»So ungefähr«, stimmte Inspektionsleiterin Skaaiat zu. »Was in Ordnung wäre, wenn das ohnehin Ihre Absicht wäre. Aber ich glaube nicht, dass es in der Gerentate so abläuft. Und offen gesagt …« Sie zögerte, da sie sich anscheinend wieder in einen heiklen Bereich begab.
»Und offen gesagt«, vervollständige ich den Satz für sie, »befindet sie sich in einer schwierigen juristischen Situation, bei der ihr die Verbindung zu einer Fremden möglicherweise nicht von Hilfe ist.« Für gewöhnlich war meine Miene ohne jeden Ausdruck. Ich konnte mühelos meine Verärgerung aus meinem Tonfall heraushalten. Ich konnte mit Inspektionsleiterin Skaaiat sprechen, als wäre sie in keiner Weise mit Leutnantin Awn verbunden, als hätte Leutnantin Awn keine Sorgen oder Hoffnungen oder Befürchtungen wegen einer möglichen Patronage gehabt. »Selbst wenn sie reich ist.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich es ganz genauso ausdrücken würde«, begann Inspektionsleiterin Skaaiat.
»Ich werde ihr jetzt einfach etwas Geld geben«, sagte ich. »Das müsste genügen.«
»Nein.« Seivardens Tonfall war scharf. Wütend. »Ich brauche kein Geld. Jede Bürgerin hat Anspruch auf die notwendigsten Dinge, und Kleidung ist ein Grundbedürfnis. Ich werde bekommen, was ich brauche.« Als Inspektionsleiterin Skaaiat sie überrascht und fragend ansah, fügte Seivarden hinzu: »Breq hat gute Gründe, dass sie mir zuvor kein Geld gab.«
Inspektionsleiterin Skaaiat musste wissen, was das wahrscheinlich bedeutete. »Bürgerin, ich möchte Ihnen keine Vorträge halten«, sagte sie. »Aber wenn das der Fall ist, sollten Sie sich vielleicht von der Sicherheit in die Krankenstation bringen lassen. Wobei ich verstehe, dass Sie es nur widerstrebend tun würden.« Es war nicht leicht, das Thema Umerziehung auf höfliche Weise anzusprechen. »Aber es könnte Ihnen wirklich das Leben erleichtern. Was häufig der Fall ist.«
Noch vor einem Jahr hätte ich erwartet, dass Seivarden bei einem solchen Vorschlag die Beherrschung verlor. Aber seit dieser Zeit hatte sich etwas in ihr verändert. Sie sagte nur mit leicht gereiztem Unterton: »Nein.«
Inspektionsleiterin Skaaiat sah mich an. Ich hob eine Augenbraue und eine Schulter, als wollte ich sagen: So ist sie.
»Breq war sehr geduldig mit mir«, sagte Seivarden zu meiner großen Verblüffung. »Und sehr großzügig.« Sie sah mich an. »Ich brauche kein Geld.«
»Wie Sie meinen«, sagte ich.
Inspektionsleiterin Skaaiat hatte den Wortwechsel aufmerksam und mit leichtem Stirnrunzeln verfolgt. Neugierig, wie mir schien, nicht nur darauf, wer und was ich war, sondern auch, was ich für Seivarden bedeutete. »Nun gut«, sagte sie schließlich, »dann lassen Sie sich jetzt von mir in den Palast führen. Geehrte Breq Ghaiad, ich lasse Ihr Gepäck in Ihre Unterkunft bringen.« Sie stand auf.
Ich erhob mich ebenfalls, genauso wie Seivarden an meiner Seite. Wir folgten Inspektionsleiterin Skaaiat ins äußere Büro, das leer war. Daos Ceit (Inspektionsgehilfin Ceit, musste ich mir einprägen) hatte zu dieser Uhrzeit vermutlich bereits Feierabend gemacht. Inspektionsleiterin Skaaiat führte uns nicht durch die vorderen Büros, sondern durch einen hinteren Korridor, durch eine Tür, die sich ohne wahrnehmbares Signal von ihr öffnete. Also konnte es nur die Station gewesen sein, die KI, die hier den Betrieb aufrechterhielt, die die Station war und sehr genau auf die Inspektionsleiterin ihrer Docks achtgab.
»Alles in Ordnung mit Ihnen, Breq?«, fragte Seivarden und sah mich verwirrt und besorgt an.
»Ja, alles gut«, log ich. »Nur ein wenig müde. Es war ein langer Tag.« Ich war mir sicher, dass sich mein Gesichtsausdruck nicht verändert hatte, aber Seivarden schien irgendetwas bemerkt zu haben.
Hinter der Tür begann ein weiterer Korridor, dann kamen mehrere Lifte, von denen sich einer für uns öffnete, wieder schloss und ohne Signal in Bewegung setzte. Die Station wusste, wohin Inspektionsleiterin Skaaiat unterwegs war — zur Hauptpromenade, wie sich herausstellte.
