Выбрать главу

Seivarden blickte auf und beobachtete, wie es sich zu einer weiten, flachen Blüte in Perlmutt entfaltete, in deren Zentrum eine Frau stand. Sie trug ein knielanges Gewand aus dem gleichen irisierenden weißen Material mit goldenen und silbernen Intarsien. In einer Hand hielt sie einen menschlichen Schädel, der mit Edelsteinen in Rot, Blau und Gelb besetzt war, und in der anderen ein Messer.

»Das ist wie das andere«, sagte Seivarden mit leidlich interessiertem Tonfall. »Aber es sieht Ihnen nicht so ähnlich.«

»Richtig«, antwortete ich und hockte mich im Schneidersitz vor die Kiste.

»Ist das eine Gerentate-Göttin?«

»Es ist eine, der ich bei meinen Reisen begegnet bin.«

Seivarden stieß einen unverbindlichen Hauchlaut aus. »Wie ist ihr Name?«

Ich sprach eine lange Folge von Silben aus, auf die Seivarden verblüfft reagierte. »Das bedeutet Sie, die der Lilie entsprang. Sie ist die Schöpferin des Universums.« Damit war sie nach Radchaai-Begriffen mit Amaat identisch.

»Ah«, sagte Seivarden in einem Tonfall, der ganz offensichtlich bedeutete, dass sie ebenfalls diese Gleichsetzung vollzogen hatte, dass sie dieser fremdartigen Göttin eine vertraute Zuordnung gegeben und sie sicher in ihr Weltbild eingefügt hatte. »Und die andere?«

»Eine Heilige.«

»Äußerst bemerkenswert, dass sie eine so große Ähnlichkeit mit Ihnen hat.«

»Ja. Obwohl sie nicht die Heilige ist. Das ist der Kopf, den sie hält.«

Seivarden blinzelte, runzelte die Stirn. Das war sehr unradchaaianisch. »Trotzdem.«

Nichts war einfach nur ein Zufall, nicht für die Radchaai. Solche merkwürdigen Fügungen konnten Radchaai auf eine Pilgerreise schicken, sie anregen, bestimmte Göttinnen zu verehren, eingefleischte Angewohnheiten zu ändern. Es waren direkte Botschaften von Amaat. »Ich werde jetzt beten«, sagte ich.

Mit einer Hand machte Seivarden eine Geste der Bestätigung. Ich klappte ein kleines Messer auf, stach mir in den Daumen und ließ das Blut in die goldene Schale tropfen. Ich blickte nicht auf, um Seivardens Reaktion zu sehen — keine Radchaai-Göttin nahm Blut an, und ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, mir vorher die Hände zu waschen. So etwas löste bei Radchaai garantiert ein Stirnrunzeln aus, weil sie es als fremdartig und sogar primitiv einstuften.

Aber Seivarden sagte nichts. Sie saß schweigend einunddreißig Sekunden lang da, während ich die ersten der 322 Namen der Hundert der Weißen Lilie intonierte, bis sie ihre Aufmerksamkeit der Kanne zuwandte und sich daran machte, Tee zuzubereiten.

Seivarden hatte gesagt, dass sie ihren letzten Versuch, mit dem Kef aufzuhören, sechs Monate lang durchgehalten hatte. Es dauerte sieben Monate, um eine Station mit einem Radchaai-Konsulat zu erreichen. Vor der ersten Reiseetappe hatte ich der Flugbegleiterin in Seivardens Hörweite gesagt, dass ich eine Passage für mich und meine Dienerin benötigte. Sie hatte nicht reagiert, das hatte ich genau gesehen. Vielleicht hatte sie es nicht verstanden. Aber ich hatte mit mehr oder weniger verärgerten Vorwürfen gerechnet, wenn wir unter uns waren und sie feststellte, welchen Status sie hatte. Doch sie ging mit keinem Wort darauf ein. Und von nun an wachte ich auf und fand neben mir den fertig zubereiteten Tee vor.

Außerdem ruinierte sie zwei Hemden, als sie versuchte, sie zu waschen, womit mir nur noch eins für einen ganzen Monat blieb, bis wir an der nächsten Station andockten. Die Kapitänin des Schiffs — sie war eine Ki, groß und von rituellen Narben überzogen — ließ auf indirekte, weitschweifige Weise die Bemerkung fallen, dass sie und ihre gesamte Besatzung glaubten, ich hätte Seivarden aus Wohltätigkeit mitgenommen. Was nicht so weit von der Wahrheit entfernt war. Jedenfalls stritt ich es nicht ab. Aber Seivarden besserte sich, und drei Monate später, auf dem nächsten Schiff, versuchte eine andere Passagierin, sie von mir abzuwerben.

