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»Was ist mit dieser Inspektionsleiterin?«, fragte ich. »Skaaiat, nicht wahr? Sie wirkte recht höflich. Und Sie schienen zu wissen, wer sie ist.«

»Alle Awers wirken recht höflich«, sagte Seivarden angewidert. Über ihre Schulter hinweg beobachtete ich, wie Daos Ceit über etwas lachte, was eine ihrer Begleiterinnen gesagt hatte. »Zu Anfang wirken sie völlig normal«, fuhr Seivarden fort, »doch dann haben sie plötzlich Visionen oder beschließen, dass mit dem Universum etwas nicht stimmt und sie es in Ordnung bringen müssen. Oder beides gleichzeitig. Sie sind alle verrückt.« Sie schwieg für einen Moment und drehte dann den Kopf, um zu sehen, was meine Aufmerksamkeit geweckt hatte. Wandte sich wieder mir zu. »Ach, die. Sieht sie nicht irgendwie … provinziell aus?«

Ich wandte Seivarden meine ganze Aufmerksamkeit zu. Schaute sie an.

Sie blickte auf den Tisch. »Tut mir leid. Das war … das war einfach falsch. Ich habe keine …«

»Ich bezweifle«, unterbrach ich sie, »dass ihr Gehalt ihr ermöglicht, Kleidung zu tragen, in der sie … ›anders‹ aussieht.«

»Das habe ich nicht gemeint.« Seivarden blickte auf, mit offensichtlicher Verzweiflung und Verlegenheit in den Zügen. »Aber was ich meinte, war schlimm genug. Ich war nur … ich war nur überrascht. Die ganze Zeit bin ich vermutlich davon ausgegangen, dass Sie eine Asketin sind. Es hat mich einfach überrascht.«

Eine Asketin. Ich verstand, was sie zu dieser Vermutung geführt hatte, aber nicht, warum es eine Rolle spielte, dass sie falsch lag. Es sei denn … »Sie sind doch nicht etwa neidisch?«, fragte ich ungläubig. Ob nun gut gekleidet oder nicht, ich sah genauso provinziell aus wie Daos Ceit. Nur aus einer anderen Provinz.

»Nein!« Und im nächsten Moment: »Das heißt, ja, doch. Aber nicht so

In diesem Moment erkannte ich, dass es nicht nur andere Radchaai waren, die durch mein Kleidungsgeschenk vielleicht einen falschen Eindruck erhielten. Obwohl Seivarden sicherlich wusste, dass ich ihr keine Klientinnenschaft anbieten konnte. Obwohl ich wusste, dass sie nur länger als dreißig Sekunden darüber nachdenken musste, um zu erkennen, dass sie niemals von mir haben wollte, was dieses Geschenk implizierte. Sie konnte unmöglich glauben, dass ich das gemeint hatte. »Gestern sagte die Inspektionsleiterin zu mir, dass die Gefahr besteht, Sie könnten sich falsche Hoffnungen machen. Oder bei anderen einen falschen Eindruck erwecken.«

Seivarden stieß einen verächtlichen Laut aus. »Das wäre ausschließlich dann bedenkenswert, wenn ich auch nur das leiseste Interesse daran hätte, was Awer denkt.« Ich hob eine Augenbraue, und sie fuhr in reuevollerem Tonfall fort: »Ich dachte, ich könnte meine Angelegenheiten allein regeln, aber die ganze letzte Nacht und den ganzen heutigen Tag habe ich mir nur gewünscht, ich wäre bei Ihnen geblieben. Wahrscheinlich stimmt es, dass man sich um alle Bürgerinnen kümmert. Ich sehe keine Person, die hungert. Oder nackt ist.« Ihr Gesicht zeigte vorübergehend Abscheu. »Aber diese Kleidung. Und das Skel. Nur Skel, die ganze Zeit, sehr sorgfältig dosiert. Ich hätte nicht gedacht, dass ich damit ein Problem bekomme. Ich meine, ich habe nichts gegen Skel, aber ich könnte es einfach nicht hinunterwürgen.« Ich konnte mir vorstellen, in welcher Stimmung sie gewesen war, als sie in den Kampf verwickelt worden war. »Ich glaube, es war das Wissen, dass ich wochenlang nichts anderes bekommen würde. Und«, fügte sie mit einem reuevollen Lächeln hinzu, »das Wissen, dass ich es besser gehabt hätte, wenn ich Sie gebeten hätte, bei Ihnen bleiben zu dürfen.«

»Also möchten Sie Ihren alten Job wiederhaben?«, fragte ich.

»Scheiße, ja«, sagte sie nachdrücklich und erleichtert. Laut genug, um von der Gruppe auf der anderen Seite des Raumes gehört zu werden und einige tadelnde Blicke zu ernten.

