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»Gewiss«, stimmte ich ihr zu. »Sie sind die Expertin.«

»Oh ho!«, rief sie aus und setzte sich etwas gerader auf. »Ich habe Sie wütend gemacht.«

Ich war mir sicher, dass ich meinen Ausdruck nicht verändert hatte. »Ich glaube nicht, dass Sie jemals in der Radch waren. Ich glaube nicht, dass Sie viele Radchaai kennen, zumindest nicht persönlich. Nicht besonders gut. Sie sehen sie nur von außen, und Sie sehen Konformität und Gehirnwäsche.« Endlose Reihen von identischen Soldatinnen in silbernen Rüstungen, ohne eigenen Willen, ohne eigenes Bewusstsein. »Und es stimmt, dass die niedrigsten Radchaai sich allen Nicht-Bürgerinnen weit überlegen fühlen. Was Leute wie Seivarden von sich selbst halten, ist unerträglich.« Strigan gab ein kurzes, amüsiertes Schnaufen von sich. »Aber sie sind Personen, und zu bestimmten Dingen haben sie unterschiedliche Ansichten.«

»Ansichten, die keine Rolle spielen. Anaander Mianaai erklärt, was sein wird, und so wird es sein.«

Dieses Thema war wesentlich komplizierter, als ihr bewusst war, dessen war ich mir sicher. »Was nur zu ihrer Frustration beiträgt. Stellen Sie sich vor, Ihr ganzes Leben wäre auf die Eroberung und die Erweiterung des Radchaai-Territoriums ausgerichtet. Sie sehen Mord und Vernichtung in einem unvorstellbaren Ausmaß, aber die Radchaai sehen die Ausbreitung von Zivilisation, Gerechtigkeit und Anstand, zum Nutzen des Universums. Tod und Vernichtung sind unvermeidliche Nebenprodukte des guten, absoluten Ziels.«

»Ich glaube nicht, dass ich viel Sympathie für ihre Perspektive aufbringen kann.«

»Ich bitte Sie auch nicht darum. Stellen Sie es sich vor und schauen Sie es sich für einen Moment an. Nicht nur Ihr Leben, sondern das Ihres ganzen Hauses und Ihrer Vorfahren über tausend Jahre oder mehr sind in diese Vorstellung eingeschlossen, in diese Aktionen. Amaat will es so. Die Göttin will es so, das Universum selbst will all das. Und dann sagt Ihnen eines Tages jemand, dass Sie sich geirrt haben. Und Ihr Leben wird nicht mehr so sein, wie Sie es sich vorgestellt haben.«

»So etwas passiert ständig«, sagte Strigan, die sich von ihrem Sitz erhob. »Nur dass sich die meisten von uns nicht einbilden, eine große Bestimmung zu haben.«

»Die Ausnahme ist keine unbedeutende«, gab ich zu bedenken.

»Und Sie?« Sie stand neben dem Stuhl, den Becher und die Tasse in den Händen. »Sie sind definitiv eine Radchaai. Ihr Akzent, wenn Sie Radchaai sprechen« — jetzt sprachen wir in ihrer Muttersprache —, »klingt, als würden Sie von der Gerentate stammen. Aber im Moment haben Sie fast gar keinen Akzent. Sie könnten einfach nur sehr gut mit Sprachen sein — unmenschlich gut, wie ich vielleicht sogar sagen würde …« Sie hielt inne. »Nur mit dem Genus verraten Sie sich. Nur eine Radchaai würde Leute falsch gendern, so wie Sie es tun.«

Ich hatte falsch geraten. »Ich kann nicht unter Ihre Kleidung blicken. Und selbst wenn ich es könnte, wäre das nicht immer ein zuverlässiger Indikator.«

Sie blinzelte, zögerte einen Moment, als würde das, was ich gesagt hatte, keinen Sinn für sie ergeben. »Ich habe mich oft gefragt, wie sich Radchaai reproduzieren, wenn sie alle das gleiche Geschlecht haben.«

»Das haben sie nicht. Und sie reproduzieren sich wie alle anderen auch.« Strigan zog eine skeptische Augenbraue hoch. »Sie gehen zu den Ärztinnen«, fuhr ich fort, »und lassen sich ihre kontrazeptiven Implantate deaktivieren. Oder sie benutzen einen Tank. Oder unterziehen sich einer Operation, um eine Schwangerschaft austragen zu können. Oder sie engagieren jemanden, um es für sie zu tun.«

All das unterschied sich kaum von dem, was andere Spezies taten, aber Strigan schien leicht schockiert zu sein. »Sie sind definitiv eine Radchaai. Und definitiv sehr vertraut mit Kapitän Seivarden, aber Sie sind nicht wie er. Ich habe mich von Anfang an gefragt, ob Sie eine Hilfseinheit sind, aber ich kann keine Implantate erkennen. Wer sind Sie?«

Sie würde viel genauer hinschauen müssen, als sie es bereits getan hatte, um die Hinweise darauf zu erkennen, was ich war — für einen flüchtigen Beobachter sah ich aus, als hätte ich ein oder zwei kommunikative und optische Implantate von der Art, wie Millionen von Leuten sie ganz selbstverständlich trugen, ob sie Radchaai waren oder nicht. Und während der letzten zwanzig Jahre hatte ich Mittel und Wege gefunden, die Hinweise auf das, was ich hatte, zu vertuschen.

