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»Nun«, sagte Jen Taa. »Ich wollte es tatsächlich erwähnen, Leutnantin. Wir sind jetzt seit einigen Tagen hier, und meine Nichte scheint gewisse Probleme in der Unterstadt gehabt zu haben. Ich sagte zu ihr, es sei besser, nicht dorthin zu gehen, aber Sie wissen ja, wie Jugendliche sind, wenn man ihnen sagt, dass sie etwas nicht tun sollen.«

»Was für Probleme?«, fragte Leutnantin Awn.

»Ach«, sagte Jen Shinnan, »Sie kennen das bestimmt. Unfreundliche Worte, Drohungen — zweifellos leere, und natürlich nichts im Vergleich zu dem, was ihr in ein oder zwei Wochen bevorsteht, aber das Kind war ziemlich erschüttert.«

Das fragliche Kind hatte die vergangenen zwei Nachmittage damit zugebracht, auf den Vortempelteich zu starren und zu seufzen. Ich hatte sie einmal angesprochen, worauf sie den Kopf abwandte, ohne zu antworten. Danach hatte ich sie in Ruhe gelassen. Niemand hatte ihr Schwierigkeiten gemacht. Ich habe keine Probleme gesehen, signalisierte ich Leutnantin Awn.

»Ich werde sie im Auge behalten«, sagte Leutnantin Awn und nahm meine Information stumm mit einem Fingerzucken zur Kenntnis.

»Danke, Leutnantin«, sagte Jen Shinnan. »Ich wusste, dass wir auf Sie zählen können.«

»Sie halten das für witzig.« Leutnantin Awn bemühte sich, ihren verkrampften Unterkiefer zu entspannen. An der zunehmenden Anspannung ihrer Gesichtsmuskeln konnte ich erkennen, dass sie ohne Intervention bald Kopfschmerzen bekommen würde.

Leutnantin Skaaiat, die neben ihr lief, lachte laut auf. »Es ist pure Comedy. Verzeihen Sie mir, meine Liebe, aber je wütender Sie werden, desto gewissenhaft korrekter wird Ihre Ausdrucksweise und desto mehr werden Sie von Jen Shinnan missverstanden.«

»Sicherlich nicht. Sicherlich hat sie sich über mich erkundigt.«

»Sie sind immer noch wütend. Nein, schlimmer«, sagte Leutnantin Skaaiat, die sich bei Leutnantin Awn einhakte, »Sie sind wütend auf mich. Das tut mir leid. Und sie hat sich tatsächlich über Sie erkundigt. Sehr indirekt, sie war lediglich an Ihnen interessiert, was natürlich nur verständlich ist.«

»Und Sie haben geantwortet«, mutmaßte Leutnantin Awn, »gleichermaßen indirekt.«

Ich lief hinter ihnen, neben der Sieben Issa, die in Jen Shinnans Esszimmer nicht von meiner Seite gewichen war. Geradeaus, die Straße entlang und gegenüber am Vortempelteich konnte ich mich selbst sehen, wie ich auf dem Platz stand.

»Ich habe nichts Unwahres gesagt«, unterstrich Leutnantin Skaaiat. »Ich habe ihr erklärt, dass Leutnantinnen in Schiffen mit Hilfseinheiten häufig aus alten, hochrangigen Familien mit viel Geld und Klientinnen stammen. Ihre Verbindungen in Kould Ves hätten ihr etwas mehr sagen können, aber nicht viel. Einerseits haben sie Grund, Ihnen zu grollen, da Sie keine solche Person sind. Andererseits kommandieren Sie tatsächlich Hilfseinheiten und keine vulgären menschlichen Soldatinnen, was die Altmodischen genauso sehr verurteilen wie den Umstand, dass die Sprösslinge von unbedeutenden Häusern zu Offizierinnen ernannt werden. Sie respektieren Ihre Hilfseinheiten und missbilligen Ihre Vorgängerinnen. Jen Shinnan bekommt ein sehr ambivalentes Bild von Ihnen.« Sie sprach mit ruhiger Stimme, sodass nur jemand in unmittelbarer Nähe sie hören konnte, obwohl die Häuser, an denen wir vorbeikamen, verriegelt und in den unteren Stockwerken dunkel waren. Es war völlig anders als in der Unterstadt, wo die Leute noch bis spät in die Nacht fast auf der Straße saßen, sogar kleine Kinder.

