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Mit Gerüchten hätte ich umgehen können, aber Nachrichten auf offiziellen Kanälen? Die gesendet wurden, wo jede Radchaai es sehen und hören konnte! Und ohne die Öffentlichkeit hätte ich vielleicht zugelassen, dass die Rrrrrr die Verräterinnen insgeheim fortschaffen. Stattdessen musste ich um ihre Rückgabe verhandeln, damit ihr Beispiel nicht zu weiterer Meuterei einlädt. Das alles hat mir sehr viel Ärger eingebracht. Und es bringt mir immer noch Ärger ein.«

»Das war mir nicht bewusst«, sagte Leutnantin Awn mit panischem Unterton. »Es war auf allen öffentlichen Kanälen.« Dann verstand sie plötzlich. »Ich habe nichts … ich habe niemandem von Ors erzählt.«

»Außer Skaaiat Awer«, gab die Herrin der Radch zu bedenken. Was jedoch ungerecht war, weil Leutnantin Skaaiat in der Nähe gewesen war, nahe genug, um mit eigenen Augen die Beweise sehen zu können, dass etwas geschehen war. »Nein«, beantwortete Mianaai Leutnantin Awns unausgesprochene Frage, »es ist nicht von öffentlichen Kanälen verbreitet worden. Noch nicht. Und ich verstehe, dass die Vorstellung, Skaaiat Awer könnte eine Verräterin sein, Sie bestürzt. Mir scheint, es fällt Ihnen schwer, das zu glauben.«

Erneut machte es Leutnantin Awn große Mühe, darauf zu antworten. »Das ist korrekt, Herrin«, brachte sie schließlich hervor.

»Ich kann Ihnen die Möglichkeit anbieten«, entgegnete Mianaai, »ihre Unschuld zu beweisen. Und Ihre eigene Situation zu verbessern. Ich kann Einfluss auf Ihre Aufgabenzuteilung nehmen, damit Sie wieder in ihrer Nähe sein können. Sie müssen nur die Klientinnenschaft annehmen, wenn Skaaiat sie Ihnen anbietet — und sie wird sie Ihnen anbieten«, sagte die Herrin der Radch, die zweifellos Leutnantin Awns Bestürzung und Zweifel an ihren Worten bemerkte. »Awer sammelt Personen wie Sie. Emporkömmlinge aus bislang unbedeutenden Häusern, die sich plötzlich in einer geschäftsträchtigen Situation wiederfinden. Übernehmen Sie die Klientinnenschaft, und beobachten Sie.« Und erstatten Sie Bericht, blieb ungesagt.

Die Herrin der Radch versuchte, das Instrument ihrer Feindin zu ihrem eigenen zu machen. Was würde geschehen, wenn es ihr nicht gelang?

Aber was würde geschehen, wenn es ihr gelang? Ganz gleich, welche Entscheidung Leutnantin Awn jetzt traf, sie würde in jedem Fall gegen Anaander Mianaai, die Herrin der Radch, agieren.

Ich hatte gesehen, wie sie sich entschieden hatte, als sie dem Tod gegenüberstand. Sie würde den Weg wählen, der sie am Leben erhielt. Und sie — und ich — konnten später darüber nachdenken, welche Konsequenzen dieser Weg hatte. Dann konnten wir überlegen, welche Möglichkeiten es gab, wenn die Sache nicht mehr von unmittelbarer Dringlichkeit war.

Im Esk-Dekadenraum fragte Leutnantin Dariet beunruhigt: »Schiff, was ist mit Eins Esk los?«

»Herrin«, sagte Leutnantin Awn mit zitternder Stimme, das Gesicht weiterhin am Boden. »Befehlen Sie es mir?«

»Warten Sie, Leutnantin«, sagte ich direkt in Leutnantin Dariets Ohr, weil ich Eins Esk nicht zum Sprechen bringen konnte.

Anaander Mianaai lachte kurz und scharf. Leutnantin Awns Antwort war so gut wie eine offene Weigerung, fast so, als hätte sie mit Niemals geantwortet. Es wäre sinnlos, so etwas befehlen zu wollen.

»Verhören Sie mich, wenn wir Valskaay erreicht haben«, sagte Leutnantin Awn. »Ich fordere es. Ich bin loyal. Genauso wie Skaaiat Awer, ich schwöre es, aber wenn Sie Zweifel an ihr haben, verhören Sie sie ebenfalls.«

Doch das konnte Anaander Mianaai natürlich nicht tun. Bei jedem Verhör würden Zeuginnen anwesend sein. Jede geschickte Fragestellerin — und es hätte keinen Sinn, eine ungeschickte zu beauftragen — würde bald die Tendenz der Fragen verstehen, die Leutnantin Awn oder Leutnantin Skaaiat gestellt wurden. Es wäre viel zu offen, es würden Informationen verbreitet, die diese Mianaai nicht verbreiten wollte.

Anaander Mianaai saß vier Sekunden lang schweigend da. Gelassen.

