, sagte LaFarge und betrachtete seine Hände.
»Was denn?« fragte seine Frau.
»Ich wünschte, wir hätten Tom mitbringen können.«
»Also, Lafe!«
»Ich fang nicht wieder davon an; es tut mir leid.«
»Wir sind hierhergekommen, um unser Leben zu beschließen und nicht mehr an Tom zu denken. Er ist jetzt schon so lange tot, daß wir wirklich versuchen sollten, ihn zu vergessen - ihn und überhaupt alles auf der Erde.«
»Du hast recht«, sagte er und hielt seine Hände wieder in die Hitze. Er starrte ins Feuer. »Ich will nicht mehr davon reden. Mir fehlt wohl die Fahrt zum Grünen Park jeden Sonntag, wo wir Blumen auf seinen Grabstein gelegt haben. Woanders sind wir gar nicht mehr hingefahren.«
Der blaue Regen rauschte leise auf das Dach.
Um neun Uhr gingen sie zu Bett und lagen stumm nebeneinander, Hand in Hand, in der Dunkelheit des Regens; er fünfundfünfzig, sie sechzig.
»Anna?« sagte er leise.
»Ja?« erwiderte sie.
»Hast du nichts gehört?«
Beide lauschten in den Regen und den Wind.
»Nichts«, sagte sie.
»Da pfeift jemand«, sagte er.
»Nein, ich habe nichts gehört.«
»Ich stehe auf und sehe nach.«
Er zog seinen Morgenmantel über und ging zur Tür. Zögernd öffnete er sie, und der Regen traf ihn kalt ins Gesicht. Der Wind wehte.
Im Hof stand eine kleine Gestalt.
Ein Blitz spaltete den Himmel, und grelles Licht erhellte das Gesicht, das den alten LaFarge ansah.
»Wer ist da?« rief LaFarge zitternd.
Keine Antwort.
»Wer sind Sie? Was wollen Sie!«
Schweigen.
Er fühlte sich sehr schwach und müde und starr. »Wer sind Sie?« rief er.
Seine Frau trat hinter ihn und nahm seinen Arm. »Warum schreist du denn so?«
»Ein kleiner Junge steht da im Hof und antwortet nicht«, sagte der alte Mann zitternd. »Er sieht wie Tom aus!«
»Komm ins Bett, du träumst ja.«
»Aber da ist er doch, schau doch hin.«
Er öffnete die Tür noch weiter, damit auch sie hinaussehen konnte. Der kalte Wind blies herein, und der Regen rauschte zu Boden, und die Gestalt stand dort und schaute sie geistesabwesend an. Die alte Frau stützte sich am Türpfosten.
»Verschwinde!« rief sie und schwenkte den Arm. »Verschwinde!«
»Sieht er nicht aus wie Tom?« fragte der alte Mann heiser.
Die Gestalt bewegte sich nicht.
»Ich habe Angst«, sagte die alte Frau. »Komm, schließ die Tür ab und komm zu Bett. Ich will nichts damit zu schaffen haben.«
Vor sich hin klagend verschwand sie im Schlafzimmer.
Der alte Mann blieb stehen, und der Wind regnete ihm kalt auf die Hände.
»Tom«, rief er leise, »wenn du das bist, wenn du durch irgendeine Fügung zurückgekommen bist. ich schließe die Tür nicht ab. Und wenn dir kalt ist und du dich wärmen möchtest, brauchst du nur hereinzukommen und dich an den Herd zu legen; da haben wir ein paar Felle.«
Er machte die Tür zu, schloß aber nicht ab.
Seine Frau spürte, wie er zu Bett kam, und erschauderte. »Eine schreckliche Nacht. Mir ist so kalt«, sagte sie schluchzend.
»Schsch«, beruhigte er sie und umfing sie mit den Armen. »Schlaf weiter.«
Nach langer Zeit schlief sie ein.
Und als er dann lauschte, hörte er, wie sich ganz leise die Tür öffnete, wie Regen und Wind hereinpeitschten und die Tür wieder geschlossen wurde. Er hörte leise Schritte und leises Atmen. »Tom«, sagte er lautlos vor sich hin.
Blitze zuckten auf und zerfetzten die Dunkelheit.
Am Morgen brannte heiß die Sonne herab.
Mr. LaFarge öffnete die Tür zum Wohnzimmer und sah sich hastig um.
Auf den Fellen am Herd lag niemand.
LaFarge seufzte. »Ich werde alt«, murmelte er.
Er verließ das Haus und wollte zum Kanal gehen, um einen Eimer klares Wasser zum Waschen zu holen. In der Tür hätte er fast den Jungen umgerannt, der bereits einen randvoll gefüllten Eimer herbeischleppte. »Guten Morgen, Vater!«
»Morgen, Tom.« Der alte Mann taumelte zur Seite. Der barfüßige Junge eilte durch den Raum, stellte den Eimer ab und wandte sich lächelnd um. »Ein schöner Tag heute!«
»Ja«, sagte der alte Mann ungläubig. Der Junge tat völlig unbefangen und begann sich das Gesicht zu waschen.
Der alte Mann kam näher. »Tom, wie bist du hierhergekommen? Du lebst?«
»Darf ich das nicht?« Der Junge blickte auf.
»Aber Tom, der Grüne Park, die Blumen jeden Sonntag.« La Farge mußte sich setzen. Der Junge trat neben ihn und nahm seine Hand. Der alte Mann betastete die warmen, festen Finger.