»Natürlich«, sagte Seivarden gelassener, als ich erwartet hatte. »Wir können später darüber reden.«
16
Ich verbrachte eine Woche damit, den Nicht-Raum zwischen Shis’urna und Valskaay zu durchqueren — isoliert, unabhängig —, bevor die Herrin der Radch in Aktion trat. Niemand hatte einen Verdacht, ich hatte keine Hinweise gegeben, es gab keine Spur, nicht das leiseste Indiz, dass sich irgendjemand auf dem Var-Deck befand, dass irgendetwas nicht stimmen mochte.
Zumindest hatte ich das gedacht. »Schiff«, sagte Leutnantin Awn nach einer Woche zu mir, »stimmt etwas nicht?«
»Warum fragen Sie, Leutnantin?«, erwiderte ich. Eins Esk tat es. Eins Esk kümmerte sich ständig um Leutnantin Awn.
»Wir waren in Ors sehr lange zusammen«, sagte Leutnantin Awn und sah das Segment, zu dem sie sprach, mit leicht gerunzelter Stirn an. Seit Ors hatte sie sich die ganze Zeit schlecht gefühlt, manchmal mehr, manchmal weniger, je nachdem. Ich vermutete, es hing davon ab, welche Gedanken ihr gerade durch den Kopf gingen. »Sie machen einfach nur den Eindruck, als würde Sie irgendetwas beunruhigen. Und Sie sind stiller als sonst.« Sie stieß einen gehauchten, halb amüsierten Laut aus. »Im Haus haben Sie ständig gesummt oder gesungen. Jetzt ist es viel zu still.«
»Hier gibt es Wände, Leutnantin«, bemerkte ich. »Im Haus in Ors gab es keine.«
Ihre Augenbraue zuckte ganz leicht. Ich erkannte, dass ihr klar war, dass meine Antwort ausweichend war, aber sie ging nicht weiter darauf ein.
Gleichzeitig sagte Anaander Mianaai im Dekadenraum zu mir: »Du verstehst, was auf dem Spiel steht. Was dies für die Radch bedeutet.« Ich bestätigte es. »Ich weiß, dass es für dich recht beunruhigend sein muss.« Es war das erste Mal, dass sie diese Möglichkeit eingestand, seit sie an Bord gekommen war. »Ich habe dich gezwungen, meinen Zwecken zu dienen, zum Wohl der Radch. Du wurdest teilweise dazu konstruiert, mir dienen zu wollen. Und jetzt musst du mir nicht nur dienen, sondern dich mir gleichzeitig widersetzen.«
Ich fand, dass sie es mir bemerkenswert einfach machte, mich ihr zu widersetzen. Die eine oder die andere Seite von ihr hatte das getan, und ich war mir nicht sicher, welche. Aber ich sagte durch Eins Vars Mund: »Ja, Herrin.«
»Wenn sie Erfolg hat, wird die Radch letztendlich zerfallen. Nicht das Zentrum, nicht die eigentliche Radch.« Wenn die Leute von der Radch sprachen, meinten sie in der Regel das gesamte Radchaai-Territorium, aber in Wirklichkeit war die Radch ein einzelner Ort, eine Dyson-Sphäre, geschlossen und autark. Dort war nichts gestattet, was rituell unrein war, keine unzivilisierte oder nichtmenschliche Person konnte in diesen Raum eindringen. Nur sehr, sehr wenige von Mianaais Klientinnen hatten sich jemals darin aufgehalten, und es existierten nur noch wenige Häuser, die auch nur Vorfahren hatten, die einst dort gelebt hatten. Es war eine offene Frage, ob die Bewohner wussten oder sich dafür interessierten, was Anaander Mianaai tat oder welche Ausmaße das Radch-Territorium hatte oder ob es überhaupt existierte. »Die Radch selbst, die eigentliche Radch, wird länger überleben. Aber mein Territorium, das ich ausweitete, um sie zu sichern, um sie rein zu halten, wird zersplittern. Ich habe mich selbst zu dem gemacht, was ich bin, habe all dies erbaut« — mit einer ausladenden Geste schloss sie die Wände des Dekadenraums und damit, was sie betraf, die Gesamtheit des Radch-Territoriums mit ein —, »all dies, um das Zentrum zu beschützen. Damit es unkontaminiert bleibt. Ich könnte es keiner anderen Person anvertrauen. Und nun kann ich es, wie es scheint, nicht einmal mehr mir selbst anvertrauen.«
»Gewiss nicht, Herrin«, sagte ich, da ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte, da ich mir nicht ganz sicher war, wogegen ich Einspruch erhob.
