»Danke, Inspektionsleiterin, Ihre Assistentin hat uns bereits Tee serviert«, sagte ich. Inspektionsleiterin Skaaiat warf einen kurzen Blick auf mich und dann auf Seivarden, leicht überrascht, wie ich dachte. Sie hatte hauptsächlich Seivarden angesprochen, weil sie Seivarden für die höherrangige Person von uns beiden hielt. Seivarden zögerte kurz und nahm dann neben mir Platz, die Arme immer noch verschränkt, um die bloßen Hände zu verbergen.
»Ich wollte Sie persönlich treffen, Bürgerin«, sagte Inspektionsleiterin Skaaiat, als sie sich ebenfalls gesetzt hatte. »Ein Privileg meiner Stellung. Es geschieht nicht jeden Tag, dass man einer Person begegnet, die tausend Jahre alt ist.«
Seivarden lächelte gepresst. »In der Tat«, stimmte sie zu.
»Und ich hielt es für unangemessen, Sie am Dock zu verhaften. Obwohl …« Inspektionsleiterin Skaaiat gestikulierte beschwichtigend, wobei die Nadel an ihrer Manschette einmal aufblitzte. »Sie befinden sich in gewissen juristischen Schwierigkeiten, Bürgerin.«
Seivarden entspannte sich ein wenig, ließ die Schultern sinken und lockerte die Kiefermuskeln. Kaum merklich, sofern man sie nicht näher kannte. Skaaiats Akzent und einigermaßen respektvoller Tonfall zeigten Wirkung. »Ich beabsichtige«, gestand Seivarden ein, »ein Gesuch einzureichen.«
»Also gibt es in dieser Angelegenheit einige Fragen zu klären.« Recht gestelzt und förmlich. Eine Frage, die keine Frage war. Aber es kam auch keine Antwort. »Ich kann Sie persönlich zum Büro im Palast bringen, um jegliche Einmischung durch die Sicherheit zu umgehen.« Natürlich konnte sie das. Sie hatte es bereits mit der Sicherheitschefin ausgehandelt.
»Dafür wäre ich dankbar.« Seivarden klang wieder mehr wie sie selbst, wie ich sie im vergangenen Jahr niemals erlebt hatte. »Dürfte ich Sie vielleicht fragen, ob Sie mir behilflich sein könnten, Kontakt zur Hausherrin von Geir aufzunehmen?« Geir hatte vermutlich ein gewisses Maß an Verantwortung gegenüber diesem letzten Mitglied des Hauses, das es übernommen hatte. Sie hasste Geir, das seine Feindin geschluckt hatte — Vendaai, das Haus von Seivarden. Vendaais Beziehungen zu Awer waren nicht besser gewesen als die zu Geir, aber ich vermutete, die Bitte war ein Zeichen dafür, wie verzweifelt und allein Seivarden sich fühlte.
»Ah.« Inspektionsleiterin Skaaiat zuckte leicht zusammen. »Awer und Geir stehen sich nicht mehr so nahe wie einst, Bürgerin. Vor zweihundert Jahren gab es einen Austausch von Erben. Die Geir-Cousine beging Selbstmord.« Der Begriff, den Inspektionsleiterin Skaaiat benutzte, implizierte, dass es sich nicht um genehmigten, medizinisch durchgeführten Suizid handelte, sondern um eine schmutzige, unzulässige Angelegenheit. »Und die Awer-Cousine wurde wahnsinnig und lief davon, um sich irgendwo irgendeiner Sekte anzuschließen.«
Seivarden stieß einen gehauchten, amüsierten Laut aus. »Typisch.«
Inspektionsleiterin Skaaiat hob eine Augenbraue, sagte aber nur in gemäßigtem Tonfalclass="underline" »Der Vorfall hinterließ ungute Gefühle auf beiden Seiten. Also sind meine Beziehungen zu Geir nicht so, wie sie sein könnten, und ich kann nicht sagen, ob ich in der Lage sein werde, Ihnen zu helfen. Und Geirs Verantwortung Ihnen gegenüber könnte … schwierig zu bestimmen sein, obwohl das für Sie möglicherweise nützlich ist, wenn Sie ein Gesuch einreichen.«
Seivarden gestikulierte abweisend — sie hob lediglich einen Ellbogen, da sie die Arme immer noch fest verschränkt hatte. »Es klingt nicht danach, als würde sich die Mühe lohnen.«
Inspektionsleiterin Skaaiat antworte mit einer Geste der Ambivalenz. »Sie werden hier auf jeden Fall Essen und Unterkunft erhalten, Bürgerin.« Dann wandte sie sich an mich. »Und nun zu Ihnen, Geehrte. Sie sind als Touristin hier?«
»Ja.« Ich lächelte und hoffte, dass ich einer Touristin von der Gerentate sehr ähnlich sah.
»Sie sind einen sehr weiten Weg gekommen.« Inspektionsleiterin Skaaiat lächelte höflich, als wäre diese Feststellung müßig.
