Выбрать главу

»Und hätten Sie sich geweigert, wenn Sie die freie Wahl gehabt hätten?«

»Die Frage ist sinnlos. Ich hatte keine Möglichkeit, frei zu wählen.«

»Ich erlaube mir, anderer Ansicht zu sein«, sagte sie mit stiller Verärgerung über meine Antwort. »Sie hatten jederzeit die Möglichkeit der Wahl.«

»Garsedd war ein Wendepunkt.« Es war keine direkte Antwort auf ihren Vorwurf, aber mir fiel keine direkte Antwort ein, die sie verstehen würde. »Zum ersten Mal stellten sehr viele Radchaai-Offizierinnen nach einer Annexion fest, dass sie keine Gewissheit mehr hatten, das Richtige getan zu haben. Glauben Sie immer noch, Mianaai würde die Radchaai durch Gehirnwäsche oder Exekutionsdrohungen beherrschen? Die gibt es, sie existieren, ja, aber die meisten Radchaai sind genauso wie die Leute anderswo und tun, was sie tun sollen, weil sie glauben, es wäre das Richtige. Niemand tötet gern Leute!«

Strigan gab einen sarkastischen Laut von sich. »Niemand?«

»Nicht viele«, räumte ich ein. »Jedenfalls sind es nicht genug, um die Kriegsschiffe der Radch zu füllen. Aber am Ende, nach all dem Blut und all dem Leid, sind all die unwissenden Seelen, die ohne uns in Dunkelheit dahingesiecht wären, zu glücklichen Bürgerinnen geworden. Sie werden es bestätigen, wenn Sie sie fragen! Es war ein glücklicher Tag, als Anaander Mianaai ihnen die Zivilisation brachte.«

»Würden die Eltern dieser Leute es genauso sehen? Oder ihre Großeltern?«

Ich gestikulierte etwas zwischen nicht mein Problem und nicht relevant. »Sie waren überrascht, als ich sanftmütig mit einem Kind umging. Das hätte Sie nicht überraschen sollen. Glauben Sie, die Radchaai hätten keine Kinder oder würden ihre Kinder nicht lieben? Glauben Sie, die Radchaai würden nicht genauso auf Kinder reagieren, wie es fast alle Menschen tun?«

»Wie tugendhaft!«

»Tugend ist keine isolierte, unkomplizierte Angelegenheit.« Das Gute bedingte das Böse, und die zwei Seiten dieser Scheibe waren nicht immer eindeutig markiert. »Tugenden können dazu benutzt werden, dem Zweck zu dienen, von dem Sie profitieren. Trotzdem existieren sie und werden Ihre Handlungen beeinflussen. Ihre Entscheidungen.«

Strigan schnaufte. »Wenn ich Sie reden höre, sehne ich mich nach den betrunkenen philosophischen Diskussionen meiner Jugendzeit zurück. Aber wir reden hier nicht über abstrakte Dinge, hier geht es um Leben und Tod.«

Meine Chance, das zu bekommen, was ich haben wollte, entglitt mir. »Zum ersten Mal haben Radch-Streitkräfte in einem unvorstellbaren Ausmaß getötet, ohne dass es anschließend zu einer Erneuerung kam. Es wurde unwiderruflich jede Möglichkeit ausgeschlossen, dass aus ihrer Tat etwas Gutes entsteht. Das hatte Auswirkungen auf alle Beteiligten.«

»Selbst auf die Schiffe?«

»Auf alle.« Ich wartete auf die nächste Frage oder ein sarkastisches Sie tun mir ja so leid, aber sie saß nur schweigend da und sah mich an. »Kurz darauf wurden die ersten Versuche eines diplomatischen Kontakts zu den Presger unternommen. Und in die gleiche Zeit, da war ich mir einigermaßen sicher, fielen die ersten Bemühungen, Hilfseinheiten durch menschliche Soldatinnen zu ersetzen.« In diesem Punkt war ich mir nur einigermaßen sicher, weil die Vorbereitungen zweifellos im Geheimen, hinter den Kulissen, stattgefunden hatten.

»Was hatten die Presger mit Garsedd zu tun?«, fragte Strigan.

