Seivardens Stirnfalten wurden nur umso tiefer, und als ich fertig war, sagte sie: »Also erzählen Sie mir, dass die Gouverneurin von Ime absolut korrupt war. Und dass sie irgendwie über die nötigen Zugriffsrechte verfügte, um die Station Ime daran zu hindern, sie zu melden? Wie konnte das geschehen?« Ich antwortete nicht. Entweder kam sie von selbst auf die offensichtliche Schlussfolgerung, oder sie war einfach nicht in der Lage, sie zu erkennen. »Und wie konnte sie nach der Eignungsprüfung eine solche Position erlangen, wenn sie zu solchen Dingen fähig war? Das ist unmöglich.«
Seivarden fuhr fort: »Natürlich folgt daraus alles Weitere, nicht wahr? Eine korrupte Gouverneurin ernennt korrupte Beamtinnen, ungeachtet ihrer Eignung. Aber die Kapitäninnen, die dort stationiert waren … nein, das ist unmöglich.«
Sie war nicht in der Lage, es zu erkennen. Ich hätte überhaupt nichts sagen sollen. »Als diese Soldatin sich weigerte, die Rrrrrr zu töten, die in das System gekommen waren, als sie den Rest ihrer Einheit überzeugte, dasselbe zu tun, erzeugte sie eine Situation, die sich nicht allzu lange verheimlichen ließ. Die Rrrrrr konnten ihr eigenes Tor generieren, also konnte die Gouverneurin sie nicht daran hindern, das System zu verlassen. Sie mussten nur einen einzigen Sprung in das nächste bewohnte System machen und ihre Geschichte erzählen. Und genau das taten sie.«
»Warum lag ihnen denn überhaupt so viel an den Rrrrrr?« Seivardens Kehle konnte sich nicht ganz an den Laut gewöhnen. »Ernsthaft? So werden sie genannt?«
»So nennen sie sich selbst«, erklärte ich in meinem geduldigsten Tonfall. Wenn eine Rrrrrr oder eine ihrer menschlichen Übersetzerinnen es sagte, klang es wie ein anhaltendes Knurren, das sich jedoch nicht sehr von anderen Äußerungen der Rrrrrr unterschied. »Es ist wirklich sehr schwer auszusprechen. Die meisten Leute, die ich gehört habe, rollen einfach nur ein langgezogenes r.«
»Rrrrrr«, probierte Seivarden. »Klingt immer noch komisch. Also warum lag den Leuten so viel an den Rrrrrr?«
»Weil die Presger den Vertrag mit uns auf der Grundlage ihrer Entscheidung schlossen, dass wir signifikant sind. Insignifikante zu töten hat für die Presger keine Bedeutung, und Gewalt zwischen den Angehörigen derselben Spezies bedeutet ihnen ebenfalls nichts, aber willkürliche Gewalt gegen andere signifikante Spezies ist inakzeptabel.« Was nicht heißt, dass gar keine Gewalt erlaubt ist, aber nur unter gewissen Bedingungen, von denen keine für die meisten Menschen irgendeinen Sinn ergibt. Also war es am sichersten, sie ganz zu vermeiden.
Seivarden hauchte ein Hhh, als ihr langsam die Zusammenhänge klar wurden.
»Also war nun«, fuhr ich fort, »die gesamte Einheit Eins Amaat der Gnade der Sarrse zu den Rrrrrr übergelaufen. Sie waren außer Reichweite, standen unter dem Schutz der Aliens, aber für die Radchaai hatten sie sich des Hochverrats schuldig gemacht. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie zu lassen, wo sie waren, aber stattdessen forderte die Radch sie zurück, damit sie exekutiert werden konnten. Was die Rrrrrr natürlich nicht tun wollten. Die Einheit Eins Amaat hatte ihnen das Leben gerettet. Einige Jahre lang war die Situation angespannt, aber irgendwann wurde ein Kompromiss geschlossen. Die Rrrrrr übergaben die Anführerin der Einheit, die die Meuterei angezettelt hatte, im Austausch gegen Immunität für alle anderen.«
»Aber …« Seivarden hielt inne.