»Ihre Ausdrucksweise, Bürgerin.« Ich nahm einen weiteren Bissen von meiner Algenrolle. In mehrfacher Hinsicht erleichtert, wie ich feststellte. »Sind Sie sich ganz sicher, dass Sie es nicht lieber mit Kapitänin Vel versuchen möchten?«

»Sie können Tee trinken, mit wem Sie möchten«, sagte Seivarden. »Aber sie hätte Sie persönlich einladen sollen.«

»Ihre Vorstellung von guten Manieren ist tausend Jahre alt«, gab ich zu bedenken.

»Gute Manieren sind gute Manieren«, erwiderte sie indigniert. »Aber wie ich bereits sagte, Sie können Tee trinken, mit wem Sie möchten.«

Inspektionsleiterin Skaaiat betrat den Teeladen, sah Daos Ceit und nickte ihr zu. Doch dann ging sie zu Seivarden und mir. Zögerte einen kurzen Moment, als sie die Korrektiva auf Seivardens Gesicht bemerkte, um dann so zu tun, als hätte sie sie nicht gesehen. »Bürgerin. Geehrte.«

»Inspektionsleiterin«, antwortete ich. Seivarden nickte nur.

»Ich veranstalte morgen Abend eine kleine Zusammenkunft.« Sie nannte eine Adresse. »Nur Tee, nichts Förmliches. Ich würde mich geehrt fühlen, wenn Sie beide kommen würden.«

Seivarden lachte unverblümt. »Gute Manieren«, wiederholte sie, »sind gute Manieren.«

Skaaiat runzelte verdutzt die Stirn.

»Das ist heute schon die zweite derartige Einladung«, erklärte ich. »Bürgerin Seivarden sagte mir, der ersten hätte es eindeutig an Höflichkeit gemangelt.«

»Ich hoffe, meine wird Ihren hohen Ansprüchen gerecht«, sagte Skaaiat. »Wer hat es an Höflichkeit fehlen lassen?«

»Kapitänin Vel«, antwortete ich. »Von der Gnade der Kalr

Auf eine Person, die sie nicht besonders gut kannte, machte Skaaiat vermutlich den Eindruck, als hätte sie keine spezielle Meinung zu Kapitänin Vel. »Nun gut. Ich gebe zu, dass es meine Absicht war, Sie, Bürgerin, mit einigen meiner Freundinnen bekanntzumachen, die für Sie möglicherweise von Nutzen sind. Aber vielleicht finden Sie Kapitänin Vels Gegenwart angenehmer.«

»Sie müssen eine sehr schlechte Meinung von mir haben«, sagte Seivarden.

»Es ist möglich«, sagte Skaaiat — und wie seltsam es war, sie mit solchem Ernst sprechen zu hören, nachdem ich sie vor zwanzig Jahren ganz anders erlebt hatte —, »dass Kapitänin Vels Annäherungsversuch nicht ganz respektvoll gegenüber der geehrten Breq war. Aber ich vermute, dass Sie sie in anderer Hinsicht sympathisch finden werden.« Bevor Seivarden antworten konnte, fuhr Skaaiat fort: »Ich muss jetzt gehen. Ich hoffe, Sie beide morgen Abend zu sehen.« Sie blickte zum Tisch hinüber, an dem ihre Assistentin saß, worauf alle drei Inspektionsgehilfinnen aufstanden, um den Laden zu verlassen und ihr nach draußen zu folgen.

Seivarden schwieg für einen Moment und blickte auf die Tür, durch die sie gegangen waren.

»Gut«, sagte ich, und Seivarden sah mich wieder an. »Wenn Sie zurückkommen, denke ich, dass ich Sie entlohnen sollte, damit Sie sich etwas anständigere Kleidung kaufen können.«

Ein Ausdruck, den ich nicht ganz deuten konnte, blitzte auf Seivardens Gesicht auf. »Wo haben Sie Ihre erworben?«

»Ich glaube, so viel werde ich Ihnen nicht zahlen«, sagte ich.

Seivarden lachte. Nahm einen Schluck Tee, ein weiteres Stück Obst.

Ich war mir gar nicht sicher, ob sie wirklich schon gegessen hatte. »Möchten Sie wirklich nichts anderes bestellen?«, fragte ich.

»Nein. Was ist das überhaupt?« Sie blickte auf das letzte Stück meiner in Algen gewickelten Mahlzeit.

»Keine Ahnung.« So etwas hatte ich in der Radch noch nie zuvor gesehen. Es musste erst vor Kurzem erfunden worden sein, oder es war eine Idee, die von ganz woanders importiert worden war. »Aber es ist gut. Möchten Sie eins? Wir können es auch in die Unterkunft mitnehmen, wenn Sie möchten.«