Die Lifttüren öffneten sich auf einen weiten und überwältigenden Anblick — eine Prachtstraße, die mit schwarzen, weiß geäderten Steinen gepflastert war, siebenhundert Meter lang und fünfundzwanzig breit, darüber das Dach in sechzig Metern Höhe. Genau vor uns erhob sich der Tempel. Die Treppe war keine richtige Treppe, sondern ein Bereich, der in der Pflasterung durch rote, grüne und blaue Steine markiert war, weil Handlungen auf der Treppe vor dem Tempel eine potenzielle juristische Bedeutung hatten. Der Eingang selbst war vierzig Meter hoch und acht breit, eingerahmt von den Bildern mehrerer Hundert Göttinnen, viele in menschlicher Gestalt, einige nicht, eine einzige Farborgie. Kurz hinter dem Eingang befand sich ein Becken, in dem sich die Besucher die Hände waschen konnten, und dahinter Behälter mit Schnittblumen, ein Meer aus Gelb, Orange und Rot, sowie Körbe mit Weihrauch, den man als Opfergabe käuflich erwerben konnte. Zu beiden Seiten der Promenade gab es Geschäfte, Büros und Balkone, von denen sich blühende Ranken herabwanden. Dazu Bänke und Pflanzen und selbst zu dieser Stunde, wenn die meisten Radchaai beim Abendessen waren, liefen oder standen Hunderte von Bürgerinnen herum, in Gespräche vertieft, uniformiert (im Weiß des Übersetzungsbüros, im Hellbraun der Stationssicherheit, im Dunkelbraun des Militärs, im Grün des Gartenbaus, im Hellblau der Verwaltung) oder auch in Zivil, alle mit funkelnden Edelsteinen besetzt, allesamt wahrlich zivilisiert. Ich sah, wie eine Hilfseinheit ihrer Kapitänin in einen überfüllten Teeladen folgte, und fragte mich, von welchem Schiff sie kamen. Welche Schiffe hier waren. Aber danach konnte ich nicht fragen, weil es nicht das war, wofür sich Breq von der Gerentate interessieren würde.
Plötzlich sah ich sie für einen Moment durch Nicht-Radchaai-Augen, eine wirbelnde Menge aus Leuten von irritierend uneindeutigem Geschlecht. Ich sah all die Merkmale, die für Nicht-Radchaai Geschlechtsmarkierungen darstellten — doch zu meiner Verärgerung niemals in gleicher Kombination. Kurzes oder langes Haar, offen (über einen Rücken fallend oder in einem dichten Nimbus gelockt) oder zusammengebunden (zu Zöpfen geflochten, mit Nadeln festgesteckt, von Bändern zusammengehalten). Fette oder dünne Körper, Gesichter mit zarten oder rauen Zügen, mit Kosmetik oder ohne. Eine Überfülle von Farben, die an anderen Orten bestimmte Geschlechter markiert hätten. All das war wahllos kombiniert mit Körpern, die sich an Brust und Hüften wölbten oder auch nicht, mit Bewegungen, die verschiedene Nicht-Radchaai als feminin bezeichnen würden, und im nächsten Moment mit maskulinen. Zwanzig Jahre Gewohnheit holten mich ein, und für einen Augenblick verzweifelte ich daran, die richtigen Pronomen zu wählen, die richtigen Benennungen und Anredeformen. Aber darüber musste ich mir hier keine Gedanken machen. Ich konnte diese Sorge vergessen, eine kleine, aber ärgerliche Bürde, die ich die ganze Zeit mit mir herumgetragen hatte. Ich war zu Hause.
Dies war ein Zuhause, das für mich niemals ein Zuhause gewesen war. Ich hatte mein Leben mit Annexionen verbracht, in Stationen, die gerade zu einem Ort wie diesem wurden, war weitergereist, bevor es so weit gekommen war, um irgendwo anders wieder ganz von vorn zu beginnen. Dies war die Art von Ort, von dem meine Offizierinnen kamen und zu dem sie anschließend versetzt wurden. Ein Ort, an dem ich selbst nie gewesen war, und dennoch war er mir völlig vertraut. In gewisser Weise waren Orte wie diese der eigentliche Grund für meine Existenz.
»So ist es ein etwas längerer Fußweg«, sagte Inspektionsleiterin Skaaiat, »aber es wirkt wesentlich dramatischer.«
»So ist es«, stimmte ich ihr zu.
»Wozu all die Jacken?«, fragte Seivarden. »Das hat mich schon beim letzten Mal gestört. Obwohl damals die Mäntel knielang getragen wurden. Hier sieht es aus, als wären es entweder Jacken oder Mäntel, die bis zum Boden reichen. Und die Kragen sehen einfach falsch aus.«