Ich nahm mein Geschirr auf und erhob mich ebenfalls. »Ich bin Breq von der Gerentate.« Strigan schnaufte ungläubig. Die Gerentate war weit genug von allen Orten entfernt, an denen ich mich in den letzten neunzehn Jahren aufgehalten hatte, um alle kleinen Fehler zu verbergen, die ich vielleicht begangen hatte.

»Nur eine Touristin«, stellte Strigan fest, in einem Tonfall, der unmissverständlich verriet, dass sie mir kein Wort glaubte.

»Ja«, stimmte ich zu.

»Welches Interesse haben Sie also an …« Sie deutete erneut auf Seivarden, die immer noch schlief und langsam und gleichmäßig atmete. »Nur ein streunendes Tier, das gerettet werden musste?«

Ich antwortete nicht. Und wenn ich ehrlich war, wusste ich selbst keine Antwort darauf.

»Ich bin Leuten begegnet, die Streuner sammeln. Ich glaube nicht, dass Sie dazu gehören. Sie haben etwas … etwas Kaltes an sich. Etwas Kantiges. Sie sind viel selbstbeherrschter als alle Touristen, die ich je gesehen habe.« Und natürlich wusste ich, dass sie die Waffe hatte, von deren Existenz niemand außer ihr selbst und Anaander Mianaai hätte wissen sollen. Aber das konnte sie nicht sagen, ohne zuzugeben, dass sie sie hatte. »In siebzehn Höllen gibt es keine Chance, dass Sie eine Touristin von der Gerentate sind. Was sind Sie?«

»Wenn ich es Ihnen sage, würde ich Ihnen damit den Spaß verderben«, erwiderte ich.

Strigan öffnete den Mund, um etwas zu erwidern — wahrscheinlich etwas Wütendes, wenn ich nach ihrer Miene ging —, als ein Alarmton erklang. »Besucher«, sagte sie stattdessen.

Als wir unsere Mäntel angezogen hatten und durch die zwei Türen hinausgegangen waren, hatte sich ein Kriecher einen zerklüfteten Weg zum Haus hinauf gesucht. Er zog einen weißen Graben durch den vom Moos gefärbten Schnee und kam schlingernd zum Stehen, wobei er meinen Flieger nur um wenige Zentimeter verfehlte.

Die Tür sprang auf, und eine Nilter glitt heraus, kleiner als die meisten, denen ich bisher begegnet war, eingewickelt in einen scharlachroten Mantel, der in Hellblau und einem schreienden Gelbton bestickt war, aber auch von dunklen Flecken überzogen — von Schneemoos und Blut. Die Person blieb für einen Moment stehen und sah uns dann am Eingang zum Haus stehen.

»Doktor!«, rief sie. »Hilfe!«

Bevor sie zu Ende gesprochen hatte, stapfte Strigan bereits durch den Schnee. Ich folgte ihr.

Als ich genauer hinsah, erkannte ich, dass die Fahrerin noch ein Kind war, kaum vierzehn Jahre alt. Auf dem Beifahrersitz lag eine Erwachsene, bewusstlos, die Kleidung in Fetzen, stellenweise durch alle Schichten aufgerissen. Blut tränkte den Stoff und den Sitz. Ihr fehlte das rechte Bein unterhalb des Knies und der linke Fuß.

Zu dritt schafften wir die Verletzte ins Haus und in die Krankenstation. »Was ist geschehen?«, fragte Strigan, während sie die blutigen Fetzen des Mantels entfernte.

»Ein Eisteufel«, sagte das Mädchen. »Wir haben ihn nicht gesehen!« Tränen standen in ihren Augen, liefen aber nicht heraus. Sie schluckte schwer.

Strigan lobte die behelfsmäßigen Aderpressen, die offenbar vom kleinen Mädchen angebracht worden waren. »Du hast alles getan, was du tun konntest«, sagte sie und nickte zur Tür zum Hauptraum. »Ich werde mich um alles Weitere kümmern.«

Wir verließen die Krankenstation, obwohl sich das Mädchen meiner Anwesenheit gar nicht bewusst zu sein schien, auch nicht der von Seivarden, die immer noch still auf ihrer Pritsche lag. Sie stand ein paar Sekunden lang mitten im Zimmer, verunsichert, anscheinend paralysiert, bis sie sich auf eine Bank sinken ließ.