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»Für wie lange?« fragte Robert.

»Vielleicht - vielleicht werden deine Urenkel oder Ururenkel wieder Radio hören«, sagte Paps. Er saß da, und die Kinder ließen sich von seiner Furcht und Resignation und Ergebenheit anstecken.

Schließlich lenkte er das Boot wieder auf den Kanal hinaus, und sie setzten ihren Weg fort.

Es wurde spät. Schon stand die Sonne tief am Himmel, und eine Reihe toter Städte erstreckte sich vor ihnen.

Paps wandte sich behutsam an seine Söhne. Früher war er ihnen in seiner energischen Art oft sehr fern gewesen, aber heute berührte er sie zart mit seinen Worten, sie spürten es deutlich.

»Mike, such dir eine Stadt aus.«

»Was, Paps?«

»Such dir eine Stadt aus, mein Sohn. Irgendeine von den Städten, an denen wir vorbeikommen.«

»Gut«, sagte Michael. »Aber wie mach ich das?«

»Du mußt die nehmen, die dir am besten gefällt. Robert und Tim, ihr auch. Sucht euch die Stadt aus, die euch am besten gefällt.«

»Ich möchte eine Stadt mit Marsianern drin«, sagte Michael.

»Die bekommst du auch«, sagte Paps. »Ich versprech’s dir.« Seine Lippen formten Worte für die Kinder, seine Augen sprachen zu Mama.

In den nächsten zwanzig Minuten kamen sie an sechs Städten vorüber. Paps kam nicht wieder auf die Explosion zu sprechen; es schien ihm viel mehr daran zu liegen, sich mit seinen Söhnen zu vergnügen und sie bei Laune zu halten.

Michael gefiel bereits die erste Stadt, die vorüberzog, aber alle sprachen sich dagegen aus, weil sie schnellen Entschlüssen mißtrauten.

Die zweite Stadt fand keinen Anklang. Sie war eine irdische Siedlung aus Holz und vermoderte bereits. Timothy mochte die dritte Stadt, weil sie groß war. Die vierte und fünfte Stadt waren zu klein, während die sechste den Beifall aller fand; selbst Mutter war begeistert und schloß sich den Ausrufen Ach, wie schön! und Seht doch mal an.

Fünfzig oder sechzig riesige Gebäude standen noch, die Straßen waren schmutzig, aber gepflastert, und auf den Plätzen pulsierten sogar einige Zentrifugalfontänen. Sie waren das einzige Lebenszeichen - Wasser, das im Abendlicht tanzte.

»Das ist die Stadt«, sagten alle.

Paps steuerte das Boot an einen Kai und sprang an Land.

»Da wären wir. Die Stadt gehört uns. Hier leben wir von nun an.«

»Von nun an?« fragte Michael ungläubig. Er stand auf und sah sich um und schaute blinzelnd in die Richtung, aus der sie gekommen waren und wo die Rakete gestanden hatte. »Was ist mit der Rakete? Was ist mit Minnesota?«

»Hier«, sagte Paps.

Er nahm das kleine Radio und drückte es an Michaels Kopf. »Hör mal.«

Michael lauschte.

»Nichts«, sagte er.

»Eben. Nichts. Überhaupt nichts mehr. Kein Minneapolis, keine Raketen, keine Erde.«

Michael überdachte die schlimme Offenbarung und begann trocken zu schluchzen.

»Moment«, sagte Paps sofort. »Dafür bekommst du aber eine ganze Menge zum Ausgleich, Mike!«

»Was?« Michael hielt neugierig die Tränen zurück, bereit, sofort weiterzumachen, wenn Paps neue Offenbarung so beunruhigend ausfallen sollte wie die erste.

»Ich schenke dir diese Stadt. Sie gehört dir.«

»Mir?«

»Dir, Robert und Timothy, euch ganz allein.«

Timothy sprang aus dem Boot. »Schaut her, Leute, das alles ist für uns! Das alles!« Er machte beim Spiel seines Vaters mit; er spielte es in großem Stil und ganz vorzüglich. Wenn alles vorüber und wieder in Ordnung war, dann konnte auch er sich zehn Minuten fortstehlen und weinen. Aber im Augenblick war alles noch ein Spiel, war es noch ein Familienausflug, und die anderen Kinder mußten bei der Stange gehalten werden.

Mike sprang zusammen mit Robert an Land. Sie halfen Mama beim Austeigen.

»Paßt auf euer Schwesterchen auf«, sagte Paps, aber sie wußten nicht, was er meinte.

Sie eilten in die große Stadt aus rosafarbenen Steinen, und sie unterhielten sich nur im Flüsterton, denn tote Städte regen stets zum Flüstern an oder zum Betrachten eines Sonnenuntergangs.

