Theorien gibt es im Überfluss, eine unwahrscheinlicher als die andere. In vielen spielen interdimensionale Wesen eine wichtige Rolle. Entweder haben sie die Menschen geschaffen oder zu ihren eigenen Zwecken geformt oder eine Nachricht hinterlassen, die aus unerfindlichen Gründen von den Menschen entziffert werden soll. Oder sie waren böse und verfolgten die Absicht, jedes Leben zu vernichten. Die Brücken waren auf irgendeine Weise Teil ihres Plans.
Eine große Untergruppe behauptet, die Brücken wären von Menschen erbaut worden, von einer uralten, längst vergangenen, unglaublich fortgeschrittenen Zivilisation, die entweder ausstarb (langsam und tragisch oder spektakulär in Folge eines katastrophalen Fehlers) oder auf eine höhere Existenzebene wechselte. Advokaten derartiger Theorien behaupten darüber hinaus häufig, dass Nilt die wahre Wiege der Menschheit darstellt. Fast überall, wo ich gewesen bin, herrscht die allgemeine Vorstellung vor, dass die Position des Ursprungsplaneten der Menschen unbekannt und rätselhaft ist. In Wirklichkeit ist dem nicht so, wie jeder feststellen wird, der sich die Mühe macht, die einschlägigen Texte zu diesem Thema zu lesen. Doch diese Welt ist sehr, sehr, sehr weit von allen bekannten Regionen entfernt, und es ist auch keine besonders interessante Welt. Oder zumindest nicht annähernd so interessant wie die reizvolle Vorstellung, dass das eigene Volk keineswegs vor nicht allzu langer Zeit eine neue Heimat fand, sondern eine Welt rekolonisierte, die ihnen bereits seit Anbeginn der Zeiten gehörte. Solche Behauptungen trifft man auf fast allen Welten an, die auch nur ansatzweise für menschliche Besiedlung geeignet sind.
Die Brücke in der Nähe von Therrod war nie eine große Touristinnenattraktion. Die meisten funkelnden Arabesken aus Glas waren im Laufe der Jahrtausende zersplittert, bis fast nur noch der schlichte Bogen übrig blieb. Und Therrod liegt viel zu weit im Norden, als dass Nicht-Nilter es dort allzu lange aushalten könnten. Besucherinnen begnügen sich in der Regel mit den besser erhaltenen Brücken am Äquator, kaufen eine Decke aus Bov-Haar, die garantiert handgesponnen und handgewebt ist, hergestellt von Meisterinnen des Handwerks in den unerträglich kalten Regionen dieser Welt (auch wenn sie fast immer von Maschinen produziert wurden, zu Dutzenden, nur wenige Kilometer vom Souvenirladen entfernt). Außerdem würgen sie ein paar Schlucke übelriechender fermentierter Milch hinunter und kehren dann nach Hause zurück, um ihre Freundinnen und Kolleginnen mit den Abenteuergeschichten zu unterhalten, die sie angeblich erlebt haben.
All das brachte ich innerhalb weniger Minuten in Erfahrung, nachdem mir bewusst wurde, dass ich Nilt besuchen musste, um mein Ziel zu erreichen.
Therrod lag an einem breiten Fluss, in dessen Strömung Blöcke aus grün-weißem Eis trieben und gegeneinanderkrachten. Die ersten Boote der Saison waren bereits an den Docks vertäut. Auf der anderen Seite der Stadt setzte der schräge Ansatz der riesigen dunklen Brücke der zerfaserten Grenze der Häuser ein definitives Ende. Der südliche Rand der Stadt bestand aus Flieger-Parkplätzen, gefolgt von einem weitläufigen Komplex aus blau und gelb gestrichenen Gebäuden, die dem Aussehen nach zu urteilen eine medizinische Einrichtung bildeten, die zu den größten ihrer Art in dieser Region gehören musste. Sie war umgeben von Vierecken aus Herbergen und Lebensmittelgeschäften und Schneisen aus Häusern in hellem Rosa, Orange, Gelb und Rot, gestreift, gezackt und schraffiert.
Wir waren den halben Tag lang geflogen. Ich hätte die ganze Nacht fliegen können. Dazu war ich imstande, auch wenn es unangenehm gewesen wäre. Aber für mich gab es keinen Grund zur Eile. Ich ging auf dem ersten freien Platz nieder, den ich fand, forderte Seivarden schroff zum Aussteigen auf und trat dann ebenfalls nach draußen. Ich schulterte meinen Rucksack, bezahlte die Parkgebühr, machte den Flieger funktionsunfähig, wie ich es bei dem von Strigan getan hatte, und machte mich auf den Weg in die Stadt, ohne mich zu vergewissern, dass Seivarden mir folgte.
