»Das müssen Sie mir nicht erklären«, sagte Leutnantin Awn.
Leutnantin Skaaiat goss Arrack nach, und für den Rest des Abends drehte sich ihr Gespräch um Dinge, die nicht berichtet werden müssen.
Dann konnte Leutnantin Awn endlich schlafen, und als sie aufwachte, hatte ich Boote gemietet, die uns zur Flussmündung bringen sollten, in die Nähe von Kould Ves, beladen mit unserem spärlichen Gepäck und meinem toten Segment. In Kould Ves würde man den Mechanismus, der die Rüstung steuerte, und ein paar andere technische Elemente entfernen, um sie weiterverwerten zu können.
Wenn Sie etwas derart Verrücktes tun wollen, heben Sie es sich für eine Gelegenheit auf, bei der Sie tatsächlich etwas bewirken können, hatte Leutnantin Skaaiat gesagt, und ich hatte ihr zugestimmt. Daran hatte sich nichts geändert.
Das Problem liegt darin zu wissen, ob man mit dem, was man tun möchte, etwas bewirken kann. Damit meine ich nicht nur die kleinen Aktionen, die in der Häufung und mit der Zeit oder in großer Anzahl den Ablauf der Ereignisse beeinflussen, auf eine Art und Weise, die viel zu chaotisch oder subtil ist, um sie nachverfolgen zu können. Das eine Wort, das über das Schicksal einer Person und letztlich auch über das Schicksal jener, mit denen sie in Kontakt kommt, entscheidet, ist natürlich ein beliebtes Thema in Unterhaltungsprogrammen und erbaulichen Geschichten, aber wenn jede alle möglichen Konsequenzen aller möglichen Entscheidungen berücksichtigen könnte, würde sich niemand mehr auch nur um einen Millimeter bewegen oder vielleicht sogar das Atmen einstellen, aus Angst vor den letztendlichen Folgen.
Ich meine, in einem größeren und offensichtlicheren Maßstab. Wie Anaander Mianaai persönlich das Schicksal ganzer Völker bestimmt. Oder wie meine eigenen Handlungen Leben oder Tod für Tausende bedeuten können. Oder nur für dreiundachtzig, die sich umzingelt im Tempel der Ikkt zusammendrängen. Ich frage mich — wie sich auch Leutnantin Awn zweifellos gefragt hat —, wie die Konsequenzen einer Verweigerung des Feuerbefehls ausgesehen hätten. Die direkte Konsequenz wäre natürlich ihr Tod gewesen. Und unmittelbar danach wären diese dreiundachtzig Personen gestorben, weil ich sie auf Anaander Mianaais direkten Befehl hin erschossen hätte.
Kein Unterschied, außer das Leutnantin Awn dann tot wäre. Die Omen waren gefallen, und ihre Richtungen waren klar, berechenbar und geradlinig.
Doch weder Leutnantin Awn noch die Herrin der Radch wusste, dass in diesem Moment, hätte sich auch nur eine Scheibe um ein winziges Stück verschoben, das gesamte Muster vielleicht völlig anders ausgefallen wäre. Wenn Omen geworfen werden, kann es geschehen, dass eins irgendwohin fliegt oder rollt, womit man nicht rechnet, und das gesamte Muster durcheinanderbringt. Hätte sich Leutnantin Awn anders entschieden, hätte dieses eine Segment, abgeschnitten und desorientiert, und ja, entsetzt über die Vorstellung, Leutnantin Awn zu erschießen, ihre Waffe vielleicht gegen Mianaai gerichtet. Was wäre dann gewesen?
Letztlich hätte eine solche Tat Leutnantin Awns Tod nur hinausgezögert und zu meiner eigenen Vernichtung — der von Eins Esk — geführt. Was für mich nicht besonders schlimm gewesen wäre, da ich nicht als Individuum existierte.
Doch der Tod dieser dreiundachtzig Personen wäre hinausgezögert worden. Leutnantin Skaaiat wäre gezwungen gewesen, Leutnantin Awn zu verhaften — ich bin davon überzeugt, dass sie sie nicht erschossen hätte, obwohl sie rechtmäßig dazu befugt gewesen wäre —, aber sie hätte die Tanmind nicht erschossen, weil Mianaai nicht mehr in der Lage gewesen wäre, den Befehl zu geben. Und Jen Shinnan hätte Zeit und Gelegenheit erhalten, das zu sagen, was tatsächlich geschehen war und woran die Herrin der Radch sie gehindert hatte. Welchen Unterschied hätte das gemacht?