»Außerdem«, sagte Leutnantin Skaaiat, »hat sie recht. Oh nein, nicht mit diesem Unsinn über die Orsai, aber sie hat recht mit ihrem Misstrauen, was die Eignungsprüfungen betrifft. Sie wissen selbst, dass die Tests leicht zu manipulieren sind.« Leutnantin Awn verspürte eine unangenehme Empörung über die Bloßstellung durch Leutnantin Skaaiat, sagte aber nichts dazu, sodass Leutnantin Skaaiat fortfuhr. »Seit Jahrhunderten wurden bei den Prüfungen für bestimmte Positionen nur die Reichen und jene mit guten Verbindungen als geeignet befunden. Zum Beispiel für Karrieren als militärische Offizierinnen. In den letzten fünfzig oder fünfundsiebzig Jahren galt das nicht mehr. Bringen die geringeren Häuser plötzlich viel mehr Offizierskandidatinnen hervor als früher?«

»Die Richtung Ihrer Ausführungen gefällt mir nicht«, erwiderte Leutnantin Awn und zupfte leicht an ihren verschränkten Armen, um sich von ihr zu lösen. »Das hatte ich nicht von Ihnen erwartet.«

»Nein, nein«, protestierte Leutnantin Skaaiat und ließ sie nicht los, zog sie noch näher heran. »Die Frage ist die richtige Frage und die Antwort genauso. Die Antwort lautet natürlich nein. Aber würde das bedeuten, dass die Prüfungen vorher manipuliert waren oder es jetzt sind?«

»Ihre Meinung dazu?«

»Beides. Vorher und jetzt. Und unsere Freundin Jen Shinnan versteht nicht gänzlich, dass diese Frage überhaupt gestellt werden kann — sie weiß nur, dass man die richtigen Verbindungen braucht, wenn man erfolgreich sein will, und sie weiß, dass die Eignungsprüfungen ein Teil davon sind. Und sie ist völlig ohne Scham — Sie haben gehört, wie sie andeutete, dass die Orsai für ihre Kollaboration belohnt werden, und fast im gleichen Atemzug deutete sie an, dass ihre Leute noch viel bessere Kollaborateurinnen wären! Und Sie haben zweifellos bemerkt, dass weder sie noch ihre Cousine ihre eigenen Kinder zur Prüfung schicken, sondern nur diese verwaiste Nichte. Trotzdem investieren sie in ihr Wohlergehen. Wenn wir sie um Schmiergeld gebeten hätten, damit ihre Nichte vorankommt, hätte sie es uns gegeben, ohne Frage. Es überrascht mich sogar, dass sie uns nichts angeboten hat.«

»Das würden Sie nicht tun«, protestierte Leutnantin Awn. »Niemals. Sie könnten ohnehin nichts für sie tun.«

»Ich müsste auch gar nichts tun. Das Kind wird bei der Prüfung gut abschneiden, wahrscheinlich zur Ausbildung in die Territorialhauptstadt geschickt werden, um dann einen netten Posten im öffentlichen Dienst zu übernehmen. Wenn Sie mich fragen, werden die Orsai in der Tat für die Kollaboration belohnt — auch wenn sie in diesem System nur eine Minderheit sind. Und nachdem die unvermeidlichen Unannehmlichkeiten der Annexion jetzt vorüber sind, möchten wir, dass die Leute allmählich erkennen, dass sie davon profitieren, Radchaai zu sein. Es ist wenig hilfreich, einheimische Häuser dafür zu bestrafen, dass sie nicht schnell genug kapituliert haben.«

Sie liefen eine Weile schweigend weiter und blieben am Rand des Teichs stehen, immer noch mit verschränkten Armen.

»Soll ich Sie nach Hause begleiten?«, fragte Leutnantin Skaaiat. Leutnantin Awn antwortete nicht, sondern blickte über den Teich, immer noch verärgert. Die grünen Oberlichter im schrägen Dach des Tempels strahlten, und Licht ergoss sich aus den offenen Türen auf den Platz und spiegelte sich auf dem Wasser — es war die Saison der Nachtwachen. Leutnantin Skaaiat sagte mit einem halb entschuldigenden Lächeln: »Ich habe Sie verärgert. Lassen Sie es mich wiedergutmachen.«

»Sicher«, sagte Leutnantin Awn mit einem leisen Seufzer. Sie konnte Leutnantin Skaaiat nie widerstehen, und es gab auch keinen echten Grund, es zu tun. Sie kehrten um und liefen am Ufer entlang.

»Was ist der Unterschied«, fragte Leutnantin Awn so leise, dass es schien, als würde das Schweigen gar nicht gebrochen werden, »zwischen Bürgerinnen und Nicht-Bürgerinnen?«

»Die einen sind zivilisiert«, sagte Leutnantin Skaaiat mit einem Lachen, »und die anderen sind es nicht.« Der Witz funktionierte nur auf Radchaai, weil Bürgerin und zivilisiert mit demselben Wort bezeichnet wurden. Wer Radchaai war, war zivilisiert.