»Die Herrin der Radch hat Leutnantin Awn erschossen!«, rief ein Segment irgendwo im Korridor hinter mir. »Sie war die ganze Zeit auf dem Var-Deck.«
Das brachte meine Offizierinnen zum Schweigen, einschließlich Leutnantin Dariet, aber nur für eine Sekunde.
»Wenn das wirklich stimmen sollte … aber wenn es stimmt, wird die Herrin der Radch sie nicht ohne Grund erschossen haben.«
Hinter mir hörte ich die Segmente von mir, die noch nicht in den Liftschacht gestiegen waren, zischen und vor Frustration und Wut keuchen. »Sinnlos!«, hörte ich mich zu Leutnantin Dariet sagen, als ich am Ende des Korridors die Tür zum Frachtraum manuell öffnete. »Sie sind genauso schlimm wie Leutnantin Issaaia! Wenigstens wusste Leutnantin Awn, dass sie sie verachtete!«
Ein entrüsteter Schrei, sicherlich von Leutnantin Issaaia, und Dariet sagte: »Sie wissen nicht, wovon Sie reden. Sie funktionieren nicht richtig, Schiff.«
Die Tür glitt auf, und ich konnte nicht mehr bleiben, um den Rest mitzuhören, sondern stürzte in den Frachtraum. Tiefe, regelmäßige Schläge erschütterten das Deck, auf dem ich lief, etwas, von dem ich noch vor wenigen Stunden gedacht hatte, ich würde es nie wieder hören. Mianaai öffnete die Var-Frachträume. Die Hilfseinheiten, die sie auftaute, würden keine Erinnerung an die jüngsten Ereignisse haben, nichts, was ihnen sagte, dass sie dieser Mianaai nicht gehorchen sollten. Und ihre Rüstungen würden nicht außer Funktion sein.
Sie würde sich Zwei, Drei und Vier Var und so viele weitere holen, wie sie in der kurzen Zeit aufwecken konnte, um dann zu versuchen, entweder das zentrale Zugangsdeck oder die Triebwerke zu besetzen. Wahrscheinlich beides. Schließlich konnte sie über Var und alle anderen Frachträume darunter verfügen. Obwohl die Segmente unbeholfen und verwirrt reagieren würden. Sie hatten keine Erinnerung daran, keine Übung darin, separat zu funktionieren, wie es mit mir geschehen war. Aber sie hatten den Vorteil der Überzahl. Ich hatte nur die Segmente, die im Augenblick meiner Fragmentierung wach gewesen waren.
Über mir hatten meine Offizierinnen Zugang zur oberen Hälfte der Frachträume. Und sie hatten keinen Grund, Anaander Mianaai nicht zu gehorchen, keinen Grund zu der Annahme, ich hätte nicht den Verstand verloren. In diesem Moment erklärte ich die Angelegenheit Hundert-Kapitänin Rubran, aber ich war mir nicht sicher, ob sie mir glauben würde, ob sie mich auch nur ansatzweise für zurechnungsfähig hielt.
Um mich herum setzte der gleiche pochende Lärm ein wie unter meinen Füßen. Meine Offiziere holten Esk-Segmente hervor, um sie aufzutauen. Ich erreichte die Luftschleuse, riss den Wandschrank daneben auf, zog die Teile des Vakuumanzugs hervor, die diesem Segment passen würden.
Ich wusste nicht, wie lange ich das zentrale Zugangsdeck oder die Triebwerke halten konnte. Ich wusste nicht, wie verzweifelt Anaander Mianaai war, was sie glaubte, welchen Schaden ich ihr zufügen konnte. Der Hitzeschild der Triebwerke war mit Absicht nur äußerst schwer zu durchbrechen, aber ich wusste, wie es ging. Und die Herrin der Radch wusste es zweifellos ebenfalls.
Und was auch immer zwischen hier und dort geschehen mochte, ich würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sterben, kurz nachdem ich Valskaay erreicht hatte, vielleicht auch schon früher. Aber ich würde nicht sterben, ohne eine Erklärung abgegeben zu haben.
Ich musste ein Shuttle erreichen und besteigen, um es dann manuell abzukoppeln und die Gerechtigkeit der Torren zu verlassen — mich selbst —, damit ich genau zum richtigen Zeitpunkt mit genau der richtigen Geschwindigkeit auf genau dem richtigen Kurs durch die Wand der mich umgebenden Blase aus Normalraum fliegen konnte.
Wenn ich das alles schaffte, würde ich mich in einem System mit einem Tor wiederfinden, vier Sprünge vom Irei-Palast entfernt, einem der Provinzhauptquartiere von Anaander Mianaai. Dann konnte ich ihr erzählen, was geschehen war.
