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»Hätte ich tatsächlich eine Alternative?« Sie hatte mich zwar zur Bürgerin ernannt, aber das konnte sie jederzeit widerrufen. »Abgesehen vom Tod, meine ich.«

Sie machte eine mehrdeutige Geste. »Genauso wie wir alle. Was so viel heißt wie möglicherweise gar keine. Aber wir können später philosophieren. Wir beide haben jetzt einiges zu erledigen.« Und damit ging sie.

Seivarden sammelte meine Sachen auf, packte sie wieder ein und half mir auf die Beine und hinaus. Sie sprach erst wieder, als wir auf der Promenade waren. »Es ist ein Raumschiff. Selbst wenn es nur eine Gnade ist.«

Ich hatte eine Weile geschlafen, anscheinend so lange, dass die Glasscherben inzwischen weggeräumt waren, dass die Leute wieder hinausgingen, wenn auch nur vereinzelt. Alle sahen recht mitgenommen aus, wirkten ziemlich eingeschüchtert. Die Gespräche wurden leise und verhalten geführt, sodass es hier wie ausgestorben wirkte, auch wenn Leute da waren. Ich drehte den Kopf Seivarden zu und runzelte die Stirn. »Sie sind hier die Kapitänin. Übernehmen Sie es, wenn Sie möchten.«

»Nein.« Wir hielten vor einer Bank an, und sie setzte mich darauf ab. »Wenn ich immer noch Kapitänin wäre, würde mir jemand rückständigen Lohn schulden. Ich bin offiziell aus dem Dienst ausgeschieden, als ich vor eintausend Jahren für tot erklärt wurde. Wenn ich zurück will, muss ich von vorn anfangen. Außerdem …« Sie zögerte und setzte sich dann neben mich. »Außerdem war es für mich so, als ich aus der Suspensionskapsel kam, als hätten mich alle im Stich gelassen. Die Radch hatte mich im Stich gelassen. Mein Schiff hatte mich im Stich gelassen.« Ich runzelte die Stirn, und sie machte eine beschwichtigende Geste. »Nein, das ist nicht fair. Nichts davon ist fair, aber so kam es mir vor. Und ich war von mir selbst enttäuscht. Aber nicht von Ihnen. Sie haben mich nicht im Stich gelassen.« Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte, aber sie schien auch keine Antwort zu erwarten.

»Die Gnade der Kalr braucht keine Kapitänin«, sagte ich nach vier Sekunden Schweigen. »Vielleicht will sie auch gar keine.«

»Sie können sich Ihrer Ernennung nicht widersetzen.«

»Ich kann es, wenn ich genug Geld habe, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten.«

Seivarden runzelte die Stirn, holte Luft, als wollte sie widersprechen, aber sie tat es nicht. Nach einem weiteren Moment des Schweigens sagte sie: »Sie könnten in den Tempel gehen und Ihre Omen deuten lassen.«

Ich fragte mich, ob die von mir erschaffene Fassade fremdländischer Frömmigkeit sie davon überzeugt hatte, dass ich auf meine Weise religiös war oder ob sie zu sehr eine Radchaai war, um nicht zu bezweifeln, dass der Wurf einer Handvoll Omen meine dringlichsten Fragen beantworten und mich auf den richtigen Weg bringen würde. Ich machte eine skeptische Geste. »Ich habe eigentlich nicht das Bedürfnis. Sie können es gern tun oder gleich jetzt etwas werfen.« Wenn sie ein Objekt mit einer Vorder- und Rückseite hatte, könnte sie es werfen. »Wenn es auf die Vorderseite fällt, nerven Sie mich damit nicht mehr und bringen mir einen Tee.«

Sie stieß ein schnelles, amüsiertes Ha aus. Dann sagte sie: »Oh«, und griff in ihre Jackentasche. »Skaaiat hat mir dies gegeben, damit ich es Ihnen gebe.« Skaaiat. Nicht diese Awer.

Seivarden öffnete die Hand, zeigte mir eine goldene Scheibe von zwei Zentimetern Durchmesser. Eine winzige, am Rand eingestanzte Bordüre aus Blättern fasste den nicht ganz mittigen Namen ein. AWN ELMING.

»Aber ich glaube nicht, dass Sie sie werfen wollen«, sagte Seivarden. Und als ich nicht antwortete: »Sie sagte, Sie müssten sie unbedingt haben.«

Während ich immer noch nach Worten und nach meiner Stimme suchte, kam eine Sicherheitsoffizierin vorsichtig auf uns zu. Ehrerbietig sagte sie: »Verzeihung, Bürgerin. Die Station würde Sie gern sprechen. Dort drüben ist eine Konsole.« Sie gestikulierte zur Seite.

