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Die Waffe steckte immer noch unter meiner Jacke, und hier und dort hatte ich Ersatzmagazine deponiert, wo sie sich nicht abzeichnen würden. Ich konnte davon ausgehen, dass Anaander Mianaai nicht wusste, was ich beabsichtigte.

»Wurde mir also meine Audienz gewährt?«, fragte Seivarden.

Die Sicherheitsoffizierin gestikulierte uneindeutig. »Das kann ich nicht sagen, Bürgerin.«

Anaander Mianaai hatte nichts von meiner Ankunft wissen können. Sie wusste nur, dass ich vor etwa zwanzig Jahren verschwunden war. Ein Teil von ihr wusste vielleicht, dass sie bei meiner letzten Reise an Bord gewesen war, aber keine Version von ihr konnte wissen, was geschehen war, nachdem ich das Shis’urna-System durch ein Tor verlassen hatte.

»Ich habe gefragt«, sagte Inspektionsleiterin Skaaiat, »ob Sie zuvor Tee trinken und zu Abend essen möchten.« Dass sie gefragt hatte, sagte einiges über ihre Beziehung zum Sicherheitsdienst aus. Dass ihr Angebot abgelehnt worden war, sagte einiges über die Dringlichkeit dieser Verhaftung aus — und ich war mir sicher, dass es eine Verhaftung war.

Die ahnungslose Sicherheitsoffizierin gestikulierte entschuldigend. »Meine Befehle, Inspektionsleiterin. Bürgerin.«

»Natürlich«, sagte Skaaiat sanft und gelassen, aber ich kannte sie, hörte den unterschwellig besorgten Tonfall in ihrer Stimme. »Bürgerin Seivarden. Geehrte Breq. Wenn ich Ihnen auf irgendeine Weise behilflich sein kann, zögern Sie bitte nicht, mich zu informieren.«

»Vielen Dank, Inspektionsleiterin«, sagte ich und verbeugte mich. Meine Angst und Unsicherheit, meine drohende Panik verflüchtigten sich. Das Omen des Stillstands war gekippt, war zu Bewegung geworden. Und schon bald würde Gerechtigkeit vor mir landen, klar und unzweideutig.

Die Sicherheitsoffizierin führte uns nicht zum Haupteingang des eigentlichen Palasts, sondern in den Tempel, in dem es zu dieser Stunde ruhig war, da viele Leute auf Besuch waren oder zu Hause mit der Familie bei einer Tasse Tee saßen. Eine Juniorpriesterin hockte neben dem nun halb leeren Korb mit Blumen. Sie wirkte gelangweilt und schlecht gelaunt und warf uns einen unfreundlichen Blick zu, als wir eintraten. Aber sie wandte uns nicht einmal den Kopf zu, während wir an ihr vorbeigingen.

Wir durchquerten die Haupthalle, die vierarmige Amaat ragte auf, es roch immer noch nach Weihrauch und dem Blumenhaufen, der der Göttin bis zu den Knien reichte. Ganz hinten in einer Ecke traten wir in eine winzige Kapelle, die einer alten und fast in Vergessenheit geratenen provinziellen Gottheit gewidmet war, eine der Personifikationen abstrakter Begriffe, wie sie in vielen Pantheons vertreten waren, in diesem Fall eine Vergöttlichung der legitimen politischen Autorität. Als man den Palast erbaut hatte, war es zweifellos keine Frage gewesen, dass diese Göttin gleich neben Amaat platziert wurde, doch dann schien sie in Ungnade gefallen zu sein. Oder es hatte sich die Demografie der Station oder vielleicht nur die Mode geändert, sofern nicht ein größeres Unheil dafür verantwortlich war.

In der Wand hinter dem Bildnis der Göttin glitt eine Tür auf. Im Durchgang stand eine bewaffnete und gerüstete Wache, die Waffe im Holster, aber nicht weit von ihrer Hand, das Gesicht von silbrig glatter Rüstung geschützt. Eine Hilfseinheit, dachte ich, obwohl ich mir nicht sicher sein konnte. Nicht zum ersten Mal in den vergangenen zwanzig Jahren fragte ich mich, wie das funktionierte. Der eigentliche Palast wurde doch bestimmt nicht von der Station bewacht. Waren Anaander Mianaais Wachen vielleicht nur weitere Teile von ihr selbst?

Seivarden sah mich verärgert an, vielleicht auch ein wenig verängstigt. »Ich glaube nicht, dass mir dieser Geheimeingang aufgefallen wäre.« Obwohl er wahrscheinlich gar nicht so geheim war, nur weniger öffentlich als der draußen auf der Promenade.

