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Nach gründlicher Überlegung öffnete ich die Fahrzeugtür, stieg aus und zog Seivarden hinter mir heraus. Wir gingen langsam bis zur Stelle, wo sich der Schnee veränderte, wobei auch Seivarden innehielt, wenn ich es tat. Sie stand gleichgültig da und starrte ins Leere.

Weiter hatte ich nicht planen können. »Strigan!«, rief ich und wartete, aber es kam keine Antwort. Ich ließ Seivarden stehen, wo sie war, und lief den Kreis ab. Die Eingänge zu den beiden Gebäuden in den Schneehügeln lagen seltsam im Schatten. Ich blieb stehen und schaute noch einmal hin.

Beide standen offen, und im Innern war es dunkel. Solche Gebäude hatten zweifellos Doppeltüren — wie bei einer Luftschleuse, um die Wärme drinnen zu halten —, aber ich hätte nicht gedacht, dass jemand überhaupt eine Tür offen lassen würde.

Entweder hatte Strigan die Gebäude gesichert oder nicht. Ich trat über die Linie in den Kreis. Nichts geschah.

Die inneren und die äußeren Türen standen offen, und es gab kein Licht. In einem der Häuser war es drinnen genau so kalt wie draußen. Mit etwas Licht hätte ich vermutlich einen Lagerraum für Werkzeug, versiegelte Nahrungspakete und Treibstoff vorgefunden. Im anderen betrug die Innentemperatur zwei Grad Celsius — ich vermutete, dass es bis vor Kurzem beheizt worden war. Anscheinend Wohnräume. »Strigan!«, rief ich in die Dunkelheit, aber wie das Echo meiner Stimme zurückhallte, musste das Haus leer sein.

Wieder draußen fand ich die Spuren, wo ihr Flieger gestanden hatte. Also war sie fort, und die offenen Türen und die Dunkelheit waren eine Botschaft für jene, die hierherkommen mochten. Für mich. Ich war nicht in der Lage herauszufinden, wohin sie verschwunden war. Ich blickte in den leeren Himmel hinauf und wieder auf die Abdrücke ihres Fliegers. Ich stand eine Weile da und betrachtete die leere Stelle.

Als ich zu Seivarden zurückkehrte, hatte sie sich in den grün gesprenkelten Schnee gelegt und war eingeschlafen.

Hinten im Flieger fand ich eine Laterne, einen Kocher, ein Zelt und Bettzeug. Mit der Laterne ging ich in das Gebäude, in dem ich den Wohnbereich vermutete, und schaltete sie ein.

Große Teppiche in hellen Farben bedeckten den Boden. An den Wänden hingen Webteppiche in Blau und Orange und in einem Grün, das den Augen wehtat. Niedrige Bänke mit Kissen säumten den Raum. Außer den Bänken und den grellen Wandbehängen gab es nur wenig. Ein Brettspiel mit Spielmarken, aber das Brett hatte ein Lochmuster, das ich nicht kannte, und ich verstand auch nicht die Aufteilung der Spielmarken zwischen den Löchern. Ich fragte mich, mit wem Strigan gespielt hatte. Vielleicht war das Spielbrett nur Dekoration. Es war fein geschnitzt, und die Spielfiguren waren knallbunt.

Auf einem Tisch in der Ecke stand eine hölzerne Kiste, ein langes Oval mit einem geschnitzten, durchbohrten Deckel und drei straff darüber gespannten Schnüren. Das Holz war blassgolden mit einer welligen, gekräuselten Maserung. Die in den flachen Deckel geschnitzten Löcher waren genauso unregelmäßig und komplex wie die Maserung im Holz. Es war ein schönes Objekt. Ich zupfte an der Schnur, und ein sanfter Ton erklang.

Türen führten zur Küche, zum Bad, zu den Schlafzimmern und zu dem, was offensichtlich eine kleine Krankenstation war. Ich öffnete eine Schranktür und sah ordentlich aufeinander gestapelte Korrektiva. In jeder Schublade, die ich herauszog, waren Instrumente und Medikamente. Vielleicht war sie zu einem Hirtenlager unterwegs, um Erste Hilfe zu leisten. Aber da Licht und Heizung ausgeschaltet und die Türen offen waren, stand das wohl außer Frage.

Wenn nicht ein Wunder geschah, war dies das Ende von neunzehn Jahren Planung und Mühen.

Die Schaltzentrale des Hauses befand sich hinter einer Klappe in der Küche. Ich stellte fest, dass die Energieversorgung in Ordnung war, schloss sie wieder an und schaltete Heizung und Licht ein. Dann ging ich nach draußen, holte Seivarden und schleifte sie ins Haus.

