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Ich hatte nichts Dringendes zu tun, bis es etwas Neues zu Seivardens Gesuch gab, und wenn Seivardens Bitte um Audienz, bei der ich sie begleiten sollte, stattgegeben wurde, würde das auf eine weitere, noch längere Wartezeit hinauslaufen. Ich stand auf, strich meine neuen Hosen glatt, zog Schuhe und Jacke an. »Station«, sagte ich. »Wissen Sie, wo ich die Bürgerin Seivarden Vendaai finde?«

»Die Bürgerin Seivarden Vendaai«, antwortete die Station mit ihrer stets gleichmäßigen Stimme aus der Konsole, »befindet sich im Sicherheitsgewahrsam auf Unterebene neun.«

»Wie bitte?«

»Es gab einen Kampf«, sagte die Station. »Normalerweise hätte der Sicherheitsdienst ihre Familie kontaktiert, aber sie hat hier keine.«

Natürlich gehörte ich nicht zu ihrer Familie. Und sie hätte mich anrufen können, wenn sie etwas von mir gewollt hätte. Trotzdem. »Können Sie mich zum Sicherheitsdienst auf Unterebene neun führen, bitte?«

»Selbstverständlich, Geehrte.«

Das Sicherheitsbüro auf Unterebene neun war winzig, eigentlich nicht mehr als eine Konsole, ein paar Stühle, ein Tisch mit nicht zusammenpassendem Teegeschirr und ein paar Lagerschränke. Seivarden saß auf einer Bank an der Rückwand. Sie trug graue Handschuhe und eine schlecht sitzende Jacke und Hosen aus einem steifen, groben Stoff, ein Kleidungsstück, das nicht genäht, sondern auf Abruf in Form gepresst wurde, wahrscheinlich in einer vorgegebenen Auswahl an Größen. Als ich ein Schiff gewesen war, waren meine eigenen Uniformen auf diese Weise hergestellt worden, aber sie hatten besser ausgesehen. Natürlich hatte ich für jede die richtige Größe bestimmt, was damals eine einfache Sache für mich gewesen war.

Die Vorderseite von Seivardens grauer Jacke war mit Blut bespritzt, und ein Handschuh war damit getränkt. Sie hatte verkrustetes Blut an der Oberlippe, und die kleine durchsichtige Hülle eines Korrektivs steckte auf ihrem Nasenrücken. Ein weiteres Korrektiv lag über einem blauen Fleck, der sich auf einer Wange bildete. Sie starrte stumpf geradeaus, ohne zu mir oder zur Sicherheitsoffizierin aufzublicken, die mich hereingelassen hatte. »Hier ist Ihre Freundin, Bürgerin«, sagte die Sicherheitsoffizierin.

Seivarden runzelte die Stirn. Blickte auf, schaute sich im kleinen Zimmer um. Dann sah sie mich genauer an. »Breq? Bei Aatrs Titten, Sie sind es. Sie sehen …« Sie blinzelte. Öffnete den Mund, um den Satz zu vervollständigen, hielt erneut inne. Nahm einen weiteren schweren Atemzug. »Anders«, sagte sie schließlich. »Sie sehen wirklich ganz anders aus.«

»Ich habe nur neue Kleidung gekauft. Was ist mit Ihnen geschehen?«

»Es gab einen Kampf«, sagte Seivarden.

»Und der ist einfach so von selbst passiert, oder?«

»Nein«, räumte sie ein. »Mir wurde ein Quartier zum Schlafen zugeteilt, aber dort wohnte bereits jemand. Ich habe versucht, mit ihr zu reden, aber ich konnte sie kaum verstehen.«

»Wo haben Sie letzte Nacht geschlafen?«, fragte ich.

Sie blickte auf den Boden. »Ich bin zurechtgekommen.« Blickte erneut auf, zu mir, zur Sicherheitsoffizierin neben mir. »Aber es war klar, dass ich nicht allzu lange zurechtkommen würde.«

»Sie hätten zu uns kommen sollen, Bürgerin«, sagte die Sicherheitsoffizierin. »Jetzt haben Sie eine Verwarnung in Ihrer Akte. So etwas können Sie nicht gebrauchen.«

»Und ihre Gegnerin?«, fragte ich.

Die Sicherheitsoffizierin machte eine verneinende Geste. Danach sollte ich nicht fragen.

»Ich bin nicht besonders gut darin, allein zurechtzukommen, nicht wahr?«, sagte Seivarden betrübt.

Trotz Skaaiat Awers Missbilligung kaufte ich Seivarden neue Handschuhe und eine neue Jacke, dunkelgrün, ebenfalls aus der Strangpresse, aber wenigstens passte sie besser, und die höhere Qualität war nicht zu übersehen. Die grauen Sachen ließen sich nicht mehr reinigen, und ich wusste, dass die Versorgungsstelle nicht so schnell Ersatz zur Verfügung stellen würde. Als Seivarden sie angezogen und die alte Kleidung zum Recycling gegeben hatte, sagte ich: »Haben Sie schon etwas gegessen? Ich hatte vor, Sie zu einer Abendmahlzeit einzuladen, als die Station mir sagte, wo Sie sind.« Sie wusch sich das Gesicht und sah nun mehr oder weniger vorzeigbar aus, abgesehen vom blauen Fleck unter dem Korrektiv auf ihrer Wange.

