Wenn ich immer noch das gewesen wäre, was ich einmal war, hätte das alles natürlich gar keine Rolle gespielt. Dies wäre nicht mein alter Körper gewesen. Unwillkürlich dachte ich, dass es besser gewesen wäre, Seivarden in die Tiefe stürzen zu lassen. Dass ich nicht hätte springen sollen. Im Fallen wusste ich immer noch nicht, warum ich es getan hatte. Aber im Moment der Entscheidung hatte ich das Gefühl gehabt, dass ich ihr nicht einfach den Rücken zukehren konnte.
Inzwischen kannte ich die Entfernung in Zentimetern. »Fünf Sekunden«, sagte ich, schrie ich im Wind. Da waren es bereits vier. Wenn wir sehr, sehr großes Glück hatten, fielen wir genau in die Röhre unter uns, worauf ich meine Hände und Füße gegen die Wände drücken würde. Wenn wir sehr, sehr großes Glück hatten, würde die Reibungshitze die ungeschützte Seivarden nicht allzu schlimm verbrennen. Wenn ich noch größeres Glück hatte, würde ich mir nur die Hand- und Fußgelenke brechen. All das kam mir recht unwahrscheinlich vor, aber die Omen würden so fallen, wie Amaat es wollte.
Der Fall machte mir keine Sorgen. Ich konnte ewig fallen, ohne mich zu verletzen. Das Ende des Falls war das Problem. »Drei Sekunden«, sagte ich.
»Breq«, sagte Seivarden mit einem schluchzenden Keuchen. »Bitte.«
Einige Antworten würde ich nie erhalten. Ich gab die Berechnungen auf, mit denen ich immer noch beschäftigt war. Ich wusste nicht, warum ich gesprungen war, aber in diesem Moment spielte es keine Rolle, in diesem Moment gab es nichts anderes mehr. »Was auch immer Sie tun« — noch eine Sekunde —, »lassen Sie nicht los.«
Dunkelheit. Kein Aufprall. Ich streckte die Arme aus, die unverzüglich nach oben gerissen wurden. Der Schlag brach meine Handgelenke und Fußknöchel, trotz der Verstärkung durch die Rüstung. Sehnen und Muskel rissen, und wir wurden zur Seite geschleudert. Trotz der Schmerzen zog ich meine Arme und Beine an und streckte sie schnell wieder aus, um uns zu stabilisieren. Dabei brach etwas in meinem rechten Bein, aber ich konnte es mir nicht leisten, mir darüber Gedanken zu machen. Zentimeter um Zentimeter wurden wir langsamer.
Ich hatte keine Kontrolle mehr über meine Hände oder Füße, konnte sie nur noch gegen die Wände stoßen und hoffen, dass wir nicht erneut aus dem Gleichgewicht gebracht wurden und hilflos, kopfüber in den Tod stürzten. Die Schmerzen waren schneidend, blendeten alles bis auf Zahlen aus — eine Entfernung (geschätzt), die zentimeterweise geringer wurde (ebenfalls geschätzt), eine Geschwindigkeit (geschätzt), die geringer wurde, die externe Rüstungstemperatur (an meinen Extremitäten steigend, mögliche Gefahr des Überschreitens akzeptabler Parameter, mögliche Verletzungsfolge), doch die Zahlen waren für mich fast ohne Bedeutung, denn der Schmerz war lauter, unmittelbarer als alles andere.
Aber die Zahlen waren wichtig. Ein Vergleich zwischen Entfernung und unserer Verzögerungsrate deutete auf eine bevorstehende Katastrophe hin. Ich strengte mich an, tief einzuatmen, stellte fest, dass ich dazu nicht in der Lage war, und bemühte mich, kräftiger gegen die Wände zu drücken.
An den Rest des Sturzes habe ich keine Erinnerung.
Ich erwachte, auf dem Rücken liegend, unter Schmerzen. In meinen Händen und Armen, in den Schultern. In den Füßen und Beinen. Vor mir — genau über mir — ein Kreis aus grauem Licht. »Seivarden«, versuchte ich zu sagen, aber ich brachte nicht mehr als einen krampfhaften Seufzer zustande, der leicht von den Wänden widerhallte. »Seivarden.« Diesmal kam der Name verständlich heraus, aber kaum hörbar und durch meine Rüstung verzerrt. Ich deaktivierte die Rüstung und versuchte noch einmal zu sprechen, und diesmal funktionierte meine Stimme. »Seivarden.«
Ich hob den Kopf, nur ein wenig. Im schwachen Licht von oben sah ich, dass ich auf dem Boden lag, die Knie gebeugt und zu einer Seite gedreht, das rechte Bein in einem ungewöhnlichen Winkel abstehend, während meine Arme gerade neben meinem Körper lagen. Ich versuchte einen Finger zu bewegen, was mir nicht gelang. Eine Hand. Auch das ging nicht — natürlich. Ich versuchte mein rechtes Bein zu verrücken. Es reagierte mit noch mehr Schmerz.
