»Verschwinde und versteck dich in den Hügeln, wohin du gehörst; da hast du ja auch gelebt. Warum fällst du ausgerechnet mir auf den Wecker? Heute, so ganz plötzlich? Zweimal am gleichen Tag?«
»Wir haben keine bösen Absichten.«
»Aber ich!« sagte Sam und rückte vor. »Ich mag euch Fremde nicht! Ich mag keine Marsianer! Ich habe noch nie einen gesehen. Das ist natürlich. Die ganzen Jahre versteckt ihr euch, und nun plötzlich habt ihr es auf mich abgesehen. Laßt mich in Frieden!«
»Unser Kommen hat einen Grund«, sagte die blaue Maske.
»Wenn’s um das Land geht - das gehört mir. Ich habe die Würstchenbude mit eigenen Händen gebaut.«
»In gewisser Weise geht es tatsächlich um das Land.«
»Nun hör mal gut zu«, sagte Sam. »Ich komme aus New York. Und da gibt’s noch zehn Millionen weitere Menschen wie mich. Ihr Marsianer seid bestenfalls ein paar Dutzend, ihr habt keine Städte, ihr wandert in den Bergen herum, ohne Führer, ohne Gesetze - und da willst du mir etwas über dieses Land erzählen? Mal muß das Alte ja dem Neuen Platz machen. Das Gesetz des Nehmens und Gebens. Ich habe hier eine Pistole. Nach deinem Besuch heute morgen hab ich sie rausgeholt und geladen.«
»Wir Marsianer sind Telepathen«, sagte die kalte blaue Maske. »Wir stehen in Verbindung mit einer Ihrer Städte auf der anderen Seite des toten Meeres. Haben Sie Radio gehört?«
»Der Apparat ist kaputt.«
»Dann wissen Sie es also nicht. Es gibt große Neuigkeit, die die Erde betrifft.«
Eine Silberhand bewegte sich, und eine Röhre erschien.
»Ich will Ihnen mal etwas zeigen.«
»Eine Waffe!« brüllte Sam Parkhill entsetzt.
Eine Sekunde später hatte er seine Pistole aus dem Halfter gerissen und feuerte auf den Nebel, die gelben Umhänge, die blaue Maske.
Die Maske verhielt einen Moment reglos. Dann, wie ein kleines Zirkuszelt, dem die Pflöcke herausgezogen werden und das leise zusammenfallt, raschelte die Seide, die Maske sank herab, die Silberhände klapperten auf dem Steinweg. Schließlich lag die Maske auf einem kleinen Haufen Stoff und weißen Knochen.
Sam atmete schwer.
Seine Frau beugte sich über das Gewirr.
»Das ist keine Waffe«, sagte sie und bückte sich. Sie nahm die metallene Röhre auf. »Er wollte dir nur eine Nachricht zeigen. Sie ist hier in Schlangenschrift eingraviert, lauter blaue Schlangen. Ich kann’s nicht lesen. Du vielleicht?« »Nein, diese marsianische Bildschrift taugt sowieso nichts. Laß das Ding liegen!« Sam sah sich hastig um. »Es sind vielleicht noch mehr in der Nähe! Wir müssen ihn fortschaffen. Hol die Schaufel.«
»Was hast du vor?«
»Begraben natürlich.«
»Du hättest ihn nicht erschießen dürfen.«
»Es war ein Versehen. Schnell!«
Stumm holte sie die Schaufel.
Um acht Uhr stand er wieder vor dem Würstchenstand und begann nervös zu fegen. Seine Frau stand mit verschränkten Armen in der grell beleuchteten Tür.
»Die Sache tut mir leid«, sagte er. Er warf ihr einen kurzen mißmutigen Blick zu. »Verdammt! Du warst doch selbst dabei. - Es lag an den Umständen!«
»Ja«, sagte seine Frau.
»Es gefiel mir ganz und gar nicht, als er die Waffe zog.«
»Welche Waffe?«
»Zum Donnerwetter, ich hielt es jedenfalls für eine Waffe! Es tut mir leid, es tut mir leid! Wie oft muß ich das noch sagen!«
»Psst!« sagte Elma und legte einen Finger an die Lippen. »Psst!«
»Ist mir egal!« sagte er. »Ich habe die ganze Erdsiedlungsgesellschaft hinter mir!« Er schnaubte verächtlich. »Diese Marsianer wagen es bestimmt nicht.«
»Schau«, sagte Elma.
Er blickte über den toten Seegrund. Er ließ seinen Besen fallen, hob ihn wieder auf, und der Mund stand ihm offen, und ein kleiner Speicheltropfen löste sich.
»Elma, Elma, Elma!« sagte Sam und zitterte plötzlich.
»Da kommen sie«, sagte Elma.
Über das ausgetrocknete Meer kam ein Dutzend hochaufragender blauer Segel gezogen, marsianische Sandschiffe, wie blaue Gespenster, wie blauer Rauch.