Die Sicherheitsoffizierin machte wieder diese uneindeutige Geste, sagte aber nichts.

»Nun gut«, sagte ich, und Seivarden bedachte mich mit einem erwartungsvollen Blick. Offensichtlich glaubte sie, dass es etwas mit dem speziellen Status zu tun hatte, den ich ihrer Ansicht nach hatte. Ich trat durch die Tür, an der regungslosen Wache vorbei, die mich überhaupt nicht zur Kenntnis nahm, genauso wenig wie Seivarden, die mir folgte. Hinter uns schob sich die Tür wieder zu.

21

Am Ende des kurzen, leeren Korridors öffnete sich eine weitere Tür zu einem Raum, der vier mal acht Meter groß war, die Decke in drei Metern Höhe. Grüne Ranken schlängelten sich über die Wände, hingen von Stützen, die sich aus dem Boden erhoben. Die hellblauen Wände täuschten weite Fernen hinter der Vegetation vor, ließen den Raum größer erscheinen, als er war, die letzte Zuflucht einer Vorliebe für falsche Aussichten, die vor über fünfhundert Jahren aus der Mode gekommen war. Am anderen Ende stand ein Podium, und dahinter hingen Darstellungen der vier Emanationen in den Ranken.

Auf dem Podium stand Anaander Mianaai — zwei von ihr. Die Herrin der Radch war so neugierig auf uns, dass sie uns mit mehr als nur einem ihrer Teile befragen wollte, vermutete ich. Obwohl sie es vor sich selbst wahrscheinlich anders gerechtfertigt hatte.

Wir näherten uns der Herrin der Radch bis auf drei Meter. Seivarden ging in die Knie und warf sich dann zu Boden. Ich war angeblich keine Radchaai, keine Untertanin von Anaander Mianaai. Aber Anaander Mianaai wusste, sie musste wissen, wer ich wirklich war. Sie hatte uns nicht hierhergerufen, ohne es zu wissen. Trotzdem ging ich nicht in die Knie, machte nicht einmal eine Verbeugung. Keine Mianaai zeigte deswegen Überraschung oder Empörung.

»Bürgerin Seivarden Vendaai«, sagte die Mianaai zur Rechten. »Was genau glauben Sie mit Ihrem Spiel zu erreichen?«

Seivardens Schultern zuckten, als hätte sie, obwohl sie immer noch auf dem Boden lag, plötzlich den Drang verspürt, die Arme zu verschränken.

Die Mianaai zur Linken sagte: »Das Verhalten der Gerechtigkeit der Torren war schon bedenklich und verblüffend genug, nur für sich genommen. Den Tempel zu betreten und die Opfergaben zu entweihen! Was haben Sie nur damit gemeint? Was soll ich zu den Priesterinnen sagen?«

Die Waffe lag immer noch an meiner Körperseite, unter meiner Jacke, unbemerkt. Ich war eine Hilfseinheit. Hilfseinheiten waren bekannt für ihre ausdruckslosen Mienen. Es fiel mir überhaupt nicht schwer, nicht zu lächeln.

»Wenn meine Herrin die Freundlichkeit hätte«, sagte Seivarden in die Pause, die auf Anaander Mianaais Worte folgte. Ihre Stimme war ein wenig belegt, und mir schien, dass sie leicht hyperventilierte. »Was … Ich verstehe nicht …«

Die Mianaai zur Rechten stieß ein sarkastisches Ha aus. »Bürgerin Seivarden ist überrascht und versteht mich nicht«, fuhr diese Mianaai fort. »Und du, Gerechtigkeit der Torren, du hattest die Absicht, mich zu täuschen. Warum?«

»Als ich erstmals vermutete, wer du warst«, sagte die Mianaai zur Linken, bevor ich antworten konnte, »hätte ich es fast nicht geglaubt. Ein weiteres lange verlorenes Omen, das mir nun vor die Füße fällt. Ich habe dich beobachtet, um zu sehen, was du tun würdest, um zu verstehen, was du mit deinem recht außergewöhnlichen Verhalten bezweckst.«

Wäre ich ein Mensch gewesen, hätte ich gelacht. Ich hatte zwei Mianaais vor mir. Keine traute der anderen, diese Befragung ohne Überwachung, ohne Behinderung durchzuführen. Keine kannte die Einzelheiten der Vernichtung der Gerechtigkeit der Torren, und vermutlich verdächtigte jede die andere, etwas damit zu tun zu haben. Ich könnte ein Instrument der einen oder der anderen sein, und keine vertraute der anderen. Welche war welche?