Leutnantin Awn drehte sich verärgert um und verließ den Raum, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Ich ging mit einiger Beklemmung an den Tisch. Das Segment leistete bereits Widerstand, und ich wusste, dass es dieser Medizinerin egal wäre, ob es schmerzhaft war, wenn sie meine Rüstung und meine restlichen Implantate einfügte.
Zu Anfang war es immer eine unbeholfene Angelegenheit, wenn ich mich an ein neues Segment gewöhnte — es ließ gelegentlich Dinge fallen oder feuerte desorientierende Impulse ab, willkürliche Angst- oder Übelkeitsanfälle. In solchen Zeiten war ich immer ein wenig aus dem Gleichgewicht. Aber nach ein oder zwei Wochen beruhigte sich die Sache normalerweise. Wenigstens die meiste Zeit. Manchmal funktionierte ein Segment einfach nicht richtig, und dann musste es entfernt und ersetzt werden. Natürlich wurden die Körper vorher durchleuchtet, aber man konnte sich niemals sicher sein.
Die Stimme gefiel mir nicht besonders, und das Segment kannte keine interessanten Lieder. Zumindest keine, die mir nicht längst vertraut waren. Ich konnte den leichten und eindeutig irrationalen Verdacht nicht abschütteln, dass die technische Medizinerin diesen speziellen Körper ausgesucht hatte, um mich zu ärgern.
Nach einem schnellen Bad, bei dem ich assistierte, und dem Wechsel in eine saubere Uniform stellte sich Leutnantin Awn bei Kommandantin Tiaund vor.
»Awn.« Die Dekaden-Kommandantin wies Leutnantin Awn mit einer Geste einen Stuhl zu. »Ich bin natürlich froh, Sie wieder hier zu haben.«
»Vielen Dank«, sagte Leutnantin Awn und setzte sich.
»Ich hatte nicht erwartet, Sie so bald wiederzusehen. Ich war davon überzeugt, dass Sie sich noch eine ganze Weile da unten aufhalten würden.« Leutnantin Awn sagte nichts dazu. Kommandantin Tiaund wartete fünf Sekunden lang schweigend ab und fuhr dann fort: »Ich würde Sie gern fragen, was geschehen ist, aber mir wurde befohlen, es nicht zu tun.«
Leutnantin Awn öffnete den Mund, holte Luft, um etwas zu sagen, hielt inne. Überrascht. Ich hatte ihr nichts von dem Befehl gesagt, keine Fragen nach den Ereignissen zu stellen. Es waren keine entsprechenden Befehle für Leutnantin Awn gekommen, nicht darüber zu sprechen. Ein Test, vermutete ich, und ich war recht zuversichtlich, dass Leutnantin Awn ihn bestehen würde.
»Schlimm?«, fragte Kommandantin Tiaund, die darauf brannte, mehr zu erfahren, und bereits mit dieser Frage ihr Glück herausforderte.
»Ja.« Leutnantin Awn blickte auf ihre Hände, auf die Handschuhe, die in ihrem Schoß ruhten. »Sehr.«
»Ihre Schuld?«
»Ich bin für alles verantwortlich, was während meiner Dienstzeit geschieht, nicht wahr?«
»Ja«, stimmte Kommandantin Tiaund zu. »Aber es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass Sie etwas tun könnten, das … nicht anständig wäre.« Das Wort hatte viel Gewicht auf Radchaai, war Teil einer Triade aus Gerechtigkeit, Anstand und Nützlichkeit. Kommandantin Tiaund implizierte damit viel mehr als nur die Erwartung, dass Leutnantin Awn den Vorschriften oder der Etikette folgte. Sie deutete damit den Verdacht an, dass irgendeine Ungerechtigkeit hinter den Ereignissen steckte. Obwohl sie es natürlich nicht so offen sagen konnte — sie war nicht mit den Fakten der Angelegenheit vertraut und wollte auf gar keinen Fall den Eindruck erwecken, sie wüsste mehr. Und falls Leutnantin Awn wegen irgendeines Verstoßes bestraft werden sollte, würde sie in der Öffentlichkeit niemals Partei für sie ergreifen, ungeachtet ihrer privaten Ansichten.