Was keineswegs heißt, dass sie plötzlich eine ganz andere Person oder uneingeschränkt respektvoll geworden wäre. An manchen Tagen sprach sie in gereiztem Tonfall zu mir, ohne dass ich einen Grund dafür erkennen konnte, oder brachte Stunden zusammengerollt in ihrer Koje zu, mit dem Gesicht zur Wand, und stand nur auf, um ihre selbstauferlegten Pflichten zu erfüllen. Die ersten paar Male, als ich sie in dieser Stimmung ansprach, erhielt ich nur Schweigen zur Antwort, sodass ich sie von da an in Ruhe ließ.

Das Personal des Radchaai-Konsulats wurde vom Übersetzungsbüro gestellt, und die tadellose weiße Uniform der Konsulatsvertreterin — einschließlich blütenweißer Handschuhe — zeugten davon, dass sie entweder eine Dienerin hatte oder einen großen Teil ihrer Freizeit damit zubrachte, den Eindruck zu erwecken, sie hätte eine. Die geschmackvollen — und kostspielig aussehenden — mit Edelsteinen besetzten Strähnen in ihrem Haar sowie die Namen auf den Gedenknadeln, die überall auf der weißen Jacke funkelten, genauso wie die leichte Verachtung in ihrer Stimme, wenn sie zu mir sprach, deuteten auf Dienerin hin. Wenn auch vermutlich nur eine — schließlich befanden wir uns auf einem abgelegenen Außenposten.

»Als Nicht-Bürgerin auf Besuch sind Ihre Rechtsansprüche eingeschränkt.« Es war offensichtlich eine einstudierte Rede. »Sie müssen eine Kaution hinterlegen, mindestens im Gegenwert von …« Ihre Finger zuckten, als sie den Wechselkurs abrief. »Fünfhundert Shen für jede Woche Ihres Besuchs, pro Person. Wenn die Kosten für Ihre Unterkunft, für Verpflegung und weitere Einkäufe, Gebühren oder Bußgelder die Summe der Kaution übersteigen und Sie die Differenz nicht bezahlen können, sind Sie per Gesetz verpflichtet, eine Arbeit anzunehmen, bis Ihre Schulden beglichen sind. Als Nicht-Bürgerin sind Ihre Ansprüche auf Gerichtsentscheidungen oder Arbeitsplätze eingeschränkt. Wünschen Sie immer noch, in das Radch-Territorium einzureisen?«

»Ja«, sagte ich und legte zwei Scheine im Wert von je einer Million Shen auf den schmalen Schreibtisch zwischen uns.

Ihre Verachtung verflüchtigte sich. Sie setzte sich etwas gerader und bot mir Tee an, gestikulierte verhalten, zuckte wieder mit den Fingern, als sie mit einer anderen Person kommunizierte — ihrer Dienerin, wie sich herausstellte, die etwas gehetzt wirkte und Tee in einer kunstvoll emaillierten Kanne sowie dazu passende Tassen brachte.

Während die Dienerin einschenkte, holte ich meine gefälschten Gerentate-Ausweise hervor und legte sie ebenfalls auf den Schreibtisch.

»Sie müssen auch Identitätsnachweise für Ihre Dienerin vorlegen, Geehrte«, sagte die Konsulatsvertreterin, die nun die Höflichkeit in Person war.

»Meine Dienerin ist eine Radchaai-Bürgerin«, antwortete ich mit einem leichten Lächeln. Mit dem ich der nun folgenden Unannehmlichkeit die Schärfe nehmen wollte. »Aber sie hat ihre Identitätsnachweise und ihre Reisegenehmigung verloren.«

Die Konsulatsvertreterin erstarrte, als sie versuchte, das zu verarbeiten.

»Die geehrte Breq«, sagte Seivarden, die hinter mir stand, in altertümlichem, mühelosem und elegantem Radchaai, »besaß die Großzügigkeit, mich anzustellen und die Kosten für meine Heimreise zu übernehmen.«

Das löste das gelähmte Erstaunen der Konsulatsvertreterin nicht so wirkungsvoll auf, wie es sich Seivarden möglicherweise gewünscht hatte. Ein solcher Akzent passte nicht zu einer Dienerin, ganz zu schweigen von der Dienerin einer Nicht-Bürgerin. Und sie hatte Seivarden weder einen Platz noch Tee angeboten, weil sie sie als zu unbedeutend für derartige Aufmerksamkeiten eingestuft hatte.

»Zweifellos können Sie genetische Informationen beschaffen«, schlug ich vor.

»Ja, natürlich«, antwortete die Konsulatsvertreterin mit einem fröhlichen Lächeln. »Obwohl Ihr Visumsantrag mit Sicherheit bewilligt sein wird, bevor Bürgerin …«