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Sie drehte sich um. »Guten Morgen, Leutnantinnen. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich Sie habe warten lassen.« Und stimmte ohne weitere Vorrede das Morgengebet an. »Die Blüte der Gerechtigkeit ist der Frieden …« Die anderen sprachen die Worte mit, und als sie damit fertig waren, ging Leutnantin Awn zu ihrem Platz am Kopfende des Tisches und setzte sich. Bevor die anderen sich niedergelassen hatten, war ich zur Stelle und servierte ihr Tee und Frühstück.

Ich bediente auch die anderen, während Leutnantin Awn einen Schluck von ihrem Tee nahm und mit der Mahlzeit begann.

Leutnantin Dariet hob ihr Besteck auf. »Es ist gut, Sie wieder hier zu haben.« Ihre Stimme hatte nur eine leichte Schärfe, schaffte es kaum, ihre Wut zu verbergen.

»Vielen Dank«, sagte Leutnantin Awn und nahm einen weiteren Bissen vom Fisch.

»Ich brauche immer noch Tee«, sagte Leutnantin Issaaia. Die anderen am Tisch waren angespannt und beobachteten schweigend. »Die Stille ist nett, aber vielleicht ist die Effizienz auch verringert.«

Leutnantin Awn kaute, schluckte und nahm einen weiteren Schluck Tee. »Wie bitte?«

»Es ist Ihnen gelungen, Eins Esk zum Verstummen zu bringen«, erklärte Leutnantin Issaaia, »aber …« Sie hob ihre leere Tasse.

In diesem Moment stand ich mit der Kanne hinter ihr und goss die Tasse wieder voll.

Leutnantin Awn hob eine Hand, tat Leutnantin Issaaias Bemerkung mit einer Geste als irrelevant ab. »Ich habe Eins Esk nicht zum Verstummen gebracht.« Sie betrachtete das Segment mit der Teekanne und runzelte die Stirn. »Zumindest nicht absichtlich. Singen Sie, wenn Sie möchten, Eins Esk.« Mehrere Leutnantinnen stöhnten. Leutnantin Issaaia lächelte unaufrichtig.

Leutnantin Dariet hielt inne, während sie einen Bissen Fisch halbwegs zu ihrem Mund führte. »Ich mag den Gesang. Er ist nett. Und er ist eine gute Ablenkung.«

»Der Gesang ist einfach nur peinlich«, sagte die Leutnantin an Leutnantin Issaaias Seite.

»Ich finde ihn ganz und gar nicht peinlich«, sagte Leutnantin Awn ein wenig steif.

»Natürlich nicht«, sagte Leutnantin Issaaia. In der Mehrdeutigkeit ihrer Worte klang unterdrückte Boshaftigkeit mit. »Also, warum so still, Eins?«

»Ich war sehr beschäftigt, Leutnantin«, antwortete ich. »Und ich wollte Leutnantin Awn nicht stören.«

»Ihr Gesang stört mich nicht, Eins«, sagte Leutnantin Awn. »Es tut mir leid, dass Sie das gedacht haben. Bitte, singen Sie, wenn Sie möchten.«

Leutnantin Issaaia hob eine Augenbraue. »Eine Entschuldigung? Und ein Bitte? Das ist etwas zu viel.«

»Höflichkeit«, sagte Leutnantin Dariet in ungewöhnlich steifem Tonfall, »ist jederzeit nur anständig und stets nützlich.«

Leutnantin Issaaia schmunzelte. »Danke, Mutter.«

Leutnantin Awn sagte nichts.

Viereinhalb Stunden nach dem Frühstück dockte das Shuttle an, das die vier Bo-Leutnantinnen von ihrem Landurlaub nach Hause brachte.

Sie hatten drei Tage lang getrunken und damit weitergemacht, bis sie die Station Shis’urna verlassen hatten. Die Erste, die durch die Schleuse kam, taumelte leicht und schloss dann die Augen. »Ärztin«, hauchte sie.

»Man erwartet Sie bereits«, sagte ich durch das Segment von Eins Bo, das ich dorthin abkommandiert hatte. »Brauchen Sie Hilfe, wenn Sie den Lift nehmen?«

Die Leutnantin unternahm einen schwachen Versuch, mein Angebot mit einer abwinkenden Geste zurückzuweisen, und machte sich langsam auf den Weg durch den Korridor, eine Schulter gegen die Wand gelehnt, um sich abzustützen.

