»Hör mal«, sagte LaFarge um Mitternacht. »Hast du nichts gehört?«
»Nein, nichts.«
»Ich sehe trotzdem mal nach.«
Er tastete sich unsicher durch den dunklen Raum und wartete lange Zeit hinter der Tür, ehe er sie öffnete.
Er zog sie weit auf und schaute hinaus.
Aus dem schwarzen Himmel strömte Regen auf den leeren Hof und in den Kanal und hüllte die blauen Berge ein.
Er wartete fünf Minuten lang. Dann, mit nassen Händen, machte er die Tür zu und verriegelte sie wieder.
November 2005: Der Gepäckladen
Als der Besitzer des Kofferladens die Neuigkeit in den Abendnachrichten hörte - eine Nachricht, die den langen Weg von der Erde über einen Licht-Ton-Strahl zurückgelegt hatte -, hielt er sie für unwahrscheinlich. Ganz unwahrscheinlich kam sie dem Ladenbesitzer vor.
Auf der Erde würde es Krieg geben.
Er ging hinaus und starrte in den Himmel.
Ja, da war sie. Da schwebte die Erde am Abendhimmel und folgte der Sonne, die zwischen den Hügeln untergegangen war. Die Worte im Radio und jener grüne Stern gehörten zusammen.
»Ich glaub’s einfach nicht«, sagte der Ladenbesitzer.
»Das liegt daran, daß sie nicht dort sind«, sagte der alte Peregrine, der kurz vorbeigekommen war, um ein wenig die Zeit totzuschlagen.
»Was meinen Sie, Alter?«
»Als ich ein kleiner Junge war«, sagte der alte Peregrine, »war viel vom Krieg in China die Rede. Aber wir glaubten das einfach nicht. Es war zu weit entfernt. Und es starben zu viele Menschen. Es war unvorstellbar. Selbst als wir dann die Filme sahen, glaubten wir es nicht. Und so geht es uns jetzt auch. Die Erde ist China. Es ist so weit weg, daß alles unglaubhaft wird. Es ist nicht hier. Man kann es nicht berühren, kann es nicht einmal sehen. Man sieht nur einen grünen Lichtfunken. Zwei Milliarden Menschen sollen auf diesem Lichtchen leben? Unglaublich! Krieg? Es sind keine Explosionen zu hören.«
»Das kommt noch«, sagte der Ladenbesitzer. »Ich muß nur dauernd an die Leute denken, die diese Woche zum Mars kommen wollten. Wie viele waren es? Hunderttausend im nächsten Monat? Was ist mit denen, wenn es wirklich Krieg gibt?«
»Ich könnte mir denken, daß sie umkehren. Sie werden auf der Erde gebraucht.«
»Na ja«, sagte der Ladenbesitzer, »ich staube wohl besser mal meine Gepäckstücke ab. Ich habe das Gefühl, als gäb’s bald einen kleinen Käuferansturm.«
»Glauben Sie, daß wir alle zur Erde zurückkehren, wenn das wirklich der langerwartete Krieg ist?«
»Komisch, Alter, aber ich glaube, wir fliegen alle zurück. Ich weiß, daß wir eigentlich allem möglichen entfliehen wollen - der Politik, der Atombombe, dem Krieg, den Interessengruppen, Vorurteilen, Gesetzen. Ich weiß Bescheid. Trotzdem liegt unsere Heimat nicht hier, sondern da drüben. Warten wir nur ab. Wenn die ersten Bomben auf Amerika fallen, fangen unsere Leute an zu überlegen. Sie sind noch nicht lange genug hier - nur ein paar Jahre. Wenn sie schon vierzig Jahre auf dem Mars lebten, sähe die Sache anders aus, aber noch haben sie Verwandte da unten und Heimatstädte. Ich persönlich kann kaum glauben, daß es die Erde überhaupt noch gibt; ich kann sie mir gar nicht mehr vorstellen. Aber ich bin ja auch alt. Ich zähle nicht. Ich bleibe vielleicht sogar hier.«
»Das möchte ich bezweifeln.«
»Ja, ich glaube, Sie haben recht.«
Sie standen auf der Veranda und beobachteten die Sterne. Schließlich holte der alte Peregrine ein paar Geldscheine aus der Tasche und reichte sie dem Ladenbesitzer. »Wenn wir schon davon reden - geben Sie mir ruhig einen von den Koffern. Mein alter ist schon ziemlich schäbig. «
November 2005: Schlechte Saison
Sam Parkhill machte eine Geste mit dem Besen und fegte den blauen Marssand zur Seite.
