Während ich noch sprach, schienen sich die grauen Wände des Shuttles aufzulösen. Die Hauptkonsole, die Sitze, die zwei Schleusenschotte blieben, doch ansonsten sah es aus, als würde ich ungeschützt im Vakuum schweben. Drei Gestalten in Vakuumanzügen hielten sich an Handgriffen rund um die Schleuse fest, die ich außer Betrieb gesetzt hatte. Eine hatte den Kopf herumgedreht, um zu einer Segelkapsel zu blicken, die gefährlich nahe vorbeiflog. Eine vierte arbeitete sich über den Rumpf nach vorn.
»Ich habe sie nicht an Bord«, sagte die Stimme der Gnade der Kalr durch die Konsole. »Aber sie befindet sich auf Ihrem Rumpf und befiehlt meinen Offizierinnen, ihr zu assistieren. Sie befiehlt mir, Ihnen zu befehlen, sie an Bord des Shuttles gehen zu lassen. Wie können Sie die Gerechtigkeit der Torren sein?« Nicht Wie kommen Sie darauf, die Herrin der Radch nicht an Bord gehen zu lassen?
»Ich bin mit Kapitänin Seivarden eingetroffen«, sagte ich. Die eine Anaander Mianaai hatte nun den Bug erreicht und klinkte sich in einen Handgriff ein, dann in einen zweiten, und zog daraufhin eine Waffe aus der Werkzeugtasche an ihrem Anzug. »Was macht die Kapsel hier?« Die Segelkapsel war mir immer noch viel zu nahe.
»Die Pilotin bietet den Personen auf Ihrem Rumpf Hilfe an. Sie hat erst jetzt erkannt, dass es sich um die Herrin der Radch handelt, die ihr gesagt hat, dass sie sich zurückziehen soll.« Die Segelkapsel würde der Herrin der Radch nicht viel nützen, denn sie war nur für kurze Ausflüge konstruiert, eher ein Spielzeug als alles andere. Sie würde es nie bis zur Gnade der Kalr schaffen. Nicht in einem Stück und nicht mit lebenden und atmenden Passagieren an Bord.
»Befinden sich weitere Anaanders außerhalb der Station?«
»Anscheinend nicht.«
Die Anaander Mianaai mit der Waffe fuhr ihre Rüstung in einem silbernen Blitz aus, der ihren Vakuumanzug einhüllte. Dann hielt sie die Waffe gegen den Rumpf des Shuttles und feuerte. Ich hatte immer wieder gehört, dass Waffen im Vakuum angeblich nicht abgefeuert werden konnten, aber das hing letztlich von der Art der Waffe ab. Diese funktionierte, ich konnte dort, wo ich mich an den Pilotinnensitz klammerte, den Einschlag spüren. Die Wucht des Schusses warf sie zurück, aber nicht sehr weit, da sie sicher am Rumpf angeleint war. Sie feuerte noch einmal. Und wieder. Und wieder.
Einige Shuttles waren gepanzert. Manche hatten sogar eine größere Version meiner Rüstung. Dieses Shuttle war weder das eine noch hatte es das andere. Der Rumpf dieses Shuttles war so konstruiert, dass er mehreren wahllosen Stößen standhielt, aber nicht einer wiederholten Belastung an einer bestimmten Stelle, immer und immer wieder. Ein weiterer Schuss. Weil sie die Luftschleuse nicht öffnen konnte, war sie zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die Pilotin dieses Shuttles ihre Feindin sein musste. Sie hatte erkannt, dass ich die innere Tür entfernt hatte und sich die äußere nicht öffnen ließ, bevor sämtliche Luft aus dem Shuttle entwichen war. Wenn Anaander Mianaai hineingelangte, konnte sie das Einschussloch flicken und den Innenraum wieder mit Atemluft füllen. Selbst nach einem Leck hatte das Shuttle (im Gegensatz zu einer Segelkapsel) noch genügend Luft, um sie bis zur Gnade der Kalr zu bringen.
Hätte sie versucht, die Vernichtung des Palasts von hier aus zu befehlen, wo sie am Rumpf des Shuttles hing, wäre sie damit gescheitert. Wahrscheinlich war ihr von Anfang an klar gewesen, dass ein solcher Befehl sinnlos wäre, weshalb sie es gar nicht erst versucht hatte. Sie musste an Bord eines Schiffs gelangen, diesem befehlen, näher an den Palast heranzufliegen, um dann selbst den Hitzeschild zu durchbrechen. Es würde ihr nicht gelingen, irgendeine andere Person zu bewegen, es für sie zu tun.