Ich war in der Nähe der medizinischen Einrichtung gelandet. Von den Unterkünften, die sie umgaben, waren einige luxuriös eingerichtet, aber viele waren kleiner und weniger komfortabel als jene, die ich im Dorf gemietet hatte, wo ich Seivarden gefunden hatte, allerdings auch ein bisschen teurer. Südländerinnen in hellen Mänteln kamen und gingen, unterhielten sich in einer Sprache, die ich nicht verstand. Andere sprachen die, die ich kannte, und zum Glück war es die gleiche Sprache, die auf den Hinweisschildern verwendet wurde.
Ich wählte eine Herberge — sie war zumindest geräumiger als die preiswertesten hier, Löcher in der Größe von Suspensionskapseln — und führte Seivarden zum ersten sauber wirkenden Lebensmittelladen mit moderaten Preisen, den ich finden konnte.
Als wir eintraten, fiel Seivardens Blick auf die Flaschenregale an der gegenüberliegenden Wand. »Hier gibt es Arrack.«
»Der dürfte unglaublich teuer sein«, sagte ich, »und wahrscheinlich nicht besonders gut. Er wird hier nicht hergestellt. Nehmen Sie sich stattdessen ein Bier.«
Ich hatte gewisse Anzeichen für Stress an ihr bemerkt, und sie war bei der Überfülle der hellen Farben leicht zusammengezuckt, sodass ich irgendeinen gereizten Gefühlsausbruch erwartet hatte, aber stattdessen deutete sie lediglich mit einer Geste ihr Einverständnis an. Dann rümpfte sie angewidert die Nase. »Woraus macht man hier das Bier?«
»Getreide. Es wächst in der Nähe des Äquators. Hier ist es nicht so kalt.« Wir suchten uns Plätze auf den Bänken, die drei Reihen aus langen Tischen säumten, und eine Kellnerin brachte uns Bier und Tassen mit etwas, von dem sie sagte, es wäre die Spezialität des Hauses. »Extra schönes Essen, ja«, erklärte sie in übel verunstaltetem Radchaai, und es war in der Tat recht gut, und wie sich herausstellte, enthielt es sogar echtes Gemüse, einen beträchtlichen Anteil aus dünn geschnittenem Kohl zwischen irgendwelchen anderen Dingen. Die kleineren Klumpen schienen Fleisch zu sein — wahrscheinlich Bov. Seivarden teilte einen der größeren Klumpen mit ihrem Löffel in zwei Hälften, worauf etwas Weißes zum Vorschein kam. »Vermutlich Käse«, sagte ich.
Sie verzog das Gesicht. »Warum können diese Leute keine richtige Nahrung essen? Wissen sie es nicht besser?«
»Käse ist richtige Nahrung. Genauso wie Kohl.«
»Aber diese Soße …«
»Schmeckt gut.« Ich nahm einen weiteren Löffel davon.
»Hier riecht es schon irgendwie seltsam«, beklagte sie sich.
»Essen Sie einfach.«
Sie blickte skeptisch in ihre Schale, löffelte einen Happen auf, schnupperte daran.
»Es kann unmöglich schlimmer riechen als dieses Getränk aus fermentierter Milch«, sagte ich.
Sie lächelte tatsächlich ein wenig. »Nein.«
Ich aß weiter und dachte über die Anzeichen der Verbesserung ihres Verhaltens nach. Ich war mir nicht sicher, was es bedeutete in Bezug auf ihren geistigen Zustand, ihre Absichten oder ihre Meinung über mich. Vielleicht hatte Strigan recht gehabt, und Seivarden hatte sich vorläufig für den vorteilhaftesten Kurs entschieden. Sie wollte sich nicht von der Person entfremden, die ihr zu essen gab, auch wenn sich das ändern würde, sobald sich ihre Optionen änderten.
Eine hohe Stimme rief von einem anderen Tisch herüber. »Hallo!«
Ich drehte mich um. Das Mädchen mit dem Tiktik-Set winkte mir von ihrem Platz neben ihrer Mutter zu. Für einen kurzen Moment war ich überrascht, aber schließlich befanden wir uns in der Nähe der Klinik, wohin sie ihre verletzte Verwandte gebracht hatten. Außerdem waren sie aus der gleichen Richtung gekommen wie wir, sodass sie höchstwahrscheinlich auf der gleichen Seite der Stadt geparkt hatten. Ich lächelte und nickte, worauf sie aufstand und zu uns herüberkam. »Ihrem Freund geht es besser!«, sagte sie fröhlich. »Das ist gut. Was essen Sie da?«