Kommandantin Tiaund seufzte, vielleicht aus enttäuschter Neugier. »Nun gut«, fuhr sie mit vorgetäuschter Fröhlichkeit fort. »Jetzt haben Sie jede Menge Zeit, Ihre Trainingsstunden nachzuholen. Es ist ja auch höchste Zeit, dass Sie Ihr Zertifikat für Zielgenauigkeit erneuern.«
Leutnantin Awn zwang sich zu einem humorlosen Lächeln. In Ors hatte es keine Fitnessräume gegeben und erst recht nichts, was auch nur annähernd einem Schießstand nahe kam. »Ja.«
»Und gehen Sie bitte nur dann zur Krankenstation hinauf, wenn es unbedingt notwendig ist, Leutnantin.«
Ich erkannte, dass Leutnantin Awn protestieren, sich beklagen wollte. Aber auch das wäre die Wiederholung eines bereits geführten Gesprächs gewesen. »Ja.«
»Sie können gehen.«
Als Leutnantin Awn endlich in ihr Quartier trat, war es nicht mehr lange bis zum Abendessen — eine offizielle Mahlzeit, die im Dekadenraum in Gesellschaft der anderen Esk-Leutnantinnen eingenommen wurde. Leutnantin Awn machte Erschöpfung geltend, was nicht einmal gelogen war. Sie hatte kaum sechs Stunden geschlafen, seit sie Ors vor fast drei Tagen verlassen hatte.
Sie setzte sich auf ihre Koje, sackte zusammen und starrte vor sich hin, bis ich eintrat, ihr die Stiefel auszog und den Mantel abnahm. »Also gut«, sagte sie dann, schloss die Augen und schwang die Beine aufs Bett. »Ich habe den Hinweis verstanden.« Fünf Sekunden, nachdem sie den Kopf aufs Kissen gelegt hatte, war sie eingeschlafen.
Am nächsten Morgen standen achtzehn meiner zwanzig Esk-Leutnantinnen im Dekadenraum, tranken Tee und warteten auf das Frühstück. Es war üblich, dass sie sich nicht ohne die ranghöchste Leutnantin setzen durften.
Die Wände des Esk-Dekadenraums waren weiß, mit einer gemalten blau-gelben Bordüre knapp unter der Decke. An einer Wand, gegenüber einem langen Tresen, waren verschiedene Trophäen vergangener Annexionen befestigt — die Fetzen zweier Fahnen, rot und schwarz und grün, ein Dachziegel aus Ton in Rosa mit einem eingeschmolzenen Reliefmuster aus Blättern, eine antike Seitenwaffe (ungeladen) in einem elegant gefertigten Holster, eine juwelenbesetzte Maske der Ghaonish. Ein komplettes Fenster aus einem valskaayanischen Tempel, Buntglas in Form einer Frau mit einem Besen in einer Hand, drei kleine Tiere zu ihren Füßen. Ich erinnerte mich, wie ich es selbst aus der Wand genommen und es hierhergebracht hatte. Jeder Dekadenraum an Bord des Schiffs hatte ein Fenster aus demselben Gebäude. Die Inneneinrichtung des Tempels war auf die Straße geworfen worden oder hatte einen Weg in andere Dekadenräume anderer Schiffe gefunden. Es war übliche Praxis, jede Religion zu absorbieren, auf die die Radch stieß, und die jeweiligen Gottheiten in eine bereits unglaublich komplexe Genealogie einzufügen — oder schlicht festzustellen, dass die höchste Schöpfergottheit mit Amaat identisch war und sich nur durch den Namen unterschied; der Rest fügte sich dann irgendwie. Wegen irgendeiner Marotte fiel das den Angehörigen der valskaayanischen Religion besonders schwer, und das Resultat war vernichtend gewesen. Zu den jüngsten Änderungen der Radch-Gesetze gehörte die Entscheidung Anaander Mianaais, die Praxis der beharrlich separaten Religion von Valskaay zu legalisieren, worauf die Gouverneurin von Valskaay das Gebäude zurückgegeben hatte. Es wurde auch darüber gesprochen, die Fenster zurückzugeben, da wir zu diesem Zeitpunkt noch im Orbit um Valskaay gewesen waren, aber schließlich wurden sie durch Kopien ersetzt. Wenig später wurden die Dekaden unterhalb von Esk geleert und geschlossen, aber die Fenster hingen immer noch an den Wänden der leeren, dunklen Dekadenräume.
Leutnantin Issaaia trat ein, ging direkt zur Ikone von Torren in einer Ecknische und entzündete den Weihrauch, der in einer roten Schale zu Füßen der Ikone bereitstand. Sechs Offizierinnen runzelten die Stirn, und zwei murmelten etwas, sehr leise, aber hörbar überrascht. Nur Leutnantin Dariet sprach. »Kommt Awn nicht zum Frühstück?«
Leutnantin Issaaia drehte sich zu Leutnantin Dariet um und setzte einen überraschten Gesichtsausdruck auf, der, soweit ich feststellen konnte, nicht ihren tatsächlichen Gefühlen entsprach. »Bei Amaats Gnade!«, sagte sie. »Ich habe völlig vergessen, dass Awn zurück ist.«