Ich bestieg das Shuttle, stieß mich hinter der Grenze meiner künstlich erzeugten Schwerkraft ab — das Shuttle war zu klein, um selbst welche generieren zu können. Zwei der Offizierinnen, ebenfalls betrunken, versuchten, die vierte zu wecken, die besinnungslos auf ihrem Sitz zusammengesunken war. Die Pilotin — die jüngste der Bo-Offizierinnen — saß steif und besorgt da. Zuerst dachte ich, ihr Unbehagen hätte mit dem Gestank zu tun, der vom verschütteten Arrack und dem Erbrochenen herrührte — zum Glück hatte sich Ersterer ausschließlich auf die Leutnantinnen ergossen, bereits in der Station Shis’urna, und von Letzterem war fast alles in den entsprechenden Behältnissen gelandet —, doch dann blickte ich (Eins Bo) zum Heck und sah dort drei Anaander Mianaais schweigend und teilnahmslos auf den hintersten Plätzen sitzen. Für mich nicht anwesend. Sie musste insgeheim in der Station Shis’urna zugestiegen sein. Hatte die Pilotin angewiesen, mich nicht in Kenntnis zu setzen. Die anderen waren vermutlich zu betrunken gewesen, um sie zu bemerken. Ich dachte daran, wie sie mich auf dem Planeten gefragt hatte, wann sie mich zuletzt besucht hatte. An meine unerklärliche und reflexhafte Lüge. Das wahre letzte Mal war in vielerlei Hinsicht wie dieses Mal gewesen.

»Herrin«, sagte ich, als alle Bo-Leutnantinnen außer Hörweite waren. »Ich werde die Hundert-Kapitänin informieren.«

»Nein«, sagte ein Anaander. »Dein Var-Deck ist leer.«

»Ja, Herrin«, bestätigte ich.

»Dort werde ich mich aufhalten, während ich an Bord bin.« Nichts weiter, kein Warum oder Wie lange. Oder wann ich der Kapitänin über mein Tun berichten konnte. Ich war verpflichtet, Anaander Mianaai zu gehorchen, noch vor meiner eigenen Kapitänin, aber ich erhielt nur sehr selten einen Befehl von der einen, ohne dass die andere davon wusste. Das war unangenehm.

Ich schickte Segmente von Eins Esk los, um Eins Var aus dem Frachtraum zu holen, leitete die Erwärmung einer Sektion des Var-Decks ein. Die drei Anaander Mianaais lehnten mein Angebot ab, ihnen mit ihrem Gepäck zu helfen, und trugen ihre Sachen selbst nach Var hinunter.

Das war schon einmal geschehen, bei Valskaay. Meine unteren Decks waren größtenteils leer gewesen, weil viele meiner Soldatinnen den Frachtraum verlassen hatten und arbeiteten. Sie hatte sich damals auf dem Esk-Deck aufgehalten. Was hatte sie zu jener Zeit gewollt, was hatte sie getan?

Zu meiner Bestürzung stellte ich fest, dass meine Gedanken der Antwort auswichen, die vage und unsichtbar blieb. Das war nicht richtig. Das war ganz und gar nicht richtig.

Zwischen dem Esk- und dem Var-Deck gab es einen direkten Zugang zu meinem Gehirn. Was hatte sie bei Valskaay getan, woran ich mich nicht erinnern konnte, und was beabsichtigte sie jetzt zu tun?

13

Weiter im Süden taten sich Lücken in Schnee und Eis auf, obwohl es für Nicht-Nilter immer noch kalt war. Die Nilter betrachten die Äquatorialregion als so etwas wie ein tropisches Paradies, wo tatsächlich Getreide wächst, wo die Temperatur durchaus acht oder neun Grad C übersteigen kann. Die meisten größeren Städte von Nilt liegen auf dem oder in der Nähe des Äquators.

Das Gleiche gilt für das Einzige, wovon sich der Planet so etwas wie Ruhm verspricht — die Glasbrücken.

Dabei handelt es sich um fünf Meter breite Bänder aus Schwarz, die in sanft geschwungenen Bögen über Gräben hängen, die fast so breit wie tief sind — mit Ausmaßen von mehreren Kilometern. Keine Kabel, keine Stützpfeiler, keine Träger. Nur ein schwarzer Bogen, der an beiden Klippen befestigt ist. Phantastische Arrangements aus farbigen Glasspiralen und -röhren hängen an der Unterseite jeder Brücke, manchmal auch seitlich vorgestreckt.

Die Brücken selbst bestehen laut allen Berichten ebenfalls aus Glas, obwohl Glas unmöglich die Belastung aushalten kann, die diese Brücken tragen. Allein ihr Eigengewicht müsste zu viel für sie sein, da sie ohne jede Stütze völlig frei hängen. Es gibt kein Geländer oder Handgriffe, nur den Abgrund und die kilometertiefe Schlucht, mit einer Ansammlung aus dickwandigen Röhren, von denen jede nur anderthalb Meter dick ist, leer und mit glatter Oberfläche. Sie bestehen aus dem gleichen Material wie die Brücken. Niemand weiß, wozu die Brücken und die Röhren darunter gedacht waren oder wer sie erbaut hat. Sie waren bereits hier, als Nilt von den ersten Menschen besiedelt wurde.