Die Shuttles waren auf dieser Seite des Schiffs angedockt. Die Schleusen und die Abkopplung sollten reibungslos funktionieren, weil es sich ausnahmslos um Ausrüstung handelte, die ich selbst getestet und gewartet hatte. Trotzdem machte ich mir Sorgen, dass irgendetwas schiefgehen könnte. Zumindest war es besser als die Vorstellung, gegen meine eigenen Offizierinnen zu kämpfen. Oder dass der Hitzeschild versagte.
Ich befestigte den Helm. Mein Atem zischte laut in meinen Ohren. Er ging schneller, als er sollte. Ich zwang mich, meine Atmung zu verlangsamen, zu vertiefen. Es war nicht hilfreich, wenn ich hyperventilierte. Ich musste mich beeilen, durfte aber nicht zu hastig vorgehen, um keinen dummen und tödlichen Fehler zu begehen.
Während ich auf die Luftschleusensequenz wartete, spürte ich meine Einsamkeit wie eine undurchdringliche Wand, die mich von allen Seiten erdrückte. Normalerweise waren die ungewöhnlichen Emotionen eines Körpers nebensächlich und ließen sich leicht ausblenden. Doch nun war dies mein einziger Körper, und ich hatte nichts mehr, womit ich meine Sorgen beschwichtigen konnte. Der Rest von mir war ebenfalls hier, überall um mich herum, aber ich hatte keinen Zugang dazu. Und wenn alles gut lief, würde ich schon bald nicht einmal mehr in meiner Nähe sein, ohne zu wissen, wann ich mich vielleicht wieder mit mir verbinden konnte. Und in diesem Moment konnte ich nichts tun außer warten. Und mich an das Gefühl der Waffe in Eins Vars Hand erinnern — meiner Hand. Ich war Eins Esk, aber was war der Unterschied? Der Rückstoß, als Eins Var auf Leutnantin Awn schoss. Die Schuldgefühle und die hilflose Wut, die mich überwältigt hatten, waren in jenem Augenblick gedämpft worden, von dringenderen Notwendigkeiten verdrängt worden, aber jetzt hatte ich Zeit, mich daran zu erinnern. Meine nächsten drei Atemzüge kamen stockend, schluchzend. Für einen Moment war ich auf perverse Weise froh, dass ich mich vor mir selbst versteckt hatte.
Ich musste mich beruhigen. Meinen Geist klären. Ich dachte an die Lieder, die ich kannte. Mein Herz ist ein Fisch, dachte ich, doch als ich den Mund öffnete, um es zu singen, schloss sich meine Kehle. Ich schluckte. Atmete. Dachte an ein anderes Lied.
Die Außentür ging auf. Hätte Mianaai ihr Gerät nicht benutzt, hätten die diensthabenden Offizierinnen gesehen, dass die Schleuse geöffnet worden war, würden Kapitänin Rubran informieren und Mianaai darauf aufmerksam machen. Aber sie hatte es benutzt, also konnte sie nicht wissen, was ich getan hatte. Ich suchte hinter dem Durchgang nach einem Handgriff und zog mich hinaus.
Der Blick in das Innere einer Schleuse gab Menschen oft ein mulmiges Gefühl. Ich hatte damit noch nie Probleme gehabt, aber jetzt, als ich nicht mehr als ein einzelner menschlicher Körper war, stellte ich fest, dass es auf mich die gleiche Wirkung hatte. Schwarz, aber ein Schwarz, das gleichzeitig eine unvorstellbare Tiefe hatte, in die ich fallen könnte, in die ich tatsächlich fiel, und eine erstickende Enge, die bereit war, mich zu nichts zu zerquetschen.
Ich zwang mich, den Blick abzuwenden. Hier draußen gab es keinen Boden, keinen Schwerkraftgenerator, der mich festhielt und mir ein Gefühl für oben und unten gab. Ich bewegte mich von einem Handgriff zum nächsten. Was geschah hinter mir, innerhalb des Schiffs, das nicht mehr mein Körper war?
Ich brauchte sechzehn Minuten, um ein Shuttle zu erreichen, die Notschleuse zu bedienen und eine manuelle Abkopplung durchzuführen. Anfangs widerstand ich dem Wunsch, innezuhalten und zurückzublicken, zu horchen, ob jemand kam, um mich aufzuhalten, auch wenn ich nichts gehört hätte, was von außerhalb meines Helms kam. Nicht mehr als eine Wartungsarbeit, sagte ich mir. Eine Wartungsarbeit außerhalb des Schiffs. Wie du es schon hundertmal zuvor getan hast.