»Haben Sie keine Implantate?«, fragte Seivarden.

»Ich habe sie verborgen. Einige abgeschaltet. Die Station kann sie vermutlich nicht sehen.« Und ich wusste nicht, wo mein Handgerät war. Wahrscheinlich irgendwo in meinem Gepäck.

Ich musste aufstehen, zur Konsole gehen und im Stehen sprechen. »Sie wollten mich sprechen, Station. Da bin ich.« Die eine Woche Ruhe, die Anaander Mianaai erwähnt hatte, kam mir immer verlockender vor.

»Bürgerin Breq Mianaai«, sagte die Station mit ihrer tonlosen, unbesorgten Stimme.

Mianaai. Meine Finger schlossen sich noch immer um Leutnantin Awns Gedenkabzeichen, und ich sah, wie mir Seivarden mit meinem Gepäck folgte. »Es gab keinen Grund, Sie noch mehr zu beunruhigen, als Sie es ohnehin schon waren«, sagte sie, als hätte ich etwas gesagt.

Als unabhängig hatte mich die Herrin der Radch bezeichnet, und es wunderte mich wenig, dass es leere Worte gewesen waren. Aber die Art und Weise, wie sie mir das klarmachte, überraschte mich doch.

»Bürgerin Breq Mianaai«, sagte die Stimme erneut aus der Konsole, so sanft und ruhig wie immer, obwohl ich die Wiederholung als boshaft empfand. Mein Verdacht wurde bestätigt, als die Station fortfuhr. »Ich möchte, dass Sie von hier fortgehen.«

»Tatsächlich?« Mir fiel keine bessere Erwiderung ein. »Warum?«

Die Antwort kam um eine halbe Sekunde verzögert. »Schauen Sie sich um.« Dazu hatte ich keine Energie, sodass ich die Aufforderung als rhetorisch auffasste. »Die Krankenstation ist mit verletzten und sterbenden Bürgerinnen überlastet. Viele meiner Einrichtungen sind beschädigt. Meine Bewohnerinnen sind voller Angst und Sorge. Ich bin voller Angst und Sorge. Ganz abgesehen vom Durcheinander um den Palast. Und Sie sind die Ursache von allem.«

»Das bin ich nicht.« Ich erinnerte mich daran, dass die Station ähnlich kindisch und kleinkariert dachte, wie ich früher auch, doch ihre Aufgaben waren sehr viel komplizierter und wichtiger als meine, denn sie kümmerte sich um Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Bürgerinnen. »Und wenn ich gehe, wird sich daran nichts ändern.«

»Das ist mir egal«, sagte die Station ruhig. Die Gereiztheit, die ich heraushörte, bildete ich mir sicher nur ein. »Ich rate Ihnen, jetzt fortzugehen, solange es noch möglich ist. Irgendwann in naher Zukunft könnte es schwieriger werden.«

Die Station konnte es mir nicht befehlen. Genau genommen hätte sie gar nicht so mit mir reden dürfen, nicht, wenn ich tatsächlich eine Bürgerin war. »Sie kann Sie nicht zum Fortgehen zwingen«, sagte Seivarden, wie ein Echo meiner Gedanken.

»Aber sie darf ihr Missfallen ausdrücken.« Ruhig. Subtil. »Das tun wir doch ständig. Meistens fällt das niemandem auf, außer wenn jemand ein anderes Schiff oder eine andere Station besucht und plötzlich merkt, dass es dort unerklärlicherweise sehr viel angenehmer ist.«

Seivarden schwieg eine Sekunde und dann: »Oh.« Wie es klang, erinnerte sie sich gerade an ihre Zeit in der Gerechtigkeit der Torren und den Wechsel zur Schwert der Nathtas.

Ich beugte mich vor, die Stirn an die Wand neben der Konsole gelehnt. »Sind Sie fertig, Station?«

»Die Gnade der Kalr würde Sie gern sprechen.«

Fünf Sekunden Schweigen. Ich seufzte, wohl wissend, dass ich dieses Spiel nicht gewinnen konnte, es gar nicht erst versuchen sollte. »Ich werde jetzt mit der Gnade der Kalr reden, Station.«

»Gerechtigkeit der Torren«, sagte die Gnade der Kalr durch die Konsole.