»Sandschiffe! Aber die gibt es doch gar nicht mehr, Elma, Sandschiffe gibt’s nicht mehr.«
»Sie sehen aber wie Sandschiffe aus«, sagte sie.
»Aber die Behörden haben doch alle beschlagnahmt! Zerschlagen wurden sie, einige auch versteigert! In dieser Gegend bin ich der einzige, der so ein Ding besitzt und steuern kann.« »Das war einmal«, sagte sie und nickte zum Meer hinüber.
»Komm, verschwinden wir hier!«
»Warum?« fragte sie gedehnt, fasziniert von den marsianischen Fahrzeugen.
»Sie bringen mich um! Schnell, steig in unseren Laster!«
Elma rührte sich nicht. Er mußte sie mit Gewalt hinter die Hütte ziehen, wo die beiden Fahrzeuge standen - sein Lastwagen, den er bis vor einem Monat regelmäßig gefahren hatte, und das alte marsianische Sandschiff, das er lächelnd bei einer Auktion ersteigert und in den letzten drei Wochen dazu benutzt hatte, Versorgungsgüter über den glasigen Meeresgrund zu transportieren. Als er jetzt einen Blick auf seinen Lastwagen warf, fiel ihm mit Entsetzen ein, daß sie nicht fahren konnten. Der Motor war ausgebaut und lag auf dem Boden; er hatte in den letzten Tagen daran herumgebastelt.
»Sieht nicht gerade fahrbereit aus«, sagte Elma.
»Das Sandschiff. Steig ein!«
»Ich soll mich von dir in einem Sandschiff herumkutschieren lassen? Nein!«
»Steig ein! Ich kann damit umgehen!«
Er stieß sie hinein, sprang ihr nach, bewegte die Ruderpinne und ließ das kobaltblaue Segel in den Abendwind steigen.
Die Sterne schienen hell, und die blauen Marsschiffe glitten durch den flüsternden Sand. Zuerst wollte sich Parkhills Schiff nicht von der Stelle rühren, doch dann dachte er an den Sandanker und hievte ihn herein.
»Na also!« Das Sandschiff neigte sich, und der Wind trieb es über den toten Seegrund, über längst versunkene Kristalle, vorbei an umgestürzten Säulen, vorbei an verlassenen Stegen aus Marmor und Metall, vorbei an toten weißen Schachbrettstädten und purpurnen Hügeln, immer weiter. Die Silhouetten der marsianischen Schiffe wurden kleiner.
»Ich hab’s ihnen gezeigt, bei Gott!« rief Sam. »Ich mache bei der Raketengesellschaft Meldung. Die wird mich schützen! Ich bin sehr schnell.«
»Wenn sie wollten, hätten sie dich aufhalten können«, sagte Elma müde. »Es war ihnen nicht der Mühe wert.«
Er lachte. »Nun hör aber auf. Warum sollten sie mich entkommen lassen? Nein, sie waren nicht schnell genug, das ist alles.«
»Wirklich?« Elma deutete hinter ihn.
Er drehte sich nicht um. Er spürte einen kalten Hauch und hatte Angst, sich umzudrehen. Er spürte, daß etwas hinter ihm saß, zerbrechlich wie ein Atemzug an einem kalten Morgen, blau wie Hickoryrauch im Zwielicht, ein Wesen wie alte weiße Spitzen, wie eine Schneeflocke, wie der Reif des Winters auf brüchigem Riedgras.
Es ertönte ein Geräusch wie dünnes, zerbrechendes Glas - ein Lachen. Dann Schweigen. Er wandte sich um.
Eine junge Frau saß reglos auf der Ruderbank. Ihre Handgelenke waren dünn wie Eiszapfen, ihre Augen so klar und ruhig und weiß wie Monde. Der Wind erfaßte sie, und wie ein Spiegelbild auf einer dunklen kalten Wasserfläche begann sie sich zu kräuseln, und die Seide stand von ihrem zerbrechlichen Körper ab wie blaue Regenspritzer.
»Kehren Sie um«, sagte sie.
»Nein.« Sam zitterte - das kaum merkliche Zittern einer Hornisse, die zwischen Angst und Haß schwankt. »Verschwinde von meinem Schiff!«
»Das ist nicht Ihr Schiff«, sagte die Erscheinung. »Es ist so alt wie unsere Welt. Es befuhr die Sandseen schon vor zehntausend Jahren, als die Meere verschwanden und die Docks sich leerten, und nun sind Sie gekommen und haben es uns genommen - gestohlen. Wir müssen mit Ihnen reden. Etwas Wichtiges ist geschehen.«
»Verschwinde von meinem Schiff!« sagte Sam. Er zog seine Pistole, und das Leder des Halfters quietschte leise. Er zielte sorgfältig. »Spring ab! Ich zähle bis drei.«