Hier war niemand außer mir. Nichts außer mir — ich konnte meinen Rucksack nirgendwo sehen.
Früher hätte ich ein Radchaai-Schiff kontaktieren können, wenn eins im Orbit gewesen wäre, mit der Leichtigkeit eines Gedankens. Aber wenn ich mich irgendwo in der Nähe eines Radchaai-Schiffs aufgehalten hätte, wäre all dies niemals geschehen.
Hätte ich Seivarden im Schnee liegen gelassen, wäre all dies niemals geschehen.
Ich war so nahe dran gewesen. Nach zwanzig Jahren Planung und Arbeit, nachdem ich mich hier zwei Schritte vorwärts und dort einen Schritt zurück bewegt hatte, langsam und geduldig, war ich gegen alle Wahrscheinlichkeit so weit gekommen. Viele Male hatte ich wie diesmal einen blinden Versuch unternommen, wobei nicht nur der Erfolg, sondern auch mein Leben auf dem Spiel gestanden hatte, und jedes Mal hatte ich gewonnen oder zumindest nicht auf eine Weise verloren, die mich daran gehindert hätte, es noch einmal zu versuchen.
Bis jetzt. Und das aus einem völlig idiotischen Grund. Über mir verbargen Wolken den unerreichbaren Himmel, die Zukunft, die ich nicht mehr hatte, das Ziel, das ich nun nicht mehr erreichen konnte. Gescheitert.
Ich schloss die Augen über den Tränen, die nicht von körperlichen Schmerzen herrührten. Wenn ich scheiterte, dann nicht, weil ich jemals, zu irgendeinem Zeitpunkt, aufgegeben hätte. Seivarden hatte sich irgendwie entfernt. Ich würde sie wiederfinden. Ich wollte mich einen Moment lang ausruhen, mich sammeln, die Kraft aufbringen, den Handsender aus meinem Mantel zu ziehen und um Hilfe zu rufen. Oder ich würde irgendeine andere Möglichkeit finden, diesen Ort zu verlassen, und wenn ich mich dazu selbst aus den blutigen, nutzlosen Überresten meiner Gliedmaßen herausziehen musste, würde ich es tun, trotz aller Schmerzen, oder ich würde beim Versuch sterben.
14
Eine der drei Mianaais kam überhaupt nicht auf das Var-Deck, sondern sendete den Kode für mein zentrales Zugangsdeck. Ungültiger Zugriff, dachte ich, als ich ihn empfing, aber ich hielt den Lift trotzdem auf der Ebene an und öffnete die Tür. Diese Mianaai setzte ihren Weg fort bis zu meiner Hauptkonsole, rief mit Gesten Berichte auf, überflog schnell die Logbuch-Überschriften eines Jahrhunderts. Hielt inne, runzelte die Stirn über einen Punkt auf der Liste, der aus den fünf Jahren um den letzten Besuch herum stammen musste, den ich ihr verheimlicht hatte.
Ihre anderen zwei Versionen verstauten ihr Gepäck in ihren Quartieren und begaben sich dann in den inzwischen erhellten und langsam aufgewärmten Var-Dekadenraum. Beide setzten sich an den Tisch, während die stumme valskaayanische Heilige aus farbigem Glas milde auf sie herablächelte. Ohne laut zu sprechen, forderte sie Informationen von mir an — eine wahllose Erinnerungsprobe aus dem Fünfjahreszeitraum, der ihre Aufmerksamkeit geweckt hatte, oben auf dem zentralen Zugangsdeck. Schweigend, ausdruckslos — und in gewisser Weise unwirklich, da ich nur ihre äußeren Erscheinungen sehen konnte — beobachtete sie, wie meine Erinnerungen in ihren Sichtfeldern, in ihrem Gehör abgespielt wurden. Ich begann an der Wahrheit meiner Erinnerung an diesen anderen Besuch zu zweifeln. Es schien davon keine Spur in den Informationen zu geben, auf die Anaander Mianaai zugriff, nichts außer Routineaktionen während dieser Zeitspanne.
Aber irgendetwas hatte sie auf diesen Zeitraum aufmerksam gemacht. Und irgendetwas war für diesen ungültigen Zugriff verantwortlich — ein Zugriff durch Anaander Mianaai war niemals ungültig, konnte es niemals sein. Und warum hatte ich mich einem ungültigen Zugriff geöffnet? Und als eine Anaander im Dekadenraum die Stirn runzelte und »Nein, nichts« sagte und die Herrin der Radch sich jüngeren Erinnerungen zuwandte, empfand ich ein Gefühl enormer Erleichterung.