»Oh, ja!«, stimmte Denz Ay zu. »Am besten direkt aus dem Schlamm!« Leutnantin Awn unterdrückte eine Grimasse. »Aber man kann sie auch in Scheiben schneiden und grillen …« Denz Ay hielt inne und fügte mit einem verschmitzten Blick hinzu: »Vielleicht kann mein Freund Ihnen welche besorgen.«
Ich sah Leutnantin Awn die Unzufriedenheit mit ihren Rationen an, wie sie am liebsten Ja, bitte geantwortet hätte. Stattdessen sagte sie: »Danke, aber das ist nicht nötig. Was wollten Sie gerade sagen?«
»Was ich sagen wollte?«
»Ihre … Freundin.« Während sie redete, stellte mir Leutnantin Awn mit winzigen Zuckungen ihrer Finger Fragen. »Gräbt nach Knollen in der Nähe der Sperrzone. Und?«
Ich zeigte Leutnantin Awn die Stelle, an der diese Person höchstwahrscheinlich gegraben hatte — ich patrouillierte durch ganz Ors, sah die Schiffe ein- und ausfahren, sah, wo sie in der Nacht waren, wenn die Lichter aus waren und sie vielleicht sogar dachten, sie wären für mich unsichtbar.
»Und«, sagte Denz Ay, »er hat etwas gefunden.«
Wird jemand vermisst?, fragte Leutnantin Awn mich lautlos und beunruhigt. Ich verneinte. »Was hat sie gefunden?«, fragte Leutnantin Awn Denz Ay laut.
»Waffen«, sagte Denz Ay so leise, dass Leutnantin Awn es fast nicht gehört hätte. »Ein Dutzend, von früher.« Damit meinte sie vor der Annexion. Dem gesamten Militär von Shis’urna waren die Waffen abgenommen worden, sodass niemand auf dem Planeten Waffen haben sollte, von denen wir nichts wussten. Die Antwort kam so überraschend, dass Leutnantin Awn zwei Sekunden lang überhaupt nicht reagierte.
Dann überkamen sie Verblüffung, Besorgnis und Verwirrung. Warum erzählt sie mir das?, fragte mich Leutnantin Awn lautlos.
»Es gab darüber Gerede, Leutnant«, sagte Denz Ay. »Sie haben vielleicht davon gehört.«
»Gerede gibt es immer«, erwiderte Leutnantin Awn. Diese Antwort war so formelhaft, dass ich sie gar nicht übersetzen musste, weil sie es selbst im einheimischen Dialekt hätte sagen können. »Womit sonst sollen sich die Leute die Zeit vertreiben?« Denz Ay quittierte diese lapidare Feststellung mit einer Geste. Leutnantin Awn verlor die Geduld und ging zum Angriff über. »Sie wurden dort wahrscheinlich vor der Annexion versteckt.«
Denz Ay machte eine verneinende Geste mit der linken Hand. »Vor einem Monat waren sie noch nicht dort.«
Hat jemand ein geheimes Lager aus der Zeit vor der Annexion gefunden und sie dann dort versteckt?, fragte mich Leutnantin Awn stumm. Laut fragte sie: »Wenn die Leute reden, sagen sie dann auch etwas, das erklären könnte, wieso in einer Sperrzone unter Wasser plötzlich ein Dutzend Waffen auftauchen?«
»Solche Waffen nützen nichts gegen Sie.« Wegen unserer Rüstungen, meinte Denz Ay. Eine Radchaai-Rüstung ist ein im Grunde undurchdringlicher Schutzschild. Ich konnte meinen jederzeit ausfahren, wann immer ich es wünschte. Der Mechanismus, der einen Schild generierte, war in alle meine Segmente implantiert, und bei Leutnantin Awn war es genauso — auch wenn ihrer extern getragen wurde. Er machte uns nicht völlig unverwundbar, und im Kampf trugen wir darunter manchmal leichte und gelenkige Rüstungsteile, die Kopf, Extremitäten und Rumpf schützten, aber auch ohne das konnten uns eine Handvoll Waffen nichts anhaben.
»Für wen könnten diese Waffen also bestimmt sein?«, fragte Leutnantin Awn.