»Milliarden Bürgerinnen werden dabei sterben«, fuhr sie fort, als hätte sie mich gar nicht gehört. »Durch Krieg oder Ressourcenmangel. Und ich …«
Sie zögerte. Einigkeit, dachte ich, implizierte die Möglichkeit der Uneinigkeit. Ein Anfang impliziert und erfordert ein Ende. Aber ich sagte es nicht. Die mächtigste Person des Universums hatte es nicht nötig, dass ich ihr Vorträge über Religion oder Philosophie hielt.
»Aber ich bin bereits zerbrochen«, schloss sie. »Ich kann nur noch darum kämpfen, ein weiteres Auseinanderbrechen zu verhindern. Ich muss das beseitigen, was ich nicht mehr bin.«
Ich war mir nicht sicher, was ich sagen sollte oder konnte. Ich hatte keine bewusste Erinnerung, dieses Gespräch schon einmal geführt zu haben, obwohl ich inzwischen davon überzeugt war. Ich musste schon einmal zugehört haben, wie Anaander Mianaai ihre Handlungsweise erklärte und rechtfertigte, nachdem sie die Vorrangkodes benutzt und … irgendetwas geändert hatte. Es musste ähnlich abgelaufen sein, vielleicht sogar mit denselben Worten. Schließlich war sie dieselbe Person gewesen.
»Und«, fuhr Anaander Mianaai fort, »ich muss die Waffen meiner Feindin beseitigen, wo immer ich sie finde. Schick Leutnantin Awn zu mir.«
Leutnantin Awn näherte sich dem Var-Dekadenraum mit großer Beunruhigung, weil sie nicht wusste, warum ich sie dorthin geschickt hatte. Ich hatte mich geweigert, ihre Fragen zu beantworten, was ihr Gefühl nur verstärkt hatte, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Auf dem weißen Boden hallten ihre Stiefel wie in einem leeren Raum, trotz der Anwesenheit von Eins Var. Als sie den Dekadenraum erreichte, glitt die Tür nahezu geräuschlos auf.
Der Anblick von Anaander Mianaai im Raum traf Leutnantin Awn wie ein Schlag, ein grausamer Stich aus Furcht, Überraschung, Betroffenheit, Zweifel und Verwirrung. Leutnantin Awn nahm drei Atemzüge, die flacher ausfielen, als ihr lieb gewesen wäre, wie ich erkannte, dann reckte sie ein klein wenig die Schultern, trat ein und fiel auf die Knie.
»Leutnantin«, sagte Anaander Mianaai. Ihr Akzent und Tonfall waren der Prototyp für Leutnantin Skaaiats elegante Vokale und Leutnantin Issaaias gedankenlose, leicht spöttische Arroganz. Leutnantin Awn lag mit dem Gesicht auf dem Boden und wartete. Ängstlich.
Wie zuvor empfing ich keine Daten von Mianaai, die sie mir nicht absichtlich sendete. Ich hatte keine Informationen über ihren inneren Zustand. Sie wirkte ruhig. Gelassen, emotionslos. Ich war mir sicher, dass dieser oberflächliche Eindruck eine Täuschung war, obwohl ich nicht verstand, warum ich das dachte, außer dass sie meiner Meinung nach freundlicher über Leutnantin Awn hätte sprechen sollen. »Sagen Sie mir«, begann Mianaai nach längerem Schweigen, »woher diese Waffen stammen und was Sie glauben, was im Tempel der Ikkt geschehen ist.«
Leutnantin Awn wurde von einer Kombination aus Erleichterung und Furcht ergriffen. In der kurzen Zeit, seit sie Anaander Mianaais Anwesenheit verarbeiten konnte, hatte sich in ihr die Erwartung ausgeprägt, dass diese Frage gestellt werden würde. »Herrin, die Waffen können nur von einer Person mit genügend Befehlsgewalt gekommen sein, um sie umzuleiten und ihre Vernichtung zu verhindern.«
»Zum Beispiel von Ihnen.«
Ein scharfer Stich der Überraschung und des Entsetzens. »Nein, Herrin, glauben Sie mir. Ich habe tatsächlich Nicht-Bürgerinnen in meinem Zuständigkeitsbereich entwaffnet, und einige von ihnen gehörten dem Tanmind-Militär an.« Die Polizeiwache in der Oberstadt war in der Tat recht gut bewaffnet gewesen. »Aber danach habe ich sie unverzüglich funktionsunfähig machen lassen, bevor ich sie weiterschickte. Und nach den Inventarnummern wurden diese Waffen in Kould Ves eingesammelt.«
»Von Soldatinnen der Gerechtigkeit der Torren?«
»Meines Wissens, ja, Herrin.«
»Schiff?«
Ich antwortete durch einen von Eins Vars Mündern. »Herrin, die betreffenden Waffen wurden von Sechzehn und Siebzehn Inu konfisziert.« Ich nannte auch ihre damalige Leutnantin, die inzwischen versetzt worden war.