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Es kommt mir sehr eindeutig vor, wenn ich »ich« sage. Zu jenem Zeitpunkt meinte ich mit »ich« die Gerechtigkeit der Torren, das gesamte Schiff mit all seinen Hilfseinheiten. Eine Einheit mochte in jenem Moment durchaus auf etwas Bestimmtes konzentriert sein, aber sie war nicht mehr von »mir« abgesondert als meine Hand, während sie mit einer Aufgabe beschäftigt ist, die nicht meine gesamte Aufmerksamkeit beansprucht.

Fast zwanzig Jahre später würde »ich« ein einzelner Körper sein, ein einzelnes Gehirn. Die Aufspaltung in ich, die Gerechtigkeit der Torren, und ich, Eins Esk, war nicht, wie ich inzwischen glaube, eine plötzliche Trennung, kein Augenblick, vor dem »ich« eine und nach dem ich »wir« war. Es war etwas, das schon immer eine potenzielle Möglichkeit gewesen war. Der vorgebeugt wurde. Aber wie wurde aus einer Möglichkeit unumstößliche, unwiderrufliche Realität?

Auf einer Ebene ist die Antwort einfach — es geschah, als die Gerechtigkeit der Torren mit allem außer mir vernichtet wurde. Aber wenn ich es genauer betrachte, scheine ich überall die Risse zu sehen. Hatte der Gesang etwas damit zu tun, die Sache, die Eins Esk von allen anderen Einheiten im Schiff, sogar in allen Flotten unterschied? Vielleicht. Oder besteht nicht jede Identität eigentlich aus Fragmenten, zusammengehalten durch eine passende oder nützliche gemeinsame Geschichte, die normalerweise niemals als Fiktion erkennbar wird? Handelt es sich überhaupt um eine Fiktion?

Ich kenne die Antwort nicht. Aber ich weiß, dass sich das alles nur aus der Rückschau ergibt, obwohl ich schon in den tausend Jahren davor die Hinweise auf eine potenzielle Aufspaltung sehe. Das erste Mal, dass ich auch nur die vage Möglichkeit bemerkte, dass ich, die Gerechtigkeit der Torren, vielleicht nicht gleichzeitig ich, Eins Esk, war, war jener Moment, in dem die Gerechtigkeit der Torren die Erinnerungen von Eins Esk an das Gemetzel im Tempel der Ikkt redigierte. Der Moment, in dem ich — »ich« — davon überrascht wurde.

Dadurch wird es schwierig, die Geschichte zu erzählen. Denn obwohl »ich« immer noch ich war, eins und einheitlich, handelte ich gegen mich selbst, im Widerspruch zu meinen Interessen und Wünschen, manchmal insgeheim, und täuschte mich selbst in Bezug auf das, was ich wusste und tat. Und es ist für mich sogar jetzt noch schwierig zu erkennen, wer welche Handlung ausführte oder wer welche Informationen hatte. Weil ich die Gerechtigkeit der Torren war. Selbst wenn ich es nicht war. Selbst wenn ich es jetzt nicht mehr bin.

Weiter oben, auf dem Esk-Deck, bat Leutnantin Dariet um Zutritt zu Leutnantin Awns Quartier, sah dort Leutnantin Awn auf ihrer Koje liegen und blicklos zur Decke starren, die behandschuhten Hände hinter dem Kopf verschränkt. »Awn«, begann sie, hielt inne, setzte ein reumütiges Lächeln auf. »Ich bin hier, um etwas herauszufinden.«

»Ich kann nicht darüber reden«, antwortete Leutnantin Awn, die immer noch hinaufstarrte, bestürzt und wütend, ohne es in ihrer Stimme mitschwingen zu lassen.

Im Var-Dekadenraum fragte Mianaai: »Wo liegen Dariet Suleirs politische Sympathien?«

»Ich glaube, sie hat keine, die der Rede wert wären«, antwortete ich durch Eins Vars Mund.

Leutnantin Dariet trat in Leutnantin Awns Quartier, setzte sich auf die Bettkante, neben Leutnantin Awns stiefellose Füße. »Nicht darüber. Haben Sie von Skaaiat gehört?«

Leutnantin Awn schloss die Augen. Immer noch bestürzt. Immer noch wütend. Auch wenn es sich ein klein wenig anders anfühlte. »Warum hätte ich von Skaaiat hören sollen?«

Leutnantin Dariet schwieg drei Sekunden lang. »Ich mag Skaaiat«, sagte sie schließlich. »Ich weiß, dass sie Sie mag.«