Denz Ay überlegte, runzelte die Stirn, biss sich auf die Lippe und sagte dann: »Die Tanmind sind den Radchaai ähnlicher als wir.«
»Bürgerin«, sagte Leutnantin Awn und betonte das Wort absichtlich mit großer Sorgfalt, denn Radchaai bedeutete im Grunde nichts anderes, »wenn wir hier irgendwen erschießen wollten, hätten wir es längst getan.« Tatsächlich hatten wir es schon getan. »Dazu würden wir keine geheimen Waffenlager benötigen.«
»Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen«, sagte Denz Ay eindringlich, als würde sie einem Kind etwas auf sehr einfache Weise erklären wollen. »Wenn Sie jemanden erschießen, sagen Sie, warum Sie es tun, und Sie tun es ohne Ausrede. So sind die Radchaai. Aber wenn in der Oberstadt, bevor Sie eintrafen, Orsai erschossen wurden, war man immer darauf bedacht, dafür eine Rechtfertigung zu finden. Wenn jemand sterben sollte«, erklärte sie Leutnantin Awn, die ein perplexes Gesicht machte, »sagten sie nicht, bevor sie schossen: Du machst uns Ärger, wir wollen dich beseitigen. Sondern: Wir verteidigen uns nur. Und wenn die Person tot war, durchsuchten sie die Leiche oder das Haus und fanden Waffen oder belastende Nachrichten.« Keine echten, wollte sie offensichtlich damit sagen.
»Inwiefern sind wir uns also ähnlich?«
»Ihre Götter sind die gleichen.« Das waren sie nicht unbedingt, aber in der Oberstadt und auch anderswo glaubte man es gern. »Sie leben beide im Weltall, Sie alle hüllen sich in Kleidung. Sie sind reich, die Tanmind sind reich. Wenn jemand in der Oberstadt« — und damit meinte sie vermutlich eine bestimmte Person — »ausruft, dass er von einem Orsai bedroht wird, werden die meisten Radchaai ihm glauben und nicht irgendeinem Orsai, der bestimmt lügt, um sich selbst zu schützen.«
Und deshalb war sie zu Leutnantin Awn gekommen — damit, was auch immer geschah, den offiziellen Stellen der Radchaai klar war, dass sie — und infolgedessen alle anderen in der Unterstadt — nichts mit dem Waffenversteck zu tun hatte, falls es eines Tages zur Anklage kommen sollte.
»Das war einmal«, sagte Leutnantin Awn. »Zwischen Orsai, Tanmind und Moha wird nicht mehr unterschieden. Das ist vorbei. Hier sind jetzt alle Radchaai.«
»Wie Sie meinen, Leutnant«, antwortete Denz Ay mit leiser und fast ausdrucksloser Stimme.
Leutnantin Awn war schon lange genug in Ors, um zu erkennen, wenn jemand unterschwellig die Zustimmung verweigerte. Sie versuchte es mit einem anderen Ansatz. »Niemand wird irgendwen erschießen.«
»Natürlich nicht, Leutnant«, sagte Denz Ay, aber wieder mit dieser leisen Stimme. Sie war alt genug, um aus erster Hand zu wissen, dass wir in der Vergangenheit tatsächlich Leute erschossen hatten. Man konnte ihr nicht übelnehmen, dass sie befürchtete, wir könnten es auch in der Zukunft wieder tun.
Nachdem Denz Ay gegangen war, blieb Leutnantin Awn nachdenklich sitzen. Niemand störte sie dabei; es war ein ruhiger Tag. Im grün beleuchteten Innenraum des Tempels wandte sich die Oberpriesterin mir zu und sagte: »Früher gab es zwei Chöre mit je hundert Stimmen. Das hätte Ihnen gefallen.« Ich hatte Aufnahmen gesehen. Manchmal kamen die Kinder mit Liedern zu mir, die ein entferntes Echo jener Musik waren, die vor mehr als fünfhundert Jahren verloren gegangen war. »Wir sind nicht mehr, was wir einmal waren«, sagte die Oberpriesterin. »Alles geht irgendwann zu Ende.« Ich stimmte ihr zu.
»Nehmen Sie sich heute Nacht ein Boot«, sagte Leutnantin Awn, als sie sich endlich rührte. »Schauen Sie, ob es irgendwelche Hinweise gibt, woher die Waffen stammen. Ich werde entscheiden, was zu tun ist, sobald ich mehr darüber weiß, was vor sich geht.«
»Ja, Leutnantin«, sagte ich.
Jen Shinnan wohnte in der Oberstadt, auf der anderen Seite des Vortempelteichs. Dort lebten nur wenige Orsai, die keine Dienerinnen waren. Die Häuser hatten eine etwas andere Architektur als jene in der Unterstadt. Sie besaßen ein Walmdach, der mittlere Teil jedes Stockwerks war von einer Mauer umgeben, doch die Fenster und Türen wurden in milden Nächten offen gelassen. Die gesamte Oberstadt war während der letzten fünfzig Jahre auf älteren Ruinen errichtet worden und damit wesentlich jünger als der untere Teil. Außerdem hatte man mit mehr Klimakontrolle gearbeitet. Viele Bewohnerinnen trugen Hosen und Hemden und sogar Jacken. Radchaai-Immigranten, die hier wohnten, neigten zu deutlich konventionellerer Kleidung, und Leutnantin Awn trug ihre Uniform ohne allzu großes Unbehagen, wenn sie zu Besuch kam.