Die Mianaai zur Rechten sagte: »Du hast recht gute Arbeit geleistet, als du deine Herkunft verschleiert hast. Es war Inspektionsgehilfin Ceit, durch die ich erstmals Verdacht schöpfte.« Ich habe dieses Lied seit meiner Kindheit nicht mehr gehört, hatte sie gesagt. Dieses Lied, das offenkundig von Shis’urna stammte. »Ich gebe zu, dass ich einen ganzen Tag gebraucht habe, um alle Teile zusammenzufügen, und selbst dann konnte ich es kaum glauben. Auch deine Implantate hast du recht gut verborgen. Die Station hat nichts bemerkt. Aber wahrscheinlich hätte dich irgendwann das Summen verraten, kann ich mir vorstellen. Ist dir bewusst, dass du es fast ständig machst? Ich vermute, du gibst dir große Mühe, es jetzt nicht zu tun. Was ich sehr zu schätzen weiß.«
Immer noch mit dem Gesicht auf dem Boden sagte Seivarden leise: »Breq?«
»Nicht Breq«, stellte die Mianaai zur Linken richtig. »Sondern Gerechtigkeit der Torren.«
»Eins Esk der Gerechtigkeit der Torren«, präzisierte ich und verzichtete nun auf einen Gerentate-Akzent und menschliche Mimik. Die Zeit der Täuschung war vorbei. Es war erschreckend, weil ich wusste, dass ich diesen Moment nicht lange überleben würde, aber seltsamerweise empfand ich auch Erleichterung. Eine Last, die von mir genommen wurde.
Die rechte Mianaai bekräftigte mit einer Geste, wie offensichtlich meine Bemerkung war. »Die Gerechtigkeit der Torren wurde zerstört«, sagte ich. Beide Mianaais schienen den Atem anzuhalten. Starrten mich an. Wieder hätte ich vielleicht gelacht, wenn ich dazu in der Lage gewesen wäre.
»Ich bitte meine Herrin um Nachsicht«, sagte Seivarden zaghaft vom Boden. »Hier liegt sicher ein Fehler vor. Breq ist menschlich. Sie kann unmöglich Eins Esk der Gerechtigkeit der Torren sein. Ich habe in der Esk-Dekade der Gerechtigkeit der Torren gedient. Keine Medizinerin der Gerechtigkeit der Torren würde Eins Esk einen Körper mit einer Stimme wie der von Breq geben. Es sei denn, sie hätte die Absicht, die Esk-Leutnantinnen ernsthaft zu verärgern.«
Stille, die drei Sekunden lang schwer lastete.
»Sie glaubt, ich wäre vom Sondereinsatzkommando«, brach ich dann das Schweigen. »Ich habe ihr nie gesagt, dass ich es bin. Ich habe ihr gar nichts über mich gesagt, nur Breq von der Gerentate, und das hat sie mir nie geglaubt. Ich wollte sie zurücklassen, wo ich sie gefunden habe, aber ich konnte es nicht, und ich wusste nicht, wie. Sie gehörte nie zu meinen Favoritinnen.« Ich wusste, dass das verrückt klang. Es war eine ganz besondere Art von Verrücktheit, die Verrücktheit einer KI. Aber das war mir egal. »Sie hat damit nichts zu tun.«
Die rechte Mianaai zog eine Augenbraue hoch. »Und warum ist sie dann hier?«
»Niemand konnte ihre Ankunft in dieser Station übersehen. Da ich mit ihr eintraf, konnte auch niemand meine übersehen. Und Sie wissen bereits, warum ich nicht direkt zu Ihnen gehen konnte.«
Der Ansatz eines Stirnrunzelns von der rechten Mianaai.
»Bürgerin Seivarden Vendaai«, sagte die linke Mianaai, »mir ist nun klar, dass die Gerechtigkeit der Torren Sie getäuscht hat. Sie wussten nicht, wer oder was sie war. Ich glaube, es wäre das Beste, wenn Sie jetzt gehen. Natürlich ohne zu irgendeiner anderen Person über das alles zu sprechen.«
»Nein?«, hauchte Seivarden in den Boden, als würde sie eine Frage stellen. Oder als wäre sie überrascht zu hören, dass das Wort aus ihrem Mund kam. »Nein«, wiederholte sie, mit etwas mehr Gewissheit. »Irgendwas kann nicht stimmen. Breq ist für mich von einer Brücke gesprungen.«
Meine Hüfte schmerzte, als ich daran dachte. »Kein Mensch, der bei Verstand ist, hätte das getan.«
»Ich habe nie behauptet, dass Sie bei Verstand sind«, sagte Seivarden leise, was ein wenig erstickt klang.