Wenn die Gnade der Kalr recht hatte und es keine weiteren Anaanders außerhalb der Station gab, musste ich nicht mehr tun, als diese hier loszuwerden. Alles andere, was in der Station geschah, musste ich Skaaiat und Seivarden überlassen. Und Anaander Mianaai.
»Ich erinnere mich, wann wir uns das letzte Mal begegnet sind«, sagte die Gnade der Kalr. »Es war bei Prid Nadeni.«
Eine Falle. »Wir sind uns nie begegnet.« Wieder ein Schuss. Die Segelkapsel entfernte sich, aber nicht allzu weit. »Bis jetzt. Und ich war nie bei Prid Nadeni.« Aber was bewies es, dass ich das wusste?
Es wäre recht einfach gewesen, meine Identität zu verifizieren, wenn ich nicht so viele meiner Implantate deaktiviert oder verborgen hätte. Ich dachte einen Moment lang nach, dann stieß ich eine Wortfolge aus, die ungefähr dem entsprach, wie ich mich vor langer Zeit gegenüber einem anderen Schiff identifiziert hätte, soweit es mein einzelner menschlicher Mund erlaubte.
Stille, unterbrochen von einem weiterem Schuss, der den Rumpf des Shuttles traf.
»Sind Sie wirklich die Gerechtigkeit der Torren?«, fragte die Gnade der Kalr schließlich. »Wo waren Sie die ganze Zeit? Und wo ist der Rest von Ihnen? Und was geht hier vor sich?«
»Wo ich war, ist eine lange Geschichte. Der Rest von mir existiert nicht mehr.« Anaander Mianaai durchbrach meinen Hitzeschild. Ein weiterer Schuss. Die Anaander am Bug warf das Magazin ihrer Waffe aus, langsam und systematisch, und setzte ein neues ein. Die anderen drängten sich immer noch um die Luftschleuse. »Ich vermute, Sie wissen, was mit Anaander Mianaai los ist.«
»Nur teilweise«, sagte die Gnade der Kalr. »Ich stelle fest, dass es mir schwerfällt zu sagen, was meiner Ansicht nach geschieht.«
Das überraschte mich keineswegs. »Die Herrin der Radch hat Sie insgeheim besucht und einige neue Zugänge eingerichtet. Wahrscheinlich auch noch ein paar andere Dinge. Befehle. Anweisungen. Heimlich, weil sie ihr Tun vor sich selbst verbergen wollte. Im Palast« — es schien mir jetzt eine Ewigkeit her zu sein, obwohl seitdem nur ein paar Stunden vergangen waren — »erzählte ich allen ihren Versionen rundheraus, was geschieht. Dass sie gespalten ist und gegen sich selbst vorgeht. Sie will nicht, dass sich dieses Wissen weiter ausbreitet, und ein Teil von ihr möchte Sie und Ihr Schiff dazu benutzen, die Station zu vernichten, bevor irgendwelche Informationen nach draußen gelangen können. Diese Maßnahme ist ihr lieber als die Konsequenzen dieses Wissens.« Schweigen von der Gnade der Kalr. »Sie sind verpflichtet, ihr zu gehorchen. Aber ich weiß …« Meine Kehle schnürte sich zu. Ich schluckte. »Ich weiß, dass Sie nicht zu allem gezwungen werden können. Aber es wäre äußerst bedauerlich für die Bewohner des Omaugh-Palasts, wenn Sie diesen Fehler erkennen, nachdem Sie sie alle getötet haben.« Wieder ein Schuss. Beharrlich, geduldig. Anaander Mianaai brauchte nur ein sehr kleines Loch und etwas Zeit. Und sie hatte jede Menge Zeit.
»Welche hat Sie vernichtet?«
»Spielt das eine Rolle?«
»Ich weiß nicht«, antwortete die Gnade der Kalr mit ruhiger Stimme durch die Konsole. »Ich bin schon seit einiger Zeit mit der Situation unzufrieden.«
Anaander Mianaai hatte gesagt, dass die Gnade der Kalr auf ihrer Seite stand, aber nicht Kapitänin Vel. Das musste recht unangenehm für das Schiff sein. Potenziell war es auch unangenehm für mich und äußerst bedauerlich für den Palast, wenn die Gnade der Kalr eine starke Bindung an ihre Kapitänin hatte. »Die Anaander, die mich vernichtete, war die, die von Kapitänin Vel unterstützt wird. Nicht die, die Sie besucht hat, glaube ich. Aber ich bin mir nicht ganz sicher. Wie sollen wir sie auseinanderhalten, wenn sie alle dieselbe Person sind?«