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Anaander Mianaai zeigte den Ansatz eines Stirnrunzelns. »Also hat vor fünf Jahren eine Person mit entsprechender Befugnis — entweder diese Inu-Leutnantin oder jemand anderes — verhindert, dass diese Waffen vernichtet wurden, und sie versteckt. Fünf Jahre lang. Und dann wurden sie in diesem orsianischen Sumpf deponiert? Zu welchem Zweck?«

Leutnantin Awn, immer noch mit dem Gesicht auf dem Boden und verwirrt blinzelnd, brauchte eine Sekunde, um eine Antwort zu formulieren. »Ich weiß es nicht, Herrin.«

»Sie lügen«, sagte Mianaai, die immer noch saß und sich auf ihrem Stuhl zurücklehnte, als wäre sie völlig entspannt und unbesorgt, aber sie hatte Leutnantin Awn keinen Moment aus den Augen gelassen. »Ich erkenne deutlich, dass Sie es tun. Und ich habe jedes Gespräch gehört, dass Sie seit dem Zwischenfall geführt haben. Wen haben Sie gemeint, als Sie davon sprachen, eine andere Person würde von dieser Situation profitieren?«

»Wenn ich gewusst hätte, welchen Namen ich nennen könnte, hätte ich ihn an dieser Stelle benutzt. Ich meinte damit nur, dass es eine bestimmte Person geben muss, die gehandelt hat, die es verursacht hat …« Sie hielt inne, nahm einen Atemzug, ließ den Satz unvollendet. »Jemand hat mit den Tanmind konspiriert, eine Person, die Zugang zu diesen Waffen hatte. Wer auch immer sie sein mag, sie wollte Unruhe zwischen der Ober- und der Unterstadt stiften. Es war meine Aufgabe, das zu verhindern. Ich habe mir alle Mühe gegeben, dieses Ziel zu erreichen.« Zweifellos eine ausweichende Antwort. Seit dem Augenblick, als Anaander Mianaai die übereilte Exekution der Tanmind-Bürgerinnen im Tempel angeordnet hatte, war die erste und offensichtlichste Verdächtige die Herrin der Radch selbst gewesen.

»Warum sollte jemand Unruhe zwischen der Ober- und der Unterstadt stiften?«, fragte Anaander Mianaai. »Wer würde sich diese Mühe machen?«

»Jen Shinnan, Herrin, und ihre Freundinnen«, antwortete Leutnantin Awn, die zumindest vorübergehend wieder einen sicheren Stand hatte. »Sie fand, dass die ethnischen Orsai über Gebühr begünstigt wurden.«

»Von Ihnen.«

»Ja, Herrin.«

»Also wollen Sie damit sagen, dass Jen Shinnan in den ersten Monaten der Annexion Kontakt zu irgendeiner Radchaai-Vertreterin aufgenommen hat, die bereit war, Kisten voller Waffen abzuzweigen, um damit fünf Jahre später für Unruhen zwischen der Ober- und Unterstadt zu sorgen. Um Ihnen Ärger zu machen.«

»Herrin!« Leutnantin Awn hob die Stirn einen Zentimeter vom Boden und hielt inne. »Ich weiß nicht, wie, ich weiß nicht, warum. Ich weiß nicht, w…« Sie verschluckte das letzte Wort, von dem ich wusste, dass es eine Lüge gewesen wäre. »Ich weiß nur, dass es meine Aufgabe war, den Frieden in Ors zu wahren. Dieser Frieden war bedroht, und ich tat alles, um …« Sie verstummte, weil ihr vielleicht bewusst wurde, dass sie den Satz ungeschickt eingeleitet hatte. »Es war meine Aufgabe, die Bürgerinnen von Ors zu beschützen.«

»Weshalb Sie so vehement gegen die Exekution der Personen protestierten, die die Bürgerinnen von Ors in Gefahr gebracht haben.« Anaander Mianaais Tonfall war trocken und sarkastisch.

»Ich war für sie verantwortlich, Herrin. Und wie ich seinerzeit sagte, waren sie unter Kontrolle. Wir hätten sie mühelos festhalten können, bis Verstärkung eingetroffen wäre. Sie haben die letzte Befehlsgewalt, und natürlich müssen Ihre Anweisungen befolgt werden, aber ich habe nicht verstanden, warum diese Leute sterben mussten. Ich verstehe immer noch nicht, warum sie sofort sterben mussten.« Eine halbsekündige Pause. »Ich muss den Grund nicht verstehen. Ich bin hier, um Ihre Befehle zu befolgen. Aber ich …« Wieder hielt sie inne. Schluckte. »Herrin, wenn Sie irgendeinen Verdacht gegen mich hegen, mir irgendein Vergehen oder Untreue vorwerfen, bitte ich Sie, mich verhören zu lassen, wenn wir Valskaay erreicht haben.«

Dieselben Drogen, die für die Eignungsprüfungen und die Umerziehung benutzt wurden, ließen sich auch für ein Verhör verwenden. Eine geschickte Fragestellerin konnte die geheimsten Gedanken aus dem Geist einer Person ans Tageslicht holen. Eine ungeschickte konnte Bedeutungslosigkeiten und Geschwafel hervorholen, konnte die verhörte Person fast genauso sehr schädigen wie eine ungeschickte Umerzieherin.