»Ich war sehr lange auf Reisen.« Natürlich war sie — und damit auch andere — sehr neugierig auf mich. Ich war in Gesellschaft von Seivarden eingetroffen. Die meisten Leute hier hatten ihren Namen vermutlich noch nie gehört, aber jene, die ihn kannten, mussten von der erstaunlichen Unwahrscheinlichkeit fasziniert sein, dass sie nach tausend Jahren wieder aufgefunden worden war, ganz zu schweigen von der Verbindung zu einem berüchtigten Ereignis wie Garsedd.
Inspektionsleiterin Skaaiat lächelte immer noch freundlich und fragte: »Suchen Sie hier etwas? Gehen Sie etwas aus dem Weg? Oder reisen Sie einfach nur gern?«
Ich antwortete mit einer mehrdeutigen Geste. »Ich schätze, ich reise gern.«
Inspektionsleiterin Skaaiat verengte leicht die Augenlider, als sie meinen Tonfall hörte, und die Muskeln um ihren Mund spannten sich kaum merklich an. Wie es schien, glaubte sie, dass ich ihr etwas verheimlichte, und jetzt war sie interessiert, erheblich neugieriger als zuvor.
Für einen kurzen Moment fragte ich mich, warum ich so geantwortet hatte. Und erkannte, dass die Anwesenheit von Inspektionsleiterin Skaaiat äußerst gefährlich für mich war — nicht weil sie mich möglicherweise wiedererkannte, sondern weil ich sie wiedererkannt hatte. Weil sie am Leben war und Leutnantin Awn nicht. Weil alle Personen von ihrem Stand Leutnantin Awn im Stich gelassen hatten, ebenso wie ich, und wenn die damalige Leutnantin Skaaiat diesem Test unterzogen worden wäre, hätte auch sie ihn nicht bestanden. Leutnantin Awn selbst hatte das sehr wohl gewusst.
Ich war in Gefahr, mein Verhalten durch meine Emotionen beeinflussen zu lassen. Es war bereits geschehen, diesen Einfluss gab es immer. Aber bis jetzt war ich nie zuvor mit Skaaiat Awer konfrontiert worden.
»Meine Antwort ist zweideutig, ich weiß«, sagte ich und machte die gleiche beschwichtigende Geste, die auch Inspektionsleiterin Skaaiat benutzt hatte. »Ich habe meinen Wunsch zu reisen niemals hinterfragt. Als ich ein Baby war, sagte meine Großmutter, sie hätte schon an meinen allerersten Schritten erkannt, dass ich dazu geboren war, auf Reisen zu gehen. Sie sagte es immer wieder. Ich habe es wohl selbst immer schon geglaubt.«
Inspektionsleiterin Skaaiat gestikulierte Bestätigung. »Jedenfalls wäre es eine Schande, Ihre Großmutter zu enttäuschen. Ihr Radchaai ist sehr gut.«
»Meine Großmutter hat immer wieder gesagt, dass ich lieber Sprachen studieren sollte.«
Inspektionsleiterin Skaaiat lachte. Fast so, wie ich mich aus Ors an sie erinnerte, auch wenn die Spur von Schwermut immer noch vorhanden war. »Verzeihen Sie mir, Geehrte, aber besitzen Sie Handschuhe?«
»Ich wollte welche kaufen, bevor wir an Bord gingen, aber ich beschloss, noch zu warten und die richtigen zu kaufen. Ich hatte gehofft, man würde mir eine Ankunft mit bloßen Händen vergeben, weil ich eine unzivilisierte Fremde bin.«
»Für beide Überlegungen ließen sich Argumente finden«, sagte Inspektionsleiterin Skaaiat immer noch lächelnd. Einen Hauch entspannter als noch vor wenigen Augenblicken. »Dennoch.« Sie wurde wieder ernst. »Sie sprechen die Sprache sehr gut, aber ich weiß nicht, wie viel Sie von anderen Dingen verstehen.«
Ich hob eine Augenbraue. »Welche Dinge?«
»Ich möchte nicht taktlos erscheinen, Geehrte. Aber Bürgerin Seivarden scheint über keinerlei Geldmittel zu verfügen.« Neben mir spannte sich Seivarden wieder an und schluckte etwas hinunter, dass sie hatte sagen wollen. »Eltern«, fuhr Inspektionsleiterin Skaaiat fort, »kaufen Kleidung für ihre Kinder. Der Tempel gibt seinen Angestellten Handschuhe — den Blumen- und Wasserträgerinnen und so weiter. Das ist in Ordnung, weil jede der Göttin gegenüber zur Loyalität verpflichtet ist. Und ich weiß aus Ihrem Einreiseantrag, dass Sie Bürgerin Seivarden als Ihre Dienerin beschäftigen, aber …«
»Ah.« Jetzt verstand ich sie. »Wenn ich Handschuhe für Bürgerin Seivarden kaufen würde — die sie ganz klar benötigt —, würde es aussehen, als hätte ich ihr eine Klientinnenschaft angeboten.«