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»Und anschließend«, sagte Leutnantin Skaaiat, »finden sie all diese Waffen. Oder auch währenddessen. Oder …« Sie schüttelte den Kopf. »Das alles passt nicht zusammen. Gehen mir mal davon aus, dass Sie recht haben. Es bleibt die Frage, wer davon profitiert. Nicht die Tanmind, nicht wenn sie Schwierigkeiten machen. Sie können so viele Vorwürfe vorbringen, wie sie wollen, aber ganz gleich, was irgendwer im See findet, droht ihnen die Umerziehung, wenn sie einen Aufruhr anzetteln.«

Leutnantin Awn machte eine zweifelnde Geste. »Wer diese Waffen hierherschaffen kann, ohne dass wir sie bemerken, könnte auch in der Lage sein, die Tanmind aus Schwierigkeiten herauszuhalten. Oder glaubwürdig behaupten, sie könnten es tun.«

»Ah.« Leutnantin Skaaiat verstand sofort. »Eine geringe Ordnungsstrafe, wegen mildernder Umstände. Ohne Zweifel. Es dürfte jemand ganz oben sein. Eine sehr gefährliche Person. Aber warum?«

Leutnantin Awn sah mich an. »Gehen Sie zur Oberpriesterin und bitten Sie sie um einen Gefallen. Richten Sie ihr von mir aus, dass der Sturmalarm ständig besetzt sein sollte, auch wenn jetzt keine Regenzeit ist.« Der Alarm, eine ohrenbetäubende Sirene, befand sich auf dem Dach der Tempelresidenz. Wenn sie ertönte, wurden die Sturmrollläden an den meisten Gebäuden in der Unterstadt aktiviert, und in jedem Fall wurden die Bewohner jedes Gebäudes geweckt, dass nicht mit einer solchen Automatik ausgestattet war. »Bitten Sie sie, sich bereitzuhalten, den Alarm zu aktivieren, wenn ich sie dazu auffordere.«

»Ausgezeichnet«, sagte Leutnantin Skaaiat. »Dann wird sich ein Mob wenigstens etwas mehr anstrengen müssen, an den Rollläden vorbeizukommen. Und dann?«

»Vielleicht geschieht es gar nicht«, sagte Leutnantin Awn. »Was auch immer es ist, wir müssen es so nehmen, wie es kommt.«

Was am nächsten Morgen kam, war die Nachricht, dass Anaander Mianaai, die Herrin der Radch, uns irgendwann in den nächsten Tagen besuchen würde.

Seit dreitausend Jahren war Anaander Mianaai die absolute Herrscherin über das Radch-Territorium gewesen. Sie residierte in allen dreizehn Provinzpalästen und war bei jeder Annexion anwesend. Dazu war sie imstande, weil sie Tausende von Körpern besaß, allesamt genetisch identisch, alle miteinander verlinkt. Sie befand sich immer noch im Shis’urna-System, einige von ihr an Bord des Flaggschiffs dieser Annexion, der Schwert der Amaat, und einige in der Station Shis’urna. Sie war es, die die Radchaai-Gesetze machte und über Ausnahmen von diesen Gesetzen entschied. Sie war die höchste militärische Kommandantin, die höchste Oberpriesterin von Amaat, die Person, der letztlich alle Radchaai-Häuser als Klientinnen dienten.

Und sie kam nach Ors, zu einem nicht näher angegebenem Datum innerhalb der nächsten paar Tage. Im Grunde war es ein wenig überraschend, dass sie Ors nicht schon früher besucht hatte. Obwohl es klein war, obwohl die Orsai viel von ihrem ehemaligen Ruhm verloren hatten, war Ors durch die jährliche Pilgerreise immer noch ein Ort mit einer gewissen Bedeutung. Immerhin so bedeutend, dass Offiziere aus angeseheneren Familien und mit mehr Einfluss als Leutnantin Awn diesen Posten angestrebt hatten — und weiterhin versuchten, sie davon zu verdrängen, trotz des entschlossenen Widerstands der Göttlichen der Ikkt.

Der Besuch selbst kam also nicht ganz unerwartet, wenn auch der Zeitpunkt seltsam schien. Zwei Wochen vor dem Beginn der Pilgerzeit, wenn Orsai und Touristinnen zu Hunderttausenden durch die Stadt ziehen würden. Während der Pilgerzeit wäre Anaander Mianaais Anwesenheit für viele sichtbar, eine Gelegenheit, um die große Anzahl der Ikkt-Verehrerinnen zu beeindrucken. Stattdessen kam sie kurz davor. Und natürlich war es unmöglich zu übersehen, dass sie kurz nach der Entdeckung des Waffenlagers ankam.