Zweifellos bemerkte sie meine Reaktion auf ihre Frage, die fast ein direktes Eingeständnis war, dass sie die Waffe hatte. Bevor sie gesprochen hatte, musste sie gewusst haben, was dieses Eingeständnis mir verraten würde. Sie hätte diese Frage nicht gestellt, wenn sie die Waffe gesehen und genauer untersucht hätte. Die Waffen waren von den Presger gekommen, die Garseddai hatten mit den Aliens Handel getrieben, wer auch immer das erste Angebot gemacht hatte. Das hatten wir von den gefangen genommenen Repräsentantinnen erfahren. Aber ich wahrte eine ausdruckslose Miene. »Wer weiß schon, warum die Presger irgendetwas tun? Aber Anaander Mianaai hat sich die gleiche Frage gestellt, warum sich die Presger eingemischt haben. Es geschah nicht, weil sie irgendetwas wollten, das die Garseddai hatten, denn sie hätten sich einfach nehmen können, was sie haben wollten.« Obwohl ich wusste, dass die Presger die Garseddai dafür teuer bezahlen ließen. »Und was wäre, wenn die Presger entschieden hätten, die Radch zu vernichten? Sie wirklich zu vernichten? Schließlich verfügten die Presger über die entsprechenden Waffen.«

»Sie wollen damit also sagen«, erwiderte Strigan ungläubig und entsetzt, »dass die Presger die Garseddai hereingelegt haben, um Anaander Mianaai zu Verhandlungen zu zwingen?«

»Mir ging es um Mianaais Reaktion, um ihre Motive. Die Presger kenne und verstehe ich nicht. Aber ich kann mir vorstellen, wenn die Presger irgendetwas hätten erzwingen wollen, wären ihre Absichten unmissverständlich gewesen. Keineswegs subtil. Ich glaube, es war lediglich als Vorschlag gedacht. Falls das tatsächlich irgendetwas mit ihren Handlungen zu tun hatte.«

»All das nur ein Vorschlag?«

»Sie sind Aliens. Wer kann sie wirklich verstehen?«

»Ganz gleich, was Sie tun«, sagte sie nach fünf Sekunden Stille, »Sie werden damit nichts bewirken.«

»Das ist vermutlich wahr.«

»Vermutlich.«

»Wenn alle, die …« Ich suchte nach den richtigen Worten. »Wenn alle, die gegen die Vernichtung der Garseddai waren, sich geweigert hätten, was wäre dann geschehen?«

Strigan runzelte die Stirn. »Wie viele haben sich geweigert?«

»Vier.«

»Vier. Von insgesamt …?«

»Tausenden.« In jenen Tagen hatte jede Gerechtigkeit allein über Hunderte von Offizierinnen verfügt, neben der Kapitänin, und wir waren zu Dutzenden vor Ort gewesen. Hinzu kamen noch die Gnaden und Schwerter mit geringerer Besatzung. »Loyalität, die lange Gewohnheit des Gehorsams, der Wunsch nach Rache — und ja, auch diese vier Toten hielten alle anderen von einer derart drastischen Entscheidung ab.«

»Es waren genug von Ihrer Sorte da, um den Widerstand zu unterdrücken, selbst wenn sich alle geweigert hätten.«

Ich sagte nichts, wartete auf die Änderung ihres Gesichtsausdrucks, die mir verraten würde, dass sie noch einmal über ihre Worte nachgedacht hatte. Als sie kam, sagte ich zu ihr: »Ich glaube, dann hätte es sich anders entwickelt.«

»Sie sind nicht eine von Tausenden!« Strigan beugte sich mit unerwarteter Vehemenz vor. Seivarden schreckte aus dem Schlaf hoch, blickte beunruhigt und benommen auf Strigan.

»Es gibt keine anderen, die mit einer solchen Entscheidung hadern«, sagte Strigan. »Keine, die Ihrem Vorbild folgen würden. Und selbst wenn es sie gäbe, wären Sie allein nicht genug. Selbst wenn Sie so weit kommen würden, Mianaai gegenüberzutreten — einem von Mianaais Körpern —, wären Sie völlig allein und hilflos. Sie würden sterben, ohne irgendetwas zu erreichen!« Sie hauchte einen ungeduldigen Laut. »Nehmen Sie Ihr Geld.« Sie deutete auf meinen Rucksack, der gegen die Bank lehnte, auf der ich saß. »Kaufen Sie sich Land, kaufen Sie sich Räume in einer Station, verdammt, kaufen Sie sich eine ganze Station! Leben Sie das Leben, das Ihnen verwehrt wurde. Opfern Sie sich für nichts.«

»Zu welchem Ich sprechen Sie?«, fragte ich. »Welches von den Leben, die mir verwehrt wurden, soll ich Ihrer Ansicht nach leben? Soll ich Ihnen monatliche Berichte schicken, damit Sie sich vergewissern können, dass meine Entscheidungen Ihre Zustimmung finden?«

Das brachte sie zum Schweigen, ganze zwanzig Sekunden lang.

»Breq«, sagte Seivarden, als wollte sie den Klang des Namens in ihrem Mund prüfen. »Ich möchte gehen.«

»Bald«, antwortete ich. »Haben Sie Geduld.« Zu meiner großen Überraschung widersprach sie nicht, sondern lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Bank und schlang die Arme um die Knie.