»Eins Var«, sagte sie, nachdem die vier Sekunden vergangen waren, »erschieß Leutnantin Awn.«

Dieses Mal war ich nicht ein einzelnes fragmentarisches Segment, allein und unsicher, was ich tun sollte, wenn ich einen solchen Befehl erhielt. Ich war ich in meiner Gesamtheit. Für sich genommen hatte Eins Esk größere Sympathien für Leutnantin Awn als ich. Aber Eins Esk war nicht von mir abgespalten. Sie war in diesem Moment sehr ein Teil von mir.

Trotzdem war Eins Esk nur ein kleiner Teil von mir. Und ich hatte schon zuvor Offizierinnen erschossen. Ich hatte sogar auf Befehl meine eigene Kapitänin erschossen. Diese Exekutionen waren zwar erschütternd und unangenehm, aber offenkundig gerechtfertigt gewesen. Die Strafe für Ungehorsam ist der Tod.

Leutnantin Awn war niemals ungehorsam gewesen. Ganz und gar nicht. Und viel schlimmer war, dass ihr Tod die Taten der Feindin von Anaander Mianaai vertuschen sollte. Der Hauptzweck meiner Existenz bestand darin, Anaander Mianaais Feindinnen Widerstand zu leisten.

Doch keine Mianaai war bereit, offen zu agieren. Ich musste dieser Mianaai verheimlichen, dass sie mich bereits für die entgegengesetzte Sache verpflichtet hatte, bis alles bereit war. Ich musste für den Moment gehorchen, als hätte ich keine andere Wahl, als würde ich mir nichts anderes wünschen. Und welche Bedeutung hatte Leutnantin Awn am Ende, im großen Plan? Ihre Eltern und ihre Schwester würden um sie trauern, und sie würden sich vermutlich dafür schämen, dass Leutnantin Awn durch ihren Ungehorsam Schande über sie gebracht hatte. Aber sie würden keine weiteren Fragen stellen. Und wenn sie es doch taten, wäre es nicht gut für sie. Anaander Mianaais Geheimnis würde gewahrt bleiben.

All das dachte ich in den 1,3 Sekunden, die Leutnantin Awn brauchte, um schockiert und entsetzt den Kopf zu heben. Und gleichzeitig sagte das Segment von Eins Var: »Ich bin unbewaffnet, Herrin. Ich werde schätzungsweise zwei Minuten benötigen, um mich mit einer Handwaffe auszustatten.«

Für Leutnantin Awn war es Verrat, das erkannte ich ganz deutlich. Aber sie musste wissen, dass ich keine andere Wahl hatte. »Das ist ungerecht«, sagte sie mit erhobenem Kopf und unsicherer Stimme. »Das ist unanständig. Es wird keinen Nutzen haben.«

»Wer sind Ihre Mitverschwörerinnen?«, fragte Mianaai kalt. »Geben Sie mir ihre Namen, dann schone ich vielleicht Ihr Leben.«

Halb erhoben, die Hände unter den Schultern, blinzelte Leutnantin Awn in völliger Verwirrung, die für Mianaai zweifellos genauso sichtbar war wie für mich. »Verschwörerinnen? Ich habe mich niemals mit irgendjemandem verschworen. Ich habe stets nur Ihnen gedient.«

Oben auf dem Kommandodeck sagte ich in Kapitänin Rubrans Ohr: »Kapitänin, wir haben ein Problem.«

»Mir zu dienen«, sagte Anaander Mianaai, »ist nicht mehr ausreichend. Nicht mehr ausreichend unzweideutig. Welchem mir dienen Sie?«

»W…«, begann Leutnantin Awn, und dann: »D…« Und dann: »Ich verstehe nicht.«

»Welches Problem?«, fragte Kapitänin Rubran, die dabei war, eine Tasse Tee zum Mund zu führen, nur leicht beunruhigt.

»Ich befinde mich im Krieg gegen mich selbst«, sagte Mianaai im Var-Dekadenraum. »Und zwar schon seit fast eintausend Jahren.«

Zu Kapitänin Rubran sagte ich: »Eins Esk muss dringend sediert werden.«

»Im Krieg«, fuhr Anaander Mianaai auf dem Var-Deck fort, »um die Zukunft der Radch.«

Etwas musste für Leutnantin Awn plötzlich klar geworden sein. Ich erkannte scharfen, reinen Zorn in ihr. »Annexionen und Hilfseinheiten, und Personen wie ich werden zum Militär beordert.«

»Ich verstehe Sie nicht, Schiff«, sagte Kapitänin Rubran, deren Stimme gleichmäßig, aber nun doch eindeutig besorgt klang. Sie stellte ihre Teetasse zurück auf den Tisch neben ihr.

»Um den Vertrag mit den Presger«, sagte Mianaai wütend. »Alles Weitere folgte daraus. Ob Sie es wissen oder nicht, Sie sind das Instrument meiner Feindin.«