»In etwa fünf Tagen«, sagte Paps leise, »fahre ich zu der Stelle zurück, wo unsere Rakete gestanden hat, hole die Lebensmittel aus dem Versteck in den Ruinen und bringe sie her. Anschließend suche ich nach Bert Edwards und seiner Frau und seinen Töchtern.«

»Töchter?« fragte Timothy. »Wie viele?«

»Vier.«

»Das gibt mal Schwierigkeiten«, sagte Mama und nickte langsam.

»Mädchen?« Michael machte ein Gesicht wie eine uralte marsianische Steinfigur. »Mädchen!« sagte er geringschätzig.

»Kommen sie auch in einer Rakete?«

»Ja. Wenn sie es schaffen. Familienraketen sind eigentlich nur für Flüge zum Mond gedacht, nicht zum Mars. Wir haben Glück gehabt.«

»Woher hattest du die Rakete?« flüsterte Timothy; die anderen Jungen waren vorausgelaufen.

»Ich hatte sie versteckt, zwanzig Jahr lang, Tim. Ich versteckte sie in der Hoffnung, daß ich sie nie würde benutzen müssen. Eigentlich hätte ich sie der Regierung zum Kriegseinsatz aushändigen müssen, aber ich mußte immer wieder an den Mars denken.«

»Und an das Picknick!«

»Ja. Behalt das für dich. Als ich erkannte, daß es auf der Erde zu Ende ging, wartete ich noch bis zum letzten Moment, ehe wir starteten. Bert Edwards hatte ebenfalls ein Schiff versteckt, aber wir kamen überein, daß es vernünftiger wäre, getrennt zu starten, falls uns jemand abschießen wollte.«

»Warum hast du die Rakete in die Luft gejagt, Paps?«

»Damit wir niemals zurückkehren können. Und damit die bösen Menschen von der Erde nicht wissen, daß wir hier sind, wenn sie je zum Mars kommen.«

»Schaust du deshalb andauernd in den Himmel?«

»Ja, eine dumme Angewohnheit. Sie werden uns nicht folgen, niemals. Denn sie haben nichts, womit sie fliegen könnten. Ich bin nur übervorsichtig.«

Michael kam zurückgerannt. »Ist das wirklich unsere Stadt, Paps?«

»Kinder, uns gehört der ganze verdammte Planet. Der ganze verdammte Planet.«

Und da standen sie, Könige der Berge, Herrscher aller Reußen, Herrscher über das Land, soweit sie schauen konnten, unantastbare Monarchen und Präsidenten, und versuchten zu verstehen, was es bedeutete, eine Welt zu besitzen - und welch riesige Welt außerdem!

In der dünnen Atmosphäre zog schnell die Nacht herauf, und Paps ließ seine Familie auf dem Platz bei der sprudelnden Fontäne allein, ging zum Boot und kehrte mit einem dicken Papierstapel zurück.

Er warf die Papiere unachtsam auf einen alten Hof und steckte sie in Brand. Die Familie rückte möglichst nahe an das Feuer heran und lachte, und Timothy sah die kleinen Buchstaben wie erschreckte Tiere davonhüpfen, als die Flammen sie berührten und umschlossen. Das Papier schrumpfte ein wie die Haut alter Menschen, und das Feuer fraß unzählige Worte:

»Staatliche Anleihe; Entwicklungstrends 1999; Religiöse Vorurteile: ein Essay; Die logistischen Wissenschaften; Probleme der Panamerikanischen Union; Börsenbericht für den 3. Juli 1998; Das Kriegshandbuch. «

Paps hatte darauf bestanden, die Papiere mitzunehmen - einzig und allein für diesen Zweck. Er hockte am Boden und schob sie zufrieden ins Feuer, eins nach dem anderen, und er erklärte seinen Kindern, was das alles bedeutete.

»Es wird Zeit, daß ich euch einiges erkläre. Vermutlich war es nicht fair, euch soviel vorzuenthalten. Ich weiß nicht, ob ihr es überhaupt versteht, aber ich muß mich mal aussprechen, selbst wenn ihr mich nicht ganz begreift.«

Er ließ eine Handvoll Blätter ins Feuer fallen.

»Ich verbrenne hier einen Lebensstil, so wie dieser Lebensstil in diesem Augenblick auch auf der Erde von den Flammen ergriffen wird. Verzeiht mir, wenn ich wie die Politiker rede. Immerhin bin ich ein ehemaliger Gouverneur, der wegen seiner Ehrlichkeit gehaßt wurde. Das Leben auf der Erde hat zu keinem Zeitpunkt etwas wirklich Gutes bewirkt. Die Wissenschaften eilten uns zu schnell davon, und die Menschen gingen in dem selbstgeschaffenen technischen Dschungel verloren wie Kinder, die sich an schönen Dingen erfreuten, an mechanischen Spielsachen, Hubschraubern, Raketen; sie betonten die falschen Dinge, legten das Schwergewicht auf die Maschinen und übten sich nicht in der Kunst, diese Maschinen zu bedienen. Die Kriege wurden immer schrecklicher und haben die Erde schließlich zugrunde gerichtet. Das hat es mit dem stummen Radio also auf sich. Und davor sind wir geflohen.