Das, worum Leutnantin Awn gebeten hatte, wurde von juristischen Vorschriften gestützt — nicht zuletzt der Anspruch auf Anwesenheit von zwei Zeuginnen, und Leutnantin Awn hatte sogar das Recht, eine von ihnen zu benennen.

Ich erkannte, wie unbehaglich und erschrocken sie reagierte, als Anaander Mianaai nichts darauf erwiderte. »Herrin, darf ich offen sprechen.«

»Unbedingt, sprechen Sie offen«, sagte Anaander Mianaai mit trockenem, bitterem Tonfall.

Leutnantin Awn sprach, ängstlich, das Gesicht immer noch am Boden. »Sie waren es. Sie haben die Waffen umgeleitet, Sie haben den Aufruhr geplant, zusammen mit Jen Shinnan. Aber ich verstehe nicht, warum. Es kann dabei nicht um mich gegangen sein. Ich bin niemand

»Aber ich glaube, dass Sie nicht die Absicht haben, niemand zu bleiben«, erwiderte Anaander Mianaai. »Das verraten mir Ihre Bemühungen um Skaaiat Awer.«

»Meine …« Leutnantin Awn schluckte. »Ich habe mich nie um sie bemüht. Wir waren Freundinnen. Sie war für den benachbarten Distrikt verantwortlich.«

»Freundinnen nennen Sie das?«

Leutnantin Awns Gesicht erhitzte sich. Und sie erinnerte sich an ihren Akzent, ihre Diktion. »Ich maße mir nicht an, es als mehr zu bezeichnen.« Unglücklich. Verängstigt.

Mianaai schwieg drei Sekunden lang und sagte dann: »Vielleicht nicht. Skaaiat Awer ist attraktiv und charmant und ohne Zweifel gut im Bett. Jemand wie Sie wäre sehr empfänglich für ihre Beeinflussungen. Ich habe schon seit einiger Zeit Zweifel an Awers Loyalität.«

Leutnantin Awn wollte sprechen, und ich sah, wie sich die Muskeln ihrer Kehle anspannten, aber sie brachte keinen Laut heraus.

»Ja, ich spreche von Aufhetzung. Sie sagen, dass Sie loyal sind. Und dennoch sind Sie mit Skaaiat Awer befreundet.« Anaander Mianaais gestikulierte, und Skaaiats Stimme ertönte im Dekadenraum.

»Ich kenne Sie, Awn. Wenn Sie etwas derart Verrücktes tun wollen, heben Sie es sich für eine Gelegenheit auf, bei der Sie tatsächlich etwas bewirken können.«

Und Leutnantin Awns Antwort: »Wie Eins Amaat Eins der Gnade der Sarrse?«

»Was genau«, fragte Anaander Mianaai, »möchten Sie bewirken?«

»Das«, antwortete Leutnantin Awn mit plötzlich trockenem Mund, »was die Soldatin der Gnade der Sarrse bewirkt hat. Wenn sie nicht getan hätte, was sie tat, hätte sich in Ime nichts geändert.« Während sie sprach, war ich mir sicher, dass ihr bewusst war, was sie da sagte. Dass sie sich auf gefährliches Terrain begab. Ihre nächsten Worten machten deutlich, dass sie es in der Tat wusste. »Sie ist dafür gestorben, ja. Aber sie hat Sie über die ganze Korruption informiert.«

Ich hatte eine Woche Zeit gehabt, um über alles nachzudenken, was Anaander Mianaai zu mir gesagt hatte. Inzwischen hatte ich erkannt, wie die Gouverneurin von Ime die Befugnisse erhalten hatte, um die Station Ime daran zu hindern, ihre Aktivitäten zu melden. Sie konnte diese Zugriffsrechte nur von Anaander Mianaai persönlich erhalten haben. Damit blieb nur noch die Frage, welche Anaander Mianaai es ihr ermöglicht hatte.

»Es war auf allen öffentlichen Nachrichtenkanälen«, stellte Anaander Mianaai fest. »Was mir keineswegs recht war. Oh ja«, antwortete sie auf Leutnantin Awns Überraschung. »Ich hatte das nicht so geplant. Der gesamte Zwischenfall hat Zweifel gesät, wo es zuvor keine gab. Unzufriedenheit und Furcht, wo es zuvor nur Vertrauen in meine Fähigkeit gab, für Gerechtigkeit und Nützlichkeit zu sorgen.