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»Innerlichkeit?«, schlug Leutnantin Skaaiat vor, der dieses Spiel viel mehr Spaß machte als Leutnantin Awn.

»Genau, das ist es!«, rief Jen Shinnan. »Innerlichkeit, ja.«

»Also läuft ihre Theorie darauf hinaus«, sagte Leutnantin Awn mit gefährlich gleichmäßigem Tonfall, »dass die Orsai eigentlich keine Personen sind.«

»Zumindest keine Individuen.« Jen Shinnan schien vage zu spüren, dass sie etwas gesagt hatte, das Leutnantin Awn ärgerte, auch wenn sie sich dessen nicht ganz sicher war. »Nicht als solche.«

»Und natürlich«, warf Jen Taa ein, ohne etwas davon zu bemerken, »sehen sie, was wir haben, und verstehen nicht, dass man für ein solches Leben arbeiten muss. Sie sind neidisch und verbittert und werfen uns vor, dass wir sie nicht daran teilhaben lassen, obwohl sie doch nur dafür arbeiten müssten …«

»Mit dem Geld, das sie haben, unterstützen sie den halb zerfallenen Tempel, und dann beklagen sie sich, dass sie arm sind«, sagte Jen Shinnan. »Und sie fischen den Sumpf leer und geben dann uns die Schuld. Sie würden dasselbe mit Ihnen machen, Leutnantin, wenn Sie die Sperrzonen wieder öffnen würden.«

»Und dass Sie den Schlamm tonnenweise ausbaggern, um ihn als Düngemittel zu verkaufen, hat nichts mit dem Verschwinden der Fische zu tun?«, fragte Leutnantin Awn in scharfem Tonfall. Tatsächlich war das Düngemittel ein Nebenprodukt des Hauptgeschäfts gewesen, dem Verkauf des Schlamms an weltraumbewohnende Tanmind für religiöse Zwecke. »Daran war nur die verantwortungslose Fischerei seitens der Orsai schuld?«

»Nun, es hatte natürlich einen gewissen Effekt«, sagte Jen Taa, »aber wenn sie ihre Ressourcen einfach nur vernünftig eingeteilt hätten …«

»Völlig richtig«, stimmte Jen Shinnan zu. »Sie werfen mir vor, ich hätte die Fischerei ruiniert. Aber ich habe diesen Leuten Arbeit gegeben. Die Gelegenheit, ihr Leben zu verbessern.«

Leutnantin Skaaiat musste gespürt haben, dass Leutnantin Awn einen gefährlichen Punkt erreicht hatte. »Die Sicherheit auf einem Planeten unterscheidet sich sehr von der in einer Station«, sagte sie in fröhlichem Tonfall. »Auf einem Planeten gibt es immer irgendwelche … Unwägbarkeiten. Irgendwelche Dinge, die man nicht sieht.«

»Ah«, sagte Jen Shinnan, »aber Sie haben hier jede Person markiert, damit Sie stets wissen, wo wir uns aufhalten.«

»Ja«, bestätigte Leutnantin Skaaiat. »Aber wir überwachen Sie nicht ständig. Ich vermute, man könnte eine KI wachsen lassen, die groß genug ist, um einen ganzen Planeten zu überwachen, aber ich glaube, so etwas hat noch niemand versucht. In einer Station hingegen …«

Leutnantin Awn erkannte nun, wie Leutnantin Skaaiat die Falle zuschnappen ließ, in die Jen Shinnan vor wenigen Augenblicken getappt war. »In einer Station«, sagte Leutnantin Awn, »sieht die KI alles.«

»Das ist viel leichter zu handhaben«, stimmte Leutnantin Skaaiat zufrieden zu. »Also ist ein Sicherheitsdienst fast gar nicht nötig.« Das stimmte nicht ganz, aber jetzt war der falsche Moment, darauf hinzuweisen.

Jen Taa legte ihr Besteck auf den Tisch. »Zweifellos sieht die KI nicht alles.« Keine der beiden Leutnantinnen sagte etwas. »Selbst wenn Sie …«

»Alles«, antwortete Leutnantin Awn. »Da können Sie sich ganz sicher sein, Bürgerin.«

Stille, fast zwei Sekunden lang. Neben mir zuckte der Mund von Leutnantin Skaaiats Sieben-Issa-Wache, was vielleicht nur ein Juckreiz oder ein unwillkürliches Muskelzucken, nach meiner Vermutung aber die einzige äußerliche Manifestation ihrer Belustigung war. Militärschiffe waren genauso wie Stationen mit KIs ausgestattet, und Radchaai-Soldatinnen lebten völlig ohne Privatsphäre.

Leutnantin Skaaiat brach das Schweigen. »Wird Ihre Nichte, Bürgerin, in diesem Jahr auf ihre Eignung geprüft?«

Die Cousine gestikulierte zustimmend. Solange ihr Einkommen durch die Landwirtschaft gesichert war, brauchte sie keine Anstellung, genauso wenig wie ihre Erben — wie viele Erben ihr Land auch immer ernähren mochte. Die Nichte dagegen hatte ihre Eltern während der Annexion verloren.