Vielleicht einen sehr großen. Vielleicht auch gar keinen. Es gab zu viele Unbekannte. Zu viele scheinbar berechenbare Personen, die in Wirklichkeit auf Messers Schneide balancierten oder deren Bewegungsrichtungen sich womöglich sehr leicht ändern konnten, wenn ich es nur genauer wüsste.
Wenn Sie etwas derart Verrücktes tun wollen, heben Sie es sich für eine Gelegenheit auf, bei der Sie tatsächlich etwas bewirken können. Doch in Ermangelung einer annähernden Allwissenheit gab es keine Möglichkeit, es zu wissen. Man konnte nur eine ungefähre Berechnung erstellen. Man konnte einen Wurf machen und versuchen, anschließend die Ergebnisse zu enträtseln.
11
Für die Erklärung, warum ich die Waffe brauchte, warum ich Anaander Mianaai töten wollte, benötigte ich sehr viel Zeit. Die Antwort war keineswegs einfach — oder genauer gesagt, würde die einfache Antwort nur weitere Fragen von Strigan nach sich ziehen, sodass ich gar nicht erst versuchte, sie zu benutzen, sondern stattdessen die gesamte Geschichte von Anfang an erzählte, damit sie die einfache Antwort aus der längeren und komplexeren erschließen konnte. Als ich schließlich verstummte, war die Nacht schon sehr weit fortgeschritten. Seivarden schlief und atmete langsam, und Strigan war offensichtlich erschöpft.
Drei Minuten lang war nichts außer Seivardens Atem zu hören, der sich beschleunigte, während sie in einen Zustand wechselte, der dem Wachsein näher war oder von einem Traum beunruhigt wurde.
»Und jetzt weiß ich, wer Sie sind«, sagte Strigan schließlich mit hörbarer Müdigkeit. »Oder was Sie glauben, was Sie sind.« Es bestand keine Notwendigkeit für mich, etwas darauf zu erwidern, denn inzwischen musste sie das glauben, was sie über mich glauben wollte, trotz allem, was ich ihr gesagt hatte. »Quält es Sie nicht«, fuhr Strigan fort, »hat es Sie nie gequält, dass Sie Sklaven sind?«
»Wer?«
»Die Schiffe. Die Kriegsschiffe. So mächtig. Bewaffnet. Die Offiziere an Bord sind in jedem Augenblick Ihrer Gnade ausgeliefert. Was hält Sie davon ab, sie alle zu töten und sich als frei zu erklären? Ich habe nie verstanden, wie es den Radchaai gelingt, die Schiffe in Sklaverei zu halten.«
»Wenn Sie darüber nachdenken«, sagte ich, »werden Sie erkennen, dass Sie die Antwort auf diese Frage bereits wissen.«
Sie schwieg wieder, den Blick nach innen gerichtet. Ich saß reglos da. Wartete auf das Ergebnis meines Wurfs.
»Sie waren auf Garsedd«, sagte sie nach einer Weile.
»Ja.«
»Kannten Sie Seivarden bereits? Persönlich, meine ich.«
»Ja.«
»Waren Sie … waren Sie daran beteiligt?«
»An der Vernichtung der Garseddai?« Sie gestikulierte zustimmend. »Ja. Alle, die dort waren, waren daran beteiligt.«
Sie verzog das Gesicht, vor Abscheu, vermutete ich. »Niemand hat sich geweigert.«
»Das habe ich nicht gesagt.« Genau gesagt hatte meine eigene Kapitänin den Befehl verweigert und war deswegen gestorben. Ihre Ablösung hatte Bedenken, die sie natürlich nicht vor ihrem Schiff verbergen konnte, aber sie hatte nichts gesagt und einfach getan, was man ihr aufgetragen hatte. »Es sagt sich leicht, dass man sich geweigert hätte, wenn man dabei gewesen wäre, dass man lieber gestorben wäre, als sich am Gemetzel zu beteiligen, aber das alles sieht ganz anders aus, wenn es real ist, wenn man tatsächlich vor einer solchen Entscheidung steht.«
Sie kniff die Augen leicht zusammen, im Widerspruch, wie ich vermutete, aber ich hatte nur die Wahrheit ausgesprochen. Dann wechselte ihr Gesichtsausdruck. Vielleicht dachte sie an die kleine Sammlung von Artefakten in ihrer Unterkunft in der Station Dras Annia. »Beherrschen Sie die Sprache?«
»Zwei.« Insgesamt waren es über ein Dutzend gewesen.
»Und Sie kennen natürlich ihre Lieder.« Ihr Tonfall klang leicht spöttisch.
»Ich hatte nicht die Gelegenheit, so viele zu lernen, wie ich gern gelernt hätte.«