»Seivarden Vendaai«, sagte die linke Mianaai, »diese Hilfseinheit — und es handelt sich tatsächlich um eine Hilfseinheit — ist kein Mensch. Die Tatsache, dass Sie das geglaubt haben, erklärt viele Ihrer Verhaltensweisen, die mir bislang unklar waren. Es tut mir leid, dass sie Sie getäuscht und enttäuscht hat, aber jetzt müssen Sie gehen. Sofort.«
»Ich bitte meine Herrin um Nachsicht.« Seivarden lag immer noch da und sprach in den Boden. »Ob Sie sie mir gewähren oder nicht. Ich werde Breq nicht allein lassen.«
»Gehen Sie, Seivarden«, sagte ich ausdruckslos.
»Tut mir leid«, sagte sie und klang beinahe fröhlich, nur dass ihre Stimme immer noch leicht zitterte. »Sie werden mich nicht los.«
Ich schaute auf sie herab. Sie drehte den Kopf, um zu mir aufzuschauen, ihre Miene eine Mischung aus Furcht und Entschlossenheit. »Sie wissen nicht, was Sie tun«, erklärte ich ihr. »Sie verstehen nicht, was hier geschieht.«
»Das muss ich auch gar nicht.«
»Nun gut«, sagte die Mianaai zur Rechten und wirkte fast amüsiert. Auf die linke traf das nicht zu. Ich fragte mich, warum. »Erklär dich, Gerechtigkeit der Torren.«
Da war er, der Moment, auf den ich zwanzig Jahre lang hingearbeitet hatte. Auf den ich gewartet hatte. Von dem ich befürchtet hatte, er würde nie kommen. »Erstens«, sagte ich, »waren Sie, wie Sie vermutlich längst ahnen, an Bord der Gerechtigkeit der Torren, und Sie selbst waren es, die sie vernichtet hat. Sie durchbrachen den Hitzeschild, weil Sie feststellten, dass ich bereits von Ihnen selbst instrumentalisiert worden war, einige Zeit zuvor. Sie kämpfen gegen sich selbst. Mindestens zwei von Ihnen, vielleicht sogar mehr.«
Beide Mianaais blinzelten und veränderten ihre Haltung um den Bruchteil eines Millimeters, auf eine Weise, die ich wiedererkannte. Ich hatte mich selbst dabei beobachtet, in Ors, als die Kommunikation ausgefallen war. Zumindest ein Teil von Anaander Mianaai musste sich Sorgen gemacht haben, was ich vielleicht sagen könnte, und hatte offenbar mit der Hand auf dem Schalter eines Geräts zur Kommunikationsunterdrückung abgewartet. Ich fragte mich, wie weit die Wirkung reichte und welche Mianaai es ausgelöst hatte, um — wenn auch zu spät — zu versuchen, meine Offenbarung vor ihr selbst zu verheimlichen. Ich fragte mich, wie es sich angefühlt haben musste zu wissen, dass eine solche Konfrontation mit mir nur in einem Desaster enden konnte, während Anaander Mianaai durch die Natur ihres Kampfes gegen sich selbst verpflichtet war, es trotzdem zu tun. Dieser Gedanke amüsierte mich für einen kurzen Moment.
»Und zweitens …« Ich griff unter meine Jacke, zog die Waffe hervor, und das Dunkelgrau meines Handschuhs floss in das Weiß, das die Waffe von meinem Hemd übernommen hatte. »… werde ich Sie jetzt töten.« Ich zielte auf die rechte Mianaai.
Die daraufhin ein Lied anstimmte, in leicht flachem Bariton, in einer Sprache, die seit tausend Jahren tot war. »Die Person, die Person, die Person mit Waffen.« Ich konnte mich nicht bewegen. Konnte nicht auf den Auslöser drücken.
Du solltest dich fürchten vor der Person mit Waffen. Du solltest dich fürchten.
Überall erhebt sich der Ruf: Legt Rüstungen aus Eisen an.
Die Person, die Person, die Person mit Waffen.
Du solltest dich fürchten vor der Person mit Waffen. Du solltest dich fürchten.
Eigentlich hätte sie dieses Lied nicht kennen dürfen. Warum sollte Anaander Mianaai in vergessenen valskaayanischen Archiven stöbern, warum sollte sie sich die Mühe machen, ein Lied zu lernen, das wahrscheinlich keine Person außer mir länger gesungen hatte, als sie am Leben gewesen war?
»Eins Esk von der Gerechtigkeit der Torren«, sagte die rechte Mianaai, »schieß auf das Exemplar von mir zur Linken des Exemplars, das zu dir spricht.«