Wer auch immer die Waffen deponiert hatte, handelte entweder im Interesse der Herrin der Radch oder dagegen. Es lag auf der Hand, sie darüber zu informieren und um weitere Anweisungen zu bitten. Ihr Besuch kam wie gerufen, denn so konnte sie ins Bild gesetzt werden, ohne dass jemand den Bericht abfing und dann entweder den unbekannten Plan vereiteln oder die Übeltäterinnen davor warnen konnte, dass ihr Plan aufgedeckt worden war, was es schwieriger machen würde, sie zu erwischen.

Allein schon aus diesem Grund war Leutnantin Awn erleichtert, als sie vom Besuch der Herrin hörte. Auch wenn Leutnantin Awn während der nächsten Tage und während Anaander Mianaais Besuchs ihre komplette Uniform würde tragen müssen.

In der Zwischenzeit hörte ich mir die Gespräche in der Oberstadt etwas aufmerksamer an — was schwieriger als in der Unterstadt war, weil alle Häuser geschlossen waren und natürlich alle involvierten Tanmind schweigen würden, wenn sie wussten, dass ich in Hörweite war. Und niemand würde so dumm sein, die Art von Gesprächen, auf die ich lauschte, nicht unter vier Augen im Geheimen zu führen. Außerdem beobachtete ich Jen Taas Nichte, zumindest so gut ich konnte. Nach dem Abendessen hatte sie Jen Shinnans Haus nicht mehr verlassen, aber ich konnte ihre Trackerdaten einsehen.

Zwei Nächte lang war ich mit Denz Ay und ihrer Tochter im Sumpf unterwegs, wo wir zwei weitere Kisten mit Waffen fanden. Wieder hatte ich keine Möglichkeit zu ermitteln, wer sie dort deponiert hatte oder wann. Denz Ays Hinweisen zufolge mussten sie irgendwann in den letzten ein oder zwei Monaten eingetroffen sein, wobei sie sorgsam jede Beschuldigung der Fischerinnen vermied, von denen ich wusste, dass sie normalerweise in diesen Bereichen wilderten.

»Ich werde froh sein, wenn die Herrin von Mianaai hier ist«, sagte Leutnantin Awn spät nachts leise zu mir. »Ich glaube, ich bin für so etwas eigentlich nicht zuständig.«

Und in der Zwischenzeit bemerkte ich, dass niemand außer Denz Ay bei Nacht auf den See hinausfuhr und dass in der Unterstadt niemand dort saß oder lag, wo die Rollläden herunterkommen würden. Eine solche Vorsichtsmaßnahme war Routine während der Regenzeit, obwohl es Sicherheitsvorkehrungen gab, die sie stoppten, wenn eine Person im Weg war, doch während der Trockenzeit achtete für gewöhnlich niemand darauf.

Die Herrin der Radch traf mitten am Tag ein, zu Fuß. Eine einzige Verkörperung von ihr kam durch die Oberstadt herunter, ohne dass es in den Trackerlogs eine Spur von ihr gab, und begab sich direkt zum Tempel der Ikkt. Sie war alt, grauhaarig, die breiten Schultern leicht gebeugt, die fast schwarze Haut ihres Gesichts faltig, was eine Erklärung für die Abwesenheit von Wachen war. Der Verlust eines Körpers, der ohnehin mehr oder weniger dem Tode nahe war, wäre kein allzu großer. Die Benutzung solcher älteren Körper erlaubte der Herrin der Radch, sich ungeschützt zu bewegen, ohne irgendein Gefolge, wohin sie wollte, ohne nennenswertes Risiko.

Sie trug weder den juwelenbesetzten Mantel und die Hosen der Radchaai noch den Overall und die Hosen und das Hemd, das eine Tanmind von Shis’urna tragen würde, sondern stattdessen die hemdlosen Lungi der Orsai.

Sobald ich sie bemerkte, textete ich Leutnantin Awn, die so schnell, wie es ihr möglich war, zum Tempel kam und eintraf, während die Oberpriesterin auf dem Platz vor der Herrin der Radch auf die Knie fiel.

Leutnantin Awn zögerte. Die meisten Radchaai hatten die persönliche Anwesenheit von Anaander Mianaai nie unter solchen Umständen erlebt. Natürlich war sie während der Annexionen jederzeit präsent, aber die gewaltige Anzahl der Soldatinnen im Vergleich zur Anzahl der Körper der Herrin der Radch machte es unwahrscheinlich, dass jemand ihr zufällig begegnete. Und jede Bürgerin kann zu einem der Provinzpaläste reisen und um eine Audienz bitten — wegen einer Bitte, wegen eines Gesuchs im Rahmen einer juristischen Angelegenheit, aus welchem Grund auch immer —, doch in einem solchen Fall wird eine gewöhnliche Bürgerin vorher instruiert, wie sie sich zu verhalten hat. Vielleicht wusste jemand wie Leutnantin Skaaiat, wie sie Anaander Mianaais Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte, ohne den Anstand zu verletzen, aber nicht Leutnantin Awn.