»Ich war einfach dort. Ich war dort, und es passte gerade. Sie wissen, wir alle wissen, dass wir irgendwann weiterziehen werden, und sobald wir das tun, hat Skaaiat keinen Grund mehr, sich Gedanken zu machen, ob ich noch existiere oder nicht. Und selbst wenn …« Leutnantin Awn verstummte. Schluckte. Atmete. »Selbst wenn sie es tun würde«, fuhr sie fort, ihre Stimme nicht mehr ganz so sicher wie vorher, »würde es keine Rolle spielen. Ich bin keine Person, zu der sie eine Verbindung haben möchte, nicht mehr. Falls ich es jemals war.«

Unten sagte Anaander Mianaai: »Leutnantin Dariet scheint pro-reformistisch zu sein.«

Das verwirrte mich. Aber Eins Var hatte dazu natürlich keine Meinung, weil sie nur Eins Var war, und so zeigte sie keine körperliche Reaktion auf meine Verwirrung. Plötzlich erkannte ich sehr deutlich, dass ich Eins Var als Maske benutzte, auch wenn ich nicht verstand, warum oder wie ich so etwas tat. Oder warum mir jetzt diese Idee kam. »Ich bitte meine Herrin um Verzeihung, aber das betrachte ich nicht als politische Einstellung.«

»Tatsächlich?«

»Ja, Herrin. Sie haben die Reformen angeordnet. Also werden sie von loyalen Bürgerinnen unterstützt.«

Diese Mianaai lächelte. Die andere stand auf, verließ den Dekadenraum, um durch die Var-Korridore zu laufen und das Deck zu inspizieren. Ohne die Segmente von Eins Var, denen sie begegnete, anzusprechen oder auf irgendeine Weise zur Kenntnis zu nehmen.

Leutnantin Awn antwortete auf Leutnantin Dariets skeptisches Schweigen. »Für Sie ist es einfach. Niemand glaubt, Sie würden wegen eines Vorteils niederknien, wenn Sie mit irgendeiner Person ins Bett gehen. Oder dass Sie sich etwas darauf einbilden würden. Niemand fragt sich, was Ihre Partnerin denken könnte oder wie Sie überhaupt hierhergekommen sind.«

»Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass Sie in diesem Punkt viel zu sensibel sind.«

»Bin ich das?« Leutnantin Awn öffnete die Augen, stemmte sich mit den Ellbogen hoch. »Woher wissen Sie das? Haben Sie es häufig erlebt? Ich ja. Ständig.«

»Das«, sagte Mianaai im Dekadenraum, »ist eine wesentlich kompliziertere Angelegenheit, als dir bewusst zu sein scheint. Leutnantin Awn ist natürlich pro-reformistisch.« Ich wünschte, ich hätte körperliche Daten von Mianaai bekommen, damit ich den scharfen Unterton in ihrer Stimme hätte interpretieren können, als sie Leutnantin Awn erwähnte. »Und Dariet vielleicht auch, obwohl sich die Frage stellt, wie sehr. Und die übrigen Offizierinnen? Wer ist hier pro-reformistisch und wer anti?«

In Leutnantin Awns Quartier seufzte Leutnantin Dariet. »Ich glaube einfach nur, dass Sie sich deswegen zu viele Sorgen machen. Wen interessiert es, was solche Leute sagen?«

»Es ist einfach, sich keine Sorgen zu machen, wenn man reich ist, wenn man solchen Leuten sozial gleichgestellt ist.«

»So etwas sollte keine Rolle spielen«, insistierte Leutnantin Dariet.

»Das sollte es nicht. Aber das tut es.«

Leutnantin Dariet runzelte die Stirn. Verärgert und frustriert. Sie hatten dieses Gespräch schon einmal geführt, und es verlief jedes Mal gleich. »Wie auch immer. Sie sollten Skaaiat eine Nachricht schicken. Was hätten Sie dadurch zu verlieren? Wenn sie nicht antwortet, antwortet sie nicht. Aber vielleicht …« Leutnantin Dariet zog leicht eine Schulter und den Arm hoch. Eine Geste, die besagte: Versuchen Sie es einfach, und schauen Sie, was das Schicksal Ihnen beschert.

Wenn ich auch nur für den kürzesten Moment zögerte, Anaander Mianaais Frage zu beantworten, würde ihr klar werden, dass die Vorrangkodes nicht funktionierten. Eins Var war sehr, sehr gelassen. Ich nannte ein paar Offizierinnen, die eindeutige Meinungen hatten, entweder in die eine oder die andere Richtung. »Die übrigen«, schloss ich, »begnügen sich damit, Befehle auszuführen und ihre Pflichten zu erfüllen, ohne sich allzu viele Gedanken über Politik zu machen. Soweit ich es einschätzen kann.«