Ich hatte den Leuten, die an uns vorbeigingen, keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Aber nun bekam ich den Eindruck, dass etwas nicht stimmte. Ich war mir plötzlich der Anwesenheit und Bewegung der Leute um uns herum sehr bewusst. Etwas Unbestimmtes beunruhigte mich, etwas an der Art, wie sich einzelne Leute bewegten.
Mindestens vier Personen beobachteten uns verstohlen. Sie waren uns zweifellos gefolgt, und ich hatte sie bis jetzt nicht bemerkt. Das konnte nur eine neue Entwicklung sein. Sie wären mir aufgefallen, wenn sie mir seit dem Augenblick meiner Ankunft in den Docks gefolgt wären. Dessen war ich mir ganz sicher.
Die Station hatte bestimmt mein Erschrecken im Teeladen gesehen, als Rosa-und-Azurblau die Gerechtigkeit der Torren erwähnt hatte. Zweifellos hatte sie sich gefragt, warum ich so reagiert hatte. Hatte mich daraufhin sicherlich noch aufmerksamer als zuvor beobachtet. Aber die Station musste mich nicht verfolgen lassen, um mich im Auge zu behalten. Das hier war keine bloße Überwachung.
Das hier war nicht die Station.
Ich hatte noch nie zu Panikanfällen geneigt und würde jetzt nicht damit anfangen. Dieser Wurf war meiner, und wenn ich auch die Bahn eines Omens nicht ganz richtig berechnet hatte, war mir bei den anderen kein Fehler unterlaufen. Mit sehr, sehr leiser Stimme sagte ich zu Seivarden: »Wir werden zu früh bei der Inspektionsleiterin eintreffen.«
»Müssen wir wirklich zu dieser Awer gehen?«, fragte Seivarden.
»Ich denke, wir sollten es tun.« Nachdem ich es gesagt hatte, wünschte ich mir im nächsten Moment, es nicht getan zu haben. Ich wollte mich nicht mit Skaaiat Awer treffen, nicht jetzt, nicht in meinem Zustand.
»Vielleicht sollten wir es nicht tun«, sagte Seivarden. »Vielleicht sollten wir ins Zimmer zurückgehen. Sie können meditieren oder beten oder was auch immer Sie machen, dann können wir zu Abend essen und etwas Musik hören. Ich glaube, das wäre besser.«
Sie machte sich Sorgen um mich. Ganz offensichtlich. Und sie hatte recht, im Zimmer wäre es besser. Ich hätte die Gelegenheit, mich zu beruhigen, eine Bestandsaufnahme zu machen.
Und Anaander Mianaai hätte die Gelegenheit, mich verschwinden zu lassen, ohne dass es jemand bemerkte. »Zur Inspektionsleiterin«, sagte ich.
»Ja, Geehrte«, antwortete Seivarden fügsam.
Skaaiat Awers Quartier war ein eigenes kleines Labyrinth aus Korridoren und Zimmern. Sie lebte hier mit mehreren Dockinspektorinnen und Klientinnen und sogar Klientinnen von Klientinnen. Zweifellos handelte es sich nicht um Awers einzige Präsenz in der Station, und das Haus musste hier noch andere Quartiere haben, aber Skaaiat schien es so lieber zu sein. Recht exzentrisch, aber das war von einer Awer zu erwarten. Aber wie bei so vielen Awers hatte diese Exzentrizität auch einen praktischen Aspekt — wir befanden uns hier recht nahe bei den Docks.
Eine Dienerin ließ uns ein und führte uns in ein Wohnzimmer mit blau-weißen Steinfliesen. Vom Boden bis zur Decke war es mit allen möglichen Pflanzen ausgekleidet, dunkel- oder hellgrün, mit schmalen oder breiten Blättern, hängend oder aufrecht, einige blühend, stellenweise in Weiß, Rot, Purpur, Gelb, gefleckt oder gescheckt. Wahrscheinlich war mindestens ein Mitglied des Haushalts in Vollzeit mit der Pflege dieser Sammlung beschäftigt.
Daos Ceit wartete hier auf uns. Sie verbeugte sich tief und schien aufrichtig erfreut zu sein, uns zu sehen. »Geehrte Breq, Bürgerin Seivarden. Die Inspektionsleiterin wird sich sehr freuen, dass Sie gekommen sind. Setzen Sie sich bitte.« Sie deutete auf die Stühle, die im Zimmer verteilt standen. »Möchten Sie Tee? Oder hatten Sie schon genug? Ich weiß, dass Sie heute noch einen anderen Termin hatten.«
»Tee wäre nett, vielen Dank«, sagte ich. Weder ich noch Seivarden hatten in Kapitänin Vels Runde tatsächlich etwas getrunken. Aber ich wollte mich nicht setzen. Alle Stühle sahen aus, als würden sie meine Bewegungsfreiheit einschränken, sollte ich angegriffen werden und gezwungen sein, mich zu verteidigen.