Ich machte eine Pritsche aus Decken, die ich in Strigans Schlafzimmer gefunden hatte, dann zog ich Seivarden aus, legte sie darauf und häufte noch mehr Decken über sie. Sie wachte nicht auf, und ich nutzte die Zeit, um das Haus gründlicher zu erkunden.

Die Schränke waren mit Lebensmitteln gefüllt. Auf einer Theke stand ein Becher, am Boden eine dünne Schicht einer grünlichen Flüssigkeit. Daneben lagen in einer weißen Schale die letzten Stücke einer dicken Scheiben von vertrocknetem Brot, das sich in halb gefrorenem Wasser auflöste. Es sah so aus, als wäre Strigan gegangen, ohne nach einer Mahlzeit aufzuräumen, wobei sie so gut wie alles zurückgelassen hatte — Essen, Medikamente. Ich sah im Schlafzimmer nach, fand dort warme Kleidung in gutem Zustand. Sie war überstürzt aufgebrochen, ohne viel mitzunehmen.

Sie wusste, was sie besaß. Natürlich, sonst hätte sie gar nicht flüchten müssen. Wenn sie nicht dumm war — und ich war überzeugt, dass sie es nicht war —, war sie gegangen, als ihr bewusst wurde, was ich war. Und nun flüchtete sie so weit wie möglich vor mir.

Aber wohin mochte sie gegangen sein? Wenn ich die Macht der Radch repräsentierte und sie sogar hier, so weit vom Radch-Territorium und von ihrem eigenen Zuhause entfernt, aufgespürt hätte, wohin konnte sie gehen, um am Ende nicht doch gefunden zu werden? Das war ihr bestimmt bewusst. Aber welcher andere Ausweg blieb ihr noch?

Bestimmt wäre sie nicht so dumm zurückzukehren.

Unterdessen würde Seivarden bald krank werden, wenn ich kein Kef für sie auftreiben konnte. Aber das hatte ich nicht vor. Außerdem gab es hier zu essen und Wärme und vielleicht konnte ich etwas finden, einen Hinweis, einen Anhaltspunkt darauf, was in Strigan in dem Moment vorgegangen sein mochte, als sie dachte, die Radch wäre hinter ihr her, was sie zur Flucht veranlasst hatte. Etwas, das mir verraten würde, wohin sie gegangen war.

4

In der Nacht ging ich durch die Straßen von Ors und schaute über das stinkende Wasser, das hinter den wenigen Lichtern von Ors und den blinkenden Bojen um die Sperrzonen herum im Dunkeln lag. Gleichzeitig schlief ich und hatte Wachdienst im unteren Geschoss des Hauses, falls mich jemand brauchen sollte, auch wenn das in jenen Tagen selten geschah. Ich erledigte alle unbeendeten Arbeiten des Tages und passte auf die schlafende Leutnantin Awn auf.

Morgens brachte ich Leutnantin Awn das Wasser zum Baden und kleidete sie an, wobei die einheimische Tracht viel leichter anzuziehen war als ihre Uniform, und sie hatte schon vor zwei Jahren aufgehört, Kosmetik zu benutzen, da sie in der Hitze sowieso verlief.

Danach wandte sich Leutnantin Awn ihren Ikonen zu — auf einem Kasten in der unteren Etage stand die vierarmige Amaat mit einer Emanation in jeder Hand, während die anderen (Torren, die von jeder Offizierin der Gerechtigkeit der Torren angebetet wurde, und ein paar von Leutnantin Awns Familie auserwählte Götter), an die sich ihre morgendliche Andacht richtete, gleich neben Leutnantin Awns Schlafplatz im oberen Teil des Hauses standen. Mit »Die Blüte der Gerechtigkeit ist der Frieden« begann das tägliche Gebet, das jede Radchaai-Soldatin an jedem Tag in ihrem Leben beim Militär nach dem Aufwachen sprach. »Die Blüte des Anstands ist die Schönheit der Gedanken und Handlungen.« Meine übrigen Offizierinnen, die noch in der Gerechtigkeit der Torren waren, hatten einen anderen Zeitplan. Ihr Tag begann selten mit dem von Leutnantin Awn, sodass fast immer nur Leutnantin Awns Stimme beim Gebet zu hören war, während die anderen weit weg und ohne sie im Chor sprachen. »Die Blüte der Nützlichkeit ist einzig und allein Amaat. Ich bin das Schwert der Gerechtigkeit …« Das Gebet ist antiphonisch, aber nur vier Strophen lang. Manchmal kann ich es immer noch hören, wenn ich aufwache, wie eine ferne Stimme irgendwo hinter mir.