»Legen Sie einen Druckverband an«, sagte ich zu Seivarden. »Ich weiß nicht, ob sie rechtzeitig in medizinische Behandlung kommen wird.« Ich dachte an die Sicherheitskräfte, die Soldatinnen und Palastwachen überall in der Station, die vermutlich widersprüchlichen Befehlen und Prioritäten folgten, und hoffte, dass alle Zivilistinnen inzwischen eine sichere Zuflucht aufgesucht hatten.
»Ich werde Sie begleiten«, sagte Seivarden und blickte auf, während sie halb auf dem Rücken der Shuttlepilotin kniete und ihr die Handgelenke fesselte.
»Nein. Sie haben eine gewisse Autorität gegenüber Kapitänin Vels Leuten. Vielleicht sogar gegenüber Kapitänin Vel selbst. Schließlich sind Sie tausend Jahre länger im Dienst als sie.«
»Tausend Jahre Gehaltsnachzahlung«, sagte eine Dockinspektorin in ehrfürchtigem Tonfall.
»Schön wär’s«, sagte Seivarden und dann: »Breq.« Und besann sich: »Schiff.«
»Ich habe keine Zeit«, sagte ich brüsk.
Verärgerung blitzte kurz auf ihrem Gesicht auf, dann: »Sie haben recht.« Aber ihre Stimme zitterte ganz leicht, genauso wie ihre Hände.
Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich um und bestieg das Shuttle, stieß mich von der Schwerkraft der Station in die Schwerelosigkeit des Shuttles ab. Ich schloss das Schott, schwebte zum Pilotinnensitz hinüber, wischte eine Blutblase beiseite und schnallte mich an. Dumpfe Schläge verrieten mir, dass der Abdockvorgang begonnen hatte. Vorn hatte ich eine fest installierte Kamera, die mir einige der Schiffe rund um den Palast zeigte, Shuttles, Bergbauschlepper, kleine Tender und Segelkapseln, die größeren Passagierschiffe und Frachttransporter entweder abflugbereit oder auf die Genehmigung zum Anlegen wartend. Die Gnade der Kalr mit dem weißen Rumpf und der plumpen Form, die tödlichen Triebwerke deutlich größer als der Rest des Schiffs, lag irgendwo da draußen. Und hinter allem die Leuchtfeuer, die die Tore markierten, durch die die Schiffe von einem System ins nächste gelangten. Für sie musste die Station wie tot sein, seit sie plötzlich verstummt war. Die Pilotinnen und Kapitäninnen dieser Schiffe mussten verwirrt oder verängstigt sein. Ich hoffte, dass keine von ihnen so dumm war, sich der Station ohne Erlaubnis der Dockverwaltung zu nähern.
Die zweite Kamera zeigte mir achtern den grauen Rumpf der Station. Das letzte Klacken der Abdockprozedur ließ das Shuttle vibrieren, dann schaltete ich auf manuelle Steuerung und flog los — langsam und vorsichtig, weil ich nicht sehen konnte, was seitlich von mir war. Sobald ich mich überzeugt hatte, dass ich freie Bahn hatte, erhöhte ich die Geschwindigkeit. Und lehnte mich dann zurück, um zu warten. Selbst mit Höchstgeschwindigkeit würde das Shuttle einen halben Tag brauchen, um die Gnade der Kalr zu erreichen.
Jetzt hatte ich Zeit zum Nachdenken. Nach all den Jahren und all den Mühen hatte ich nun diesen Punkt erreicht. Ich hatte kaum zu hoffen gewagt, dass ich so ausgiebig Rache nehmen konnte, dass ich auch nur eine Anaander Mianaai würde erschießen können, und nun hatte ich vier getötet. Und zweifellos brachten sich weitere Anaander Mianaais dort drüben im Palast gegenseitig um, während sie mit sich selbst um die Kontrolle über die Station und letztlich über die Radch selbst kämpfte, und das alles war ein Resultat meiner Botschaft.
Nichts davon würde Leutnantin Awn zurückbringen. Oder mich. Ich war praktisch tot, war es schon seit zwanzig Jahren, nur ein letztes, winziges Fragment von mir hatte es geschafft, ein wenig länger als der Rest zu existieren, jede meine Handlungen konnte durchaus das Letzte sein, was ich jemals tat. Ein Lied sprudelte in meiner Erinnerung hoch. Ach, bist du zum Schlachtfeld gegangen, gerüstet und gut bewaffnet, und werden schreckliche Ereignisse dich zwingen, deine Waffen fallen zu lassen? Und das führte mich unerklärlicherweise zur Erinnerung an die Kinder auf dem Tempelplatz in Ors. Eins, zwei, meine Tante erzählte mir, drei, vier, von dem Leichensoldatending. Jetzt konnte ich nur wenig tun, außer für mich selbst zu singen, ohne dass mich jemand störte, ohne dass ich mir Sorgen machen musste, dass ich mich durch irgendeine Melodie verriet oder dass sich irgendjemand über die Qualität meiner Stimme beklagte.