»Breq?«, sagte Seivarden sehr leise. Besorgt. Sie erkannte, dass etwas nicht stimmte, konnte aber nicht diskret nach dem Grund fragen.
Daos Ceit reichte mir eine Tasse Tee, lächelnd, allem Anschein nach aufrichtig. Ohne meinen Zustand der Anspannung zu bemerken, wie es schien, der für Seivarden so offensichtlich war. Wie hatte ich sie nicht sofort wiedererkennen können, als ich sie gesehen hatte? Warum hatte ich nicht sofort ihren orsianischen Akzent identifiziert?
Wie hatte ich übersehen können, dass ich Anaander Mianaai unmöglich länger als nur für einen winzigen Augenblick täuschen konnte?
Ich konnte nicht die ganze Zeit stehen, ohne dass es einen unhöflichen Eindruck machte. Ich musste mir einen Platz suchen. Keiner der verfügbaren Stühle war annehmbar. Aber ich war viel gefährlicher, als fast jeder hier bewusst sein konnte, selbst im Sitzen. Ich hatte immer noch die Waffe, ein beruhigendes Druckgefühl an meinen Rippen, unter meiner Jacke. Ich hatte immer noch die Aufmerksamkeit der Station, von allen Anaander Mianaais, ja, und das war genau das, was ich gewollt hatte. Es war immer noch mein Spiel. Das war es. Such dir einen Platz aus. Die Omen werden fallen, wie sie fallen.
Bevor ich mich setzen konnte, trat Skaaiat Awer in den Raum. Ihr Schmuck war so bescheiden wie während ihrer Arbeitszeit, aber ich hatte einen Ballen des hellgelben Stoffs ihrer elegant geschnittenen Jacke im teuren Bekleidungsgeschäft gesehen. An ihrer rechten Manschette blinkte das billige, maschinengestanzte Goldabzeichen.
Sie verbeugte sich. »Geehrte Breq. Bürgerin Seivarden. Es freut mich, Sie beide wiederzusehen. Wie ich sehe, hat Gehilfin Ceit Ihnen bereits Tee serviert.« Seivarden und ich stimmten mit höflichen Gesten zu. »Ich möchte Ihnen sagen, bevor alle anderen eintreffen, dass ich hoffe, dass Sie beide zum Abendessen bleiben.«
»Sie haben gestern versucht, uns zu warnen, nicht wahr?«, fragte Seivarden.
»Seivarden …«, begann ich.
Inspektionsleiterin Skaaiat hob eine Hand in elegantem gelbem Handschuh. »Schon gut, Geehrte. Ich weiß, dass Kapitänin Vel sich gern mit ihrer Antiquiertheit brüstet. Und ihrer Überzeugung Ausdruck verleiht, wie viel besser alles war, als Kinder noch Respekt vor ihren Eltern hatten und guter Geschmack und kultivierte Manieren die Regel waren. Die alten vertrauten Reden, und ich bin mir sicher, dass Sie ähnliche bereits vor tausend Jahren gehört haben, Bürgerin.« Seivarden bestätigte es mit einem kurzen Ha. »Zweifellos haben Sie schon viel darüber gehört, dass die Radchaai die Pflicht haben, der Menschheit die Zivilisation zu bringen. Und dass Hilfseinheiten bei dieser Aufgabe erheblich effizienter sind als menschliche Soldatinnen.«
»Was das betrifft«, sagte Seivarden, »würde ich meinen, dass sie das auch sind.«
»Natürlich würden Sie das.« Skaaiat ließ einen Ansatz von Verärgerung aufblitzen. Seivarden hatte es vermutlich gar nicht gesehen, weil sie sie nicht gut genug kannte. »Wahrscheinlich wissen Sie nicht, Bürgerin, dass ich selbst während einer Annexion menschliche Truppen kommandiert habe.« Das hatte Seivarden nicht gewusst. Ihre Überraschung war offensichtlich. Ich hatte es natürlich gewusst. Mein Mangel an Überraschung wäre für die Station offenkundig. Für Anaander Mianaai.