»Diese Eignungsprüfung«, sagte Jen Shinnan. »Sie haben sie abgelegt, Leutnantinnen?« Beide deuteten Zustimmung an. Die Eignungsprüfung war die einzige Möglichkeit, ins Militär oder zu einem Verwaltungsposten zu kommen — obwohl das nicht sämtliche verfügbaren Anstellungen umfasste.

»Ohne Zweifel«, sagte Jen Shinnan, »sind diese Prüfungen gut für Sie geeignet, aber ich frage mich, ob sie uns Shis’urnai angemessen sind.«

»Warum das?«, fragte Leutnantin Skaaiat mit einem leicht amüsierten Stirnrunzeln.

»Gab es irgendwelche Probleme?«, fragte Leutnantin Awn, immer noch steif, immer noch über Jen Shinnan verärgert.

»Nun.« Jen Shinnan nahm eine Serviette, weich und schneeweiß gebleicht, und wischte sich den Mund ab. »Es heißt, im letzten Monat waren in Kould Ves sämtliche Kandidatinnen für den öffentlichen Dienst ethnische Orsai.«

Leutnantin Awn blinzelte verwirrt. Leutnantin Skaaiat lächelte. »Sie wollen damit sagen«, erwiderte sie und sah Jen Shinnan an, richtete ihre Worte aber genauso an Leutnantin Awn, »dass Sie glauben, die Prüfungen würden verzerrte Ergebnisse liefern?«

Jen Shinnan faltete die Serviette zusammen und legte sie neben ihre Schüssel auf den Tisch. »Ich bitte Sie, Leutnantin. Lassen Sie uns ehrlich sein. Es gibt einen Grund, warum so wenige Orsai solche Posten innehatten, bevor Sie eintrafen. Hin und wieder gab es eine Ausnahme — die Göttliche ist eine sehr ehrenwerte Person, das gestehe ich gern ein. Aber sie ist eine Ausnahme. Wenn ich also zwanzig Orsai sehe, die für Posten im öffentlichen Dienst auserwählt wurden, und keine einzige Tanmind, kommt mir unwillkürlich der Verdacht, dass entweder die Prüfung fehlerhaft ist, oder … nun ja. Ich erinnere mich daran, dass es die Orsai waren, die als Erste kapitulierten, als Sie eintrafen. Ich kann es Ihnen nicht zum Vorwurf machen, wenn Sie das positiv bewerten, wenn Sie das … anerkennen möchten. Aber es ist ein Fehler.«

Leutnantin Awn sagte nichts. Leutnantin Skaaiat fragte: »Vorausgesetzt, Sie haben recht, warum sollte das ein Fehler sein?«

»Es ist, wie ich bereits sagte. Sie sind einfach nicht für anspruchsvolle Positionen geeignet. Mit einigen Ausnahmen, ja, aber …« Sie wedelte mit der Hand. »Und wenn die Voreingenommenheit bei der Auswahl so offensichtlich ist, werden die Leute kein Vertrauen mehr darin haben.«

Leutnantin Skaaiats Lächeln wurde breiter, im gleichen Maß, wie Leutnantin Awns stille, empörte Wut zunahm. »Ihre Nichte ist nervös?«

»Ein bisschen!«, gestand die Cousine ein.

»Verständlich«, sagte Leutnantin Skaaiat gedehnt. »Es ist ein bedeutsames Ereignis im Leben jeder Bürgerin. Aber sie muss keine Angst haben.«

Jen Shinnan lachte süffisant. »Keine Angst? Die Unterstadt ist uns nicht wohlgesinnt, so war es schon immer, und nun können wir keine rechtsgültigen Verträge mehr abschließen, ohne ein Verkehrsmittel nach Kould Ves zu nehmen oder durch die Unterstadt zu Ihrem Haus zu laufen, Leutnantin.« Alle rechtlich bindenden Verträge mussten im Tempel der Amaat geschlossen werden. Allerdings gab es seit kurzem ein (jedoch sehr kontrovers diskutiertes) Zugeständnis, dass es auch auf den Stufen davor geschehen konnte, wenn eine der Parteien eine ausschließliche Monotheistin war. »Während dieser Pilgersache ist nahezu alles möglich. Entweder verlieren wir durch die Reise nach Kould Ves einen ganzen Tag, oder wir bringen uns in Gefahr.«

Jen Shinnan fuhr recht häufig nach Kould Ves, auch um lediglich Freunde zu besuchen oder einzukaufen. Alle Tanmind in der Oberstadt taten das und hatten es auch schon vor der Annexion getan. »Gab es irgendwelche nicht gemeldeten Schwierigkeiten?«, fragte Leutnantin Awn steif und verärgert. Doch äußerst höflich.