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So kleine Dinge. Es war nicht Seivardens Schuld, dass sie unklug in einer Situation reagiert hatte, die nur wenige (wenn überhaupt irgendwelche) Siebzehnjährige souverän hätten bewältigen können. Es war kaum überraschend, dass sie sich genauso versnobt verhielt, wie sie erzogen worden war. Es war nicht ihre Schuld, dass ich im Laufe meiner (zu jener Zeit) tausend Jahre währenden Existenz verstanden hatte, Befähigung höher wertzuschätzen als Herkunft. Und ich hatte mehr als ein »sehr provinzielles« Haus erlebt, das hoch genug aufgestiegen war, um dieses Etikett zu verlieren und selbst Abkömmlinge wie Seivarden hervorzubringen.

All die Jahre zwischen der jungen Leutnantin Seivarden und der Kapitänin Seivarden bestanden aus winzigen Momenten. Kleinen Dingen. Ich hatte Seivarden nie gehasst. Ich hatte sie einfach nur nie besonders gemocht. Aber ich konnte sie jetzt nicht betrachten, ohne an eine andere Person zu denken.

Die folgende Woche in Strigans Haus war unangenehm. Seivarden musste ständig betreut und regelmäßig gesäubert werden. Sie aß nur wenig (was in gewisser Hinsicht gut so war), und ich musste dafür sorgen, dass sie nicht dehydrierte. Doch am Ende der Woche behielt sie ihr Essen im Magen und schlief wenigstens zeitweilig. Trotzdem war ihr Schlaf leicht, sie zuckte und drehte sich, zitterte oft, atmete schwer und wachte plötzlich auf. Wenn sie wach war und nicht weinte, beklagte sie sich, dass alles zu schroff, zu grob, zu laut und zu hell war.

Noch ein paar Tage später, als sie dachte, ich würde schlafen, öffnete sie die Außentür und starrte hinaus in den Schnee. Dann zog sie sich die Kleidung und einen Mantel an und stapfte zum Nebengebäude und schließlich zum Flieger. Sie versuchte ihn zu starten, aber ich hatte ein wichtiges Bauteil entfernt, das ich in meiner Nähe aufbewahrte. Als sie ins Haus zurückkehrte, besaß sie zumindest die Geistesgegenwart, beide Türen zu schließen, bevor sie Schnee in den Hauptraum brachte, wo ich auf einer Bank saß und Strigans Saiteninstrument in den Händen hielt. Sie starrte mich an, ohne ihre Überraschung verbergen zu können, die Schultern immer noch leicht hochgezogen, im schweren, unbequemen Mantel, nervös.

»Ich möchte gehen«, sagte sie in einem seltsamen Tonfall, der halb eingeschüchtert, halb nach einer arroganten Radchaai-Befehlshaberin klang.

»Wir brechen auf, sobald ich bereit bin«, sagte ich und zupfte ein paar Töne auf dem Instrument. Ihre Emotionen waren noch zu frisch, als dass sie sie in diesem Moment hätte verbergen können, und ihre Wut und Verzweiflung zeigten sich deutlich in ihrem Gesicht. »Dass Sie sich hier befinden«, sagte ich in gleichmäßigem Tonfall, »ist das Ergebnis von Entscheidungen, die Sie selbst getroffen haben.«

Sie richtete ihr Rückgrat auf, zog die Schultern zurück. »Sie wissen gar nichts über mich oder irgendwelche Entscheidungen, die ich getroffen oder nicht getroffen habe.«

Es genügte, um mich wieder wütend zu machen. Mit Entscheidungen kannte ich mich recht gut aus. »Ah, ich vergaß. Alles geschieht nach Amaats Willen, und nichts ist Ihre Schuld.«

Sie riss die Augen weit auf. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, hielt sich dann zurück und atmete stattdessen plötzlich und zitternd aus. Sie drehte sich um, vorgeblich, um den Mantel auszuziehen und ihn auf eine Bank zu werfen. »Das verstehen Sie nicht«, sagte sie verächtlich, doch in ihrer Stimme zitterten unterdrückte Tränen. »Sie sind nicht Radchaai.«

Nicht zivilisiert. »Wann haben Sie angefangen, Kef zu nehmen? Bevor oder nachdem Sie die Radch verlassen haben?« Eigentlich sollte es auf dem Radchaai-Hoheitsgebiet gar nicht verfügbar sein, aber es gab immer irgendeine kleine Schmugglerbasis, die von den Behörden mehr oder weniger absichtlich übersehen wurde.