Ich öffnete den Mund, um laut zu singen, wie ich es schon seit Jahren nicht mehr getan hatte. Dann wurde ich mitten in einem Atemzug gestoppt, als ich hörte, wie etwas gegen die Luftschleuse schlug.
Dieses Shuttlemodell hatte zwei Luftschleusen. Eine öffnete sich nur, wenn es an einem Schiff oder einer Station angedockt war. Die zweite war eine kleinere Notschleuse an der Seite. Es war die Art von Schott, das ich benutzt hatte, um das Shuttle zu besteigen, als ich vor langer Zeit die Gerechtigkeit der Torren verlassen hatte.
Das Geräusch ertönte noch einmal und hörte dann auf. Ich überlegte, dass es vielleicht nur ein Trümmerstück war, das im Vorbeiflug gegen den Rumpf geprallt war. Doch wenn ich an Anaander Mianaais Stelle gewesen wäre, hätte ich alles Denkbare versucht, um meine Ziele zu erreichen. Und ich konnte außerhalb des Shuttles nichts sehen, solange die Kommunikationssperre anhielt, nur das, was die zwei Kameras mir genau vorn und achtern zeigten. Vielleicht war ich es am Ende selbst, die Anaander Mianaai zur Gnade der Kalr brachte.
Wenn sich jemand dort draußen befand, wenn es nicht nur Trümmer waren, dann war es Anaander Mianaai. Wie viele von ihr? Die Luftschleuse war klein und leicht zu verteidigen, aber es wäre am einfachsten, sie gar nicht verteidigen zu müssen. Es wäre am besten, Mianaai daran zu hindern, das Schott zu öffnen. Zweifellos reichte die Kommunikationssperre nicht allzu weit über den Palast hinaus. Schnell nahm ich eine Kursänderung vor, die mich von der Gnade der Kalr wegbrachte, aber dennoch, wie ich hoffte, außerhalb des Wirkungsbereichs der Kommunikationssperre. Ich konnte mit der Gnade der Kalr sprechen, ohne mich in ihre Nähe begeben zu müssen. Als das erledigt war, wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder der Luftschleuse zu.
Beide Schleusentüren waren so konstruiert, dass sie nach innen aufschwangen, damit jeder Druckunterschied sie zuschlagen ließ. Und ich wusste, wie man die innere Tür entfernte, nachdem ich Shuttles wie dieses jahrzehntelang gereinigt und gewartet hatte. Jahrhundertelang. Nachdem ich die innere Tür demontiert hatte, wäre es nahezu unmöglich, die äußere zu öffnen, solange sich Atemluft im Shuttle befand.
Ich brauchte zwölf Minuten, um die Scharniere zu entfernen und die Tür zu einer Stelle zu manövrieren, wo ich sie sichern konnte. Eigentlich hätte ich es in zehn schaffen müssen, aber die Bolzen waren verschmutzt und klemmten ein wenig, nachdem ich die Arretierung gelöst hatte. Es konnte nur die Schludrigkeit menschlicher Soldatinnen gewesen sein — bei meinen eigenen Shuttles hätte ich so etwas niemals zugelassen.
Ich war kaum mit dieser Arbeit fertig, als aus der Shuttlekonsole eine gleichmäßige Stimme sprach, von der ich wusste, dass sie einem Schiff gehörte. »Shuttle, bitte antworten. Shuttle, bitte antworten.«
»Gnade der Kalr«, sagte ich, während ich mich nach vorn zog. »Hier spricht die Gerechtigkeit der Torren, die Ihr Shuttle navigiert.« Keine unverzügliche Antwort — ich war mir sicher, dass meine Worte genügt hatten, um die Gnade der Kalr schockiert verstummen zu lassen. »Lassen Sie niemanden an Bord. Und vor allem lassen Sie keine Version von Anaander Mianaai auch nur in Ihre Nähe gelangen. Falls sie bereits bei Ihnen ist, halten Sie sie von Ihren Triebwerken fern.« Nachdem ich jetzt auf die Kameras zugreifen konnte, die nicht fest installiert waren, drückte ich den Schalter, der mir eine Panoramaansicht dessen zeigen würde, was sich außerhalb des Shuttles befand — ich wollte mehr sehen als nur den Erfassungsbereich der Bugkamera. Drückte Knöpfe, um meine Worte an alle zu senden, die da draußen zuhörten. »An alle Schiffe.« Ob sie mir zuhören oder mir gehorchten, konnte ich nicht voraussagen, aber das war etwas, über das ich realistisch betrachtet ohnehin keine Kontrolle hatte. »Lassen Sie niemanden an Bord gehen. Lassen Sie unter gar keinen Umständen Anaander Mianaai an Bord gehen. Damit würden Sie Ihr Leben in Gefahr bringen. Damit würden Sie das Leben aller Personen, die sich in der Station befinden, in Gefahr bringen.«