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Die Soldatin gestikulierte eine respektvolle Entschuldigung. »Die Omen des heutigen Morgens deuteten an, dass der Kapitänin eine schicksalhafte Begegnung bevorsteht. Als sie bemerkte, wie Sie Ihre Opfergaben darbrachten, war sie davon überzeugt, dass Sie damit gemeint waren.«

Eine Fremde im Tempel, zumal in einem so großen Gebäude wie diesem, war kaum eine schicksalhafte Begegnung. Ich fühlte mich leicht gekränkt, dass die Kapitänin nicht einmal versucht hatte, sich etwas mehr Mühe zu geben. Schon ein paar Sekunden des Nachdenkens hätten sie auf etwas Besseres bringen müssen. »Wie lautet die Nachricht, Bürgerin?«

»Die Kapitänin pflegt am Nachmittag Tee zu trinken«, sagte die Soldatin ausdruckslos und höflich und nannte einen Laden, der nicht weit von der Promenade entfernt war. »Sie würde sich geehrt fühlen, wenn Sie ihr dabei Gesellschaft leisten würden.«

Zeit und Ort der Verabredung deuteten darauf hin, dass dieses Treffen eher eine Zurschaustellung von Einfluss und Verbindungen sein sollte, bei der vorgeblich inoffizielle Geschäfte abgeschlossen wurden.

Kapitänin Vel hatte keine geschäftliche Beziehung zu mir. Und sie würde keinen Vorteil erringen, wenn sie mit mir gesehen wurde. »Wenn die Kapitänin sich mit Bürgerin Seivarden treffen möchte …«, begann ich.

»Es war nicht Kapitänin Seivarden, der Kapitänin Vel im Tempel begegnete«, erwiderte die Soldatin, wieder in entschuldigendem Tonfall. Zweifellos war ihr bewusst, wie durchsichtig ihr Auftrag war. »Aber wenn Sie Kapitänin Seivarden mitbringen möchten, würde sich Kapitänin Vel selbstverständlich geehrt fühlen, sie kennenzulernen.«

Selbstverständlich. Und obwohl sie ohne Haus und bankrott war, würde Seivarden eine persönliche Einladung von einer Person erhalten, die sie kannte, und keine Nachricht über ein Stationssystem oder eine beinahe beleidigende Einladung von Kapitänin Vels Botin. Aber es war genau das, was ich gewollt hatte. »Ich kann natürlich nicht für Bürgerin Seivarden sprechen«, sagte ich. »Bitte danken Sie Kapitänin Vel für die Einladung.« Die Soldatin verbeugte sich und ging.

Abseits der Promenade fand ich ein Geschäft, das Kartons mit etwas verkaufte, das lediglich als »Mittagessen« beworben wurde — wieder Fisch, mit Früchten gedünstet. Ich kehrte damit zu meinem Zimmer zurück und setzte mich an den Tisch, um zu essen, wobei ich über die Konsole an der Wand nachdachte, die eine sichtbare Verbindung zur Station darstellte.

Die Station war so intelligent wie ich, als ich noch ein Schiff gewesen war. Jünger. Weniger als halb so alt wie ich. Dennoch nicht zu unterschätzen, auf gar keinen Fall. Wenn ich enttarnt wurde, dann mit großer Wahrscheinlichkeit durch die Station.

Die Station hatte meine Hilfseinheiten-Implantate nicht bemerkt, die ich allesamt deaktiviert und so gut wie möglich verborgen hatte. Hätte ich es nicht getan, wäre ich längst verhaftet worden. Aber die Station konnte zumindest die Grundwerte meines emotionalen Zustands sehen. Konnte mit genügend Informationen über mich erkennen, ob ich log. Und beobachtete mich zweifellos sehr genau.

Aber emotionale Zustände waren aus der Sicht der Station, aus meiner Sicht, als ich die Gerechtigkeit der Torren gewesen war, lediglich Ansammlungen von medizinischen Daten, die ohne Kontext bedeutungslos waren. Wenn ich in meiner gegenwärtigen trüben Stimmung einfach nur von Bord eines Schiffes gegangen wäre, würde die Station meine Gefühle erkennen, aber nicht verstehen, und könnte auch keine Schlussfolgerung aus dieser Beobachtung ziehen. Doch je länger ich mich hier aufhielt, je mehr die Station sah, desto mehr Daten hätte sie zur Verfügung. Dann konnte sie selbst einen Kontext rekonstruieren, sich ein eigenes Bild von mir machen. Und dann wäre sie in der Lage, es mit dem Zustand zu vergleichen, in dem ich mich ihrer Einschätzung nach befinden sollte.