»Das wär’s also«, sagte er. »Ja, meine Liebe, schau dir das an!« Er hob den Arm. »Schau dir das neue Schild an: SAMS HEISSE WÜRSTCHEN! Ist es nicht schön, Elma?«
»Ja, Sam«, sagte seine Frau.
»Junge, was für ein Neubeginn! Die Jungens von der Vierten Expedition müßten mich jetzt sehen! Ich bin froh, daß ich so ins Geschäft komme, während die anderen immer noch herumschippern. Wir machen bestimmt viel Geld, Elma, Tausende.«
Seine Frau sah ihn lange Zeit an, ohne etwas zu sagen. »Was ist aus Kapitän Wilder geworden?« fragte sie schließlich. »Er hat doch den Mann getötet, der alle Leute von der Erde umbringen wollte - wie hieß er doch gleich?«
»Spender, dieser Idiot. Der war zu pingelig. Oh, Kapitän Wilder? Ich habe gehört, er ist mit einer Rakete auf dem Weg zum Jupiter. Man hat ihn die Treppe raufbefördert. Ich glaube, er war wohl auch ein wenig vom Mars gebissen. Sehr empfindlich, weißt du. Wenn er Glück hat, ist er in zwanzig Jahren vom Jupiter und Pluto zurück. Das hat er nun davon, daß er das Maul so weit aufreißen mußte. Und während er sich da draußen zu Tode friert, hab ich mir was geschaffen, schau’s dir nur an!«
Sie standen an der Kreuzung zweier alter Landstraßen, die aus der Dunkelheit heranführten und wieder in der Dunkelheit verschwanden. Hier hatte Sam Parkhill seine Wellblechhütte errichtet die in hellem Licht erstrahlte und im Rhythmus der Music-Box zitterte. Er bückte sich, um eine Reihe von Glasscherben zurechtzurücken, die den Fußweg säumten. Er hatte das Glas aus alten marsianischen Gebäuden in den Hügeln herausgebrochen. »Die besten Würstchen zweier Welten! Der erste Würstchenstand auf dem Mars! Die besten Zwiebeln, der beste Paprika, der beste Senf. Niemand kann sagen, daß ich nicht aufpasse. Das sind wichtige Landstraßen, da drüben liegen die tote Stadt und die Minerallager. Die Lastwagen von der Erdsiedlung 101 kommen Tag und Nacht hier durch. Na, weiß ich einen günstigen Platz zu finden oder nicht?«
Seine Frau betrachtete ihre Fingernägel.
»Glaubst du, daß es die zehntausend neuartigen Volksraketen zum Mars schaffen?« fragte sie schließlich.
»In einem Monat sind sie da«, antwortete er laut. »Warum schaust du mich so seltsam an?«
»Ich traue den Leuten auf der Erde nicht«, sagte sie. »Ich glaub’s erst, wenn ich die zehntausend Raketen mit den hunderttausend Mexikanern und Chinesen sehe.«
»Kunden.« Er schmeckte das Wort ab. »Hunderttausend hungrige Mäuler.«
Seine Frau beobachtete den Himmel und sagte langsam: »Wenn es keinen Atomkrieg gibt. Ich habe kein Vertrauen in diese Atombomben. Es gibt viel zu viele davon auf der Erde; man kann nie wissen.«
»Ach was!« sagte Sam und fegte weiter.
Aus den Augenwinkeln bemerkte er einen blauen Schimmer. Etwas schwebte lautlos hinter ihm in der Luft. Er hörte seine Frau sagen: »Sam. Dein Freund ist wieder zu Besuch da.«
Sam wirbelte herum und erblickte die Maske, die im Wind zu schweben schien.
»Da bist du also doch wieder!« Und Sam hob den Besen wie eine Waffe.
Die Maske nickte. Sie war aus hellblauem Glas geformt und saß auf einem dünnen Hals, unter dem mehrere weite Umhänge aus gelber Seide flatterten. Zwischen den Seidentüchern erschienen zwei silbrige Hände. Der Mund der Maske war ein Schlitz, aus dem eine wohlklingende Stimme ertönte, während Umhang, Maske und Hände in die Höhe stiegen und wieder herabsanken.
»Mr. Parkhill, ich möchte noch einmal mit Ihnen sprechen«, sagte die Stimme hinter der Maske.
»Ich dachte, ich hätte mir dein Auftauchen deutlich genug verbeten!« brüllte Sam. »Verschwinde, oder ich drehe dir die Krankheit an!«
»Die Krankheit habe ich schon gehabt«, sagte die Stimme. »Ich gehöre zu den wenigen Überlebenden. Lange Zeit war ich krank.«