Sie ließ sich auf die Bank neben der fallen, auf der ihr achtlos hingeworfener Mantel lag. »Ich will Tee.«

»Hier gibt es keinen Tee.« Ich legte das Instrument beiseite. »Es gibt nur Milch.« Genauer gesagt, handelte es sich um fermentierte Bov-Milch, die von den Einheimischen mit Wasser verdünnt und warm getrunken wurde. Der Geruch — und der Geschmack — erinnerte an durchgeschwitzte Stiefel. Und zu viel davon würde Seivarden vermutlich leichte Übelkeit bereiten.

»Wie kann es sein, dass es hier keinen Tee gibt?«, wollte sie wissen, aber sie beugte sich vor, mit den Ellbogen auf den Knien, und legte die Stirn auf ihre Handgelenke, die bloßen Hände mit der Innenfläche nach oben und die Finger ausgestreckt.

»Es kann sein«, antwortete ich. »Warum haben Sie Kef genommen?«

»Das würden Sie nicht verstehen.« Tränen fielen ihr in den Schoß.

»Stellen Sie mich auf die Probe.« Ich hob das Instrument wieder auf und zupfte eine Melodie.

Nachdem sie sechs Sekunden lang stumm geweint hatte, sagte Seivarden: »Sie sagte, es würde alles viel klarer machen.«

»Das Kef?« Keine Antwort. »Was sollte klarer werden?«

»Ich kenne dieses Lied«, sagte sie, das Gesicht immer noch auf die Hände gestützt. Mir wurde klar, dass dies wahrscheinlich die einzige Möglichkeit war, wie sie mich wiedererkennen konnte, und wechselte zu einer anderen Melodie. In einer Region von Valskaay war Singen ein kultivierter Zeitvertreib, und einheimische Chorgruppen waren das Zentrum gesellschaftlicher Aktivitäten. Durch diese Annexion hatte ich Zugang zu einer großen Menge der Art von Musik gefunden, die mir am besten gefiel, als ich noch mehr als nur eine Stimme gehabt hatte. Aus diesem Repertoire wählte ich ein Stück. Seivarden konnte es nicht kennen. Valskaay war sowohl vor als auch nach ihrer Zeit gewesen.

»Sie sagte«, antwortete Seivarden schließlich und löste das Gesicht von den Händen, »dass Emotionen die Wahrnehmung trüben. Dass die reine Vernunft die klarste Sicht bietet, ohne durch Gefühle verzerrt zu werden.«

»Das ist nicht wahr.« Ich hatte eine Woche mit diesem Instrument verbracht und nur wenig anderes zu tun gehabt. Ich schaffte zwei Melodielinien gleichzeitig.

»Zu Anfang schien es wahr zu sein. Zu Anfang war es wunderbar. Alles fiel von mir ab. Aber dann nutzte es sich ab, und alles war wieder genauso wie zuvor. Nur schlimmer. Und nach einer Weile fühlte es sich schlecht an, nichts zu fühlen. Ich weiß nicht. Ich kann es nicht beschreiben. Aber wenn ich mehr nahm, verschwand das wieder.«

»Und das Herunterkommen wurde von Mal zu Mal etwas unerträglicher.« Ich hatte diese Geschichte während der letzten zwanzig Jahre schon einige Male gehört.

»Oh, bei Amaats Gnade«, stöhnte sie. »Ich will sterben.«

»Warum tun Sie es nicht?« Ich spielte ein anderes Lied. Mein Herz ist ein Fisch, der sich im Wassergras verbirgt. Im Grün, im Grün …

Sie sah mich an, als wäre ich ein Stein, der plötzlich zu ihr gesprochen hatte.

»Sie haben Ihr Schiff verloren«, sagte ich. »Sie waren tausend Jahre lang eingefroren. Als Sie aufwachten, hatte sich die Radch verändert — keine Invasionen mehr, ein demütigender Vertrag mit den Presger, Ihr Haus hat den finanziellen und sozialen Status verloren. Niemand kennt Sie oder erinnert sich an Sie oder interessiert sich dafür, ob Sie leben oder tot sind. Es ist weder das, was Sie gewohnt waren, noch das, was Sie von Ihrem Leben erwartet haben, nicht wahr?«

Es dauerte drei überraschte Sekunden, bis es ihr dämmerte. »Sie wissen, wer ich bin.«

»Natürlich weiß ich, wer Sie sind. Sie haben es mir gesagt«, log ich.

Sie blinzelte unter Tränen und schien zu versuchen, sich zu erinnern, ob sie es wirklich getan hatte. Aber ihre Erinnerungen waren natürlich unvollständig.

»Gehen Sie schlafen«, sagte ich und legte die Finger über die Saiten, um sie zum Verstummen zu bringen.

»Ich will gehen«, protestierte sie, ohne sich zu rühren, immer noch in sich zusammengesackt auf der Bank sitzend, die Ellbogen auf den Knien. »Warum kann ich nicht gehen?«

»Ich habe hier Dinge zu erledigen«, erklärte ich ihr.