Das konnte gefährlich werden, wenn diese beiden Dinge nicht zusammenpassten. Ich schluckte meinen letzten Bissen hinunter und blickte zur Konsole. »Hallo«, sagte ich. »Ich meine die KI, die mich beobachtet.«

»Geehrte Ghaiad Breq«, sagte die Station mit ruhiger Stimme durch die Konsole. »Hallo. Ich werde gewöhnlich als Station angesprochen.«

»Also Station.« Ich nahm einen weiteren Bissen Fisch und Obst. »Also beobachten Sie mich tatsächlich.« Ich war ehrlich besorgt über die Überwachung. Das würde ich nicht vor der Station verbergen können.

»Ich beobachte jede Person, Geehrte. Haben Sie immer noch Probleme mit Ihrem Bein?« Die hatte ich, und zweifellos konnte die Station sehen, wie ich es schonte, bemerkte es wahrscheinlich sogar an meiner Sitzhaltung. »Unsere medizinischen Einrichtungen sind ausgezeichnet. Ich bin mir sicher, dass eine unserer Ärztinnen eine Lösung für Ihr Problem finden wird.«

Eine besorgniserregende Aussicht. Aber ich konnte meine Bedenken völlig verständlich erscheinen lassen. »Nein, vielen Dank. Ich wurde vor den medizinischen Einrichtungen der Radchaai gewarnt. Ich würde lieber ein gewisses Unwohlsein ertragen und die bleiben, die ich bin.«

Einen Moment lang Stille. Dann fragte die Station: »Meinen Sie die Eignungsprüfungen? Oder die Umerziehung? Nichts davon würde etwas an dem ändern, was Sie sind. Und für beides sind Sie nicht qualifiziert, das kann ich Ihnen versichern.«

»Trotzdem.« Ich legte das Besteck zurück. »Wo ich herkomme, haben wir ein Sprichwort: Macht benötigt weder Erlaubnis noch Vergebung.«

»Ich bin nie zuvor einer Person von der Gerentate begegnet«, sagte die Station. Darauf hatte ich mich natürlich verlassen. »Ich vermute, Ihre irrtümliche Ansicht ist verständlich. Fremde haben oft keine Vorstellung davon, was die Radchaai wirklich sind.«

»Ist Ihnen bewusst, was Sie gerade gesagt haben? Genau genommen, dass Unzivilisierte nichts von Zivilisation verstehen. Ist Ihnen bewusst, dass sehr viele Leute außerhalb des Radch-Territoriums sich als zivilisiert betrachten?« Dieser Satz war auf Radchaai fast unmöglich, ein Widerspruch in sich.

Ich wartete auf ein Das habe ich nicht gemeint, aber es kam nicht. Stattdessen sagte die Station: »Wären Sie auch hierhergekommen, wenn Bürgerin Seivarden nicht gewesen wäre?«

»Möglicherweise«, antwortete ich im Bewusstsein, dass ich die Station nicht unverblümt belügen konnte, nicht während sie mich aufmerksam beobachtete. Und im Bewusstsein, dass jetzt jede Wut oder Verärgerung — oder auch nur eine gewisse Vorsicht gegenüber Amtsinhaberinnen der Radchaai — auf meine grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich der Radch zurückgeführt würden. »Gibt es an diesem sehr zivilisierten Ort irgendwelche Musik?«

»Ja«, antwortete die Station. »Obwohl ich nicht glaube, dass ich Musik von der Gerentate habe.«

»Wenn ich nur Musik von der Gerentate hören wollte«, sagte ich leicht verärgert, »hätte ich mich niemals von dort fortbegeben.«

Das schien die Station nicht aus der Fassung zu bringen. »Würden Sie lieber ausgehen oder in Ihrer Unterkunft bleiben?«

Ich wollte bleiben. Die Station rief ein Unterhaltungsprogramm für mich auf, aus diesem Jahr, aber angenehm vertraut klingend. Ein Stück über eine junge Frau von bescheidener Herkunft und mit der Hoffnung, die Klientin eines renommierteren Hauses zu werden. Eine eifersüchtige Rivalin, die ihre Bemühungen untergräbt und die avisierte Patronin über ihr wahres, edles Wesen täuscht. Endlich die Anerkennung der überragenden Tugend der Heldin, ihre Loyalität selbst in den schwersten Prüfungen, obwohl es noch gar keine vertragliche Bindung gibt, und der Niedergang ihrer Rivalin, gipfelnd im lang ersehnten Klientinnenvertrag und zehnminütigem triumphierendem Gesang und Tanz, das letzte von elf solchen Zwischenspielen in vier einzelnen Episoden. Das Werk war relativ kurz, denn andere liefen über mehrere Dutzend Episoden, die sich zu Tagen oder gar Wochen summierten. Das Ganze war anspruchslos, aber die Lieder waren nett und verbesserten meine Stimmung beträchtlich.