»Ich habe keinen Hunger«, sagte sie. Etwas huschte über ihr Gesicht. Reue? Verärgerung? Ich konnte es nicht zuordnen. Sie verschränkte die Arme und löste sie schnell wieder voneinander, eine Geste, die ich seit Monaten nicht an ihr beobachtet hatte.

»Kann ich Ihnen vielleicht Tee anbieten, während ich esse?«

»Ich würde liebend gern Tee trinken«, sagte sie mit emphatischer Aufrichtigkeit. Ich erinnerte mich daran, dass sie kein Geld hatte, dass sie sich geweigert hatte, etwas von mir anzunehmen. Der ganze Tee, den wir dabei hatten, befand sich in meinem Gepäck, und sie hatte nichts davon mitgenommen, als wir uns am Vorabend getrennt hatten. Und Tee war natürlich ein Luxusartikel. Der eigentlich alles andere als Luxus war. Jedenfalls nicht nach Seivardens Maßstäben. Was vermutlich genauso für alle Radchaai galt.

Wir suchten uns einen Teeladen, und ich kaufte etwas, das in Algenblätter eingewickelt war, sowie etwas Obst und Tee, und damit setzten wir uns an einen Tisch in einer Ecke. »Und Sie wollen wirklich nichts essen?«, fragte ich. »Vielleicht Obst?«

Sie täuschte Desinteresse am Obst vor und nahm sich dann doch ein Stück. »Ich hoffe, Sie hatten einen besseren Tag als ich.«

»Wahrscheinlich.« Ich wartete einen Moment, um zu sehen, ob sie über den Vorfall sprechen wollte, aber sie sagte nichts, sondern wartete nur, dass ich weiterredete. »Ich war heute früh im Tempel. Und lief dort einer Schiffskapitänin über den Weg, die mich recht unhöflich anstarrte und später eine Soldatin schickte, die mir eine Einladung zum Tee überbrachte.«

»Eine Soldatin.« Seivarden bemerkte, dass sie wieder die Arme verschränkt hatte, öffnete sie, hob ihre Teetasse auf, stellte sie wieder ab. »Eine Hilfseinheit?«

»Ein Mensch. Zumindest bin ich mir ziemlich sicher.«

Seivarden hob kurz eine Augenbraue. »Sie sollten nicht hingehen. Die Kapitänin hätte Sie persönlich einladen sollen. Sie haben zugesagt, nicht wahr?«

»Ich habe nicht abgesagt.« Drei lachende Radchaai betraten den Teeladen. Alle trugen die dunkelblauen Uniformen der Dockverwaltung. Eine von ihnen war Daos Ceit, die Assistentin von Inspektionsleiterin Skaaiat. Sie schien mich nicht zu bemerken. »Ich glaube, dass es bei dieser Einladung gar nicht um mich geht. Ich glaube, sie möchte, dass ich Sie mit ihr bekanntmache.«

»Aber …« Sie runzelte die Stirn. Blickte auf die Teetasse zwischen den Fingern ihres grünen Handschuhs. Strich sich mit der anderen Hand über die neue Jacke. »Wie ist ihr Name?«

»Vel Osck.«

»Osck. Nie gehört.« Sie nahm einen weiteren Schluck Tee. Daos Ceit und ihre Freundinnen kauften Tee und Gebäck, setzten sich an einen Tisch auf der anderen Seite des Raums und unterhielten sich angeregt. »Warum will sie sich mit mir treffen?«

Ich hob ungläubig eine Augenbraue. »Sie sind diejenige, die glaubt, jedes unwahrscheinliche Ereignis sei eine göttliche Botschaft«, gab ich zu bedenken. »Sie waren tausend Jahre lang verschollen, wurden zufällig wiedergefunden, verschwanden erneut und tauchten dann gemeinsam mit einer reichen Fremden bei einem Palast auf. Und Sie wundern sich, wenn das alles Aufmerksamkeit erregt?« Sie machte eine mehrdeutige Geste. »Als funktionierendes Haus existiert Vendaai nicht mehr. Sie müssen sich irgendwie etablieren.«

Für einen kurzen Moment wirkte sie so bestürzt, dass ich dachte, meine Worte hätten sie auf irgendeine Weise beleidigt. Aber dann schien sie sich wieder zu fassen. »Wenn Kapitänin Vel an meinem Wohlwollen interessiert ist oder ihr irgendetwas an meiner Meinung liegt, hat sie keinen guten Anfang gemacht, als sie Sie beleidigte.« Hinter diesen Worten versteckte sich ihre alte Arroganz, ein erstaunlicher Unterschied zum Trübsinn, den sie bis jetzt kaum verhohlen hatte.