Nach sieben Sekunden Schweigen sagte ich: »Sie denken, dass sie natürlich sterben musste, weil Ungehorsam niemals geduldet werden kann, aus sehr guten Gründen. Aber gleichzeitig wurde durch ihren Verrat die Korruption der Gouverneurin von Ime aufgedeckt, die andernfalls ungebrochen weitergegangen wäre. Also tat sie der Radch letztlich einen Gefallen. Sie denken, jede Närrin wüsste es besser, als den Mund aufzumachen und eine Regierungsbeamtin aus welchem Grund auch immer zu kritisieren. Und Sie denken daran, dass es schlecht für eine Zivilisation ist, wenn eine Person, die den Mund aufmacht und etwas offenkundig Böses kritisiert, bestraft wird, einfach nur für die Kritik. Keine wird dann den Mund aufmachen, wenn sie nicht bereit ist, für ihre Kritik zu sterben, und …« Ich zögerte. Schluckte. »Es gibt nicht viele, die dazu bereit sind. Sie glauben wahrscheinlich, dass sich die Herrin der Radch in einer schwierigen Situation befand, als sie entscheiden musste, wie sie damit umgeht. Und auch, dass diese besonderen Umstände außergewöhnlich waren und dass Anaander Mianaai die letzte Befehlsgewalt hat und sie hätte begnadigen können, wenn sie es gewünscht hätte.«
»Ich denke darüber nach«, sagte Seivarden, »dass die Herrin der Radch sich einfach damit hätte begnügen können, sie bei den Rrrrrr zu lassen — so hätte sie sich des Problems entledigt.«
»Das hätte sie tun können«, stimmte ich zu.
»Außerdem denke ich, dass ich, wenn ich an der Stelle der Herrin der Radch gewesen wäre, niemals zugelassen hätte, dass diese Nachricht weiter als bis nach Ime gelangt.«
»Mithilfe Ihres direkten Zugriffs könnten Sie Schiffe und Stationen daran hindern, darüber zu sprechen. Sie könnten allen Bürgerinnen, die etwas wussten, befehlen, nichts zu sagen.«
»Ja. Das würde ich tun.«
»Aber es würde sich trotzdem in Form von Gerüchten ausbreiten.« Auch wenn sich diese Gerüchte zwangsläufig langsam bewegten und vage blieben. »Und Sie würden die Möglichkeit eines sehr lehrreichen Exempels verlieren, indem Sie in aller Öffentlichkeit fast die gesamte Administration von Ime auf der Stationspromenade antreten lassen und den Leuten eine nach der anderen in den Kopf schießen.« Und Seivarden war natürlich eine Einzelperson, die glaubte, Anaander Mianaai wäre eine Einzelperson, die in einer solchen Situation unentschlossen sein konnte, um sich dann für eine einzelne Handlungsweise zu entscheiden, ohne sich selbst bei der Entscheidungsfindung aufzuspalten. Und es stand wesentlich mehr hinter Anaander Mianaais Dilemma, als Seivarden geistig erfasst hatte.
Seivarden schwieg vier Sekunden lang und sagte dann: »Jetzt werde ich Sie wieder sehr wütend machen.«
»Wirklich?«, fragte ich mit ironischem Tonfall. »Haben Sie nicht allmählich genug davon?«
»Ja.« Ganz einfach. Und ernsthaft.
»Die Gouverneurin von Ime war von guter Herkunft und hatte eine gute Erziehung«, sagte ich und nannte ihr Haus.
»Noch nie gehört«, sagte Seivarden. »So viel hat sich verändert. Und nun geschehen solche Dinge. Sie glauben doch nicht wirklich, dass es eine Verbindung gibt?«
Ich wandte den Kopf ab, ohne ihn anzuheben. Nicht wütend, sondern nur sehr, sehr müde. »Sie wollen damit sagen, dass all das nicht geschehen wäre, wenn Emporkömmlinge aus der Provinz nicht emporgekommen wären. Wenn die Gouverneurin von Ime einer Familie mit wirklich erwiesenen Qualitäten entstammen würde.«
Seivarden war klug genug, darauf keine Antwort zu geben.
»Kennen Sie tatsächlich keine Person von besserer Geburt, die auf einen Posten befördert wurde, der ihre Fähigkeiten übersteigt? Die unter Druck zusammenbricht? Die sich schlecht benimmt?«
»Nicht auf diese Weise.«
Wohl wahr. Aber sie hatte praktischerweise vergessen, dass Eins Amaat Eins von der Gnade der Sarrse — ein Mensch, keine Hilfseinheit — nach ihrer Definition ebenfalls ein »Emporkömmling« war, dass sie ein Teil der Veränderungen war, die Seivarden erwähnt hatte. »Emporkömmlinge aus der Provinz sind genauso wie die Ereignisse in Ime Resultate derselben Ereignisse. Das eine hat nicht das andere verursacht.«
Sie stellte die naheliegende Frage. »Wodurch wurde es also verursacht?«
Die Antwort war zu kompliziert. Wie weit würde ich zurückgehen müssen? Es begann auf Garsedd. Es begann, als die Herrin der Radch sich selbst vervielfachte und an die Eroberung des gesamten von Menschen besiedelten Weltraums machte. Es begann, als die Radch gegründet wurde. Und noch viel